An mich ist die Frage herangetragen worden, ob der Ausschluss von Ansprüchen nach dem OEG bei Schäden aus einem tätlichen Angriff, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs (Kfz) oder eines Anhängers verursacht worden sind (§ 1 Absatz 11 OEG), auch für im Ausland begangene Taten gilt.
Nach intensiver Prüfung bin ich der Auffassung, dass § 1 Absatz 11 OEG in diesen Fällen nicht anwendbar ist.
Bei Inkrafttreten des OEG im Jahr 1976 wurden durch den Gebrauch eines Kfz verursachte Schäden aus dem Anwendungsbereich des OEG ausgeschlossen, weil es mit dem bereits seit 1963 bestehenden gesetzlichen Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen (Entschädigungsfonds), der beim Verein Verkehrsopferhilfe e.V., angesiedelt ist, für diese Schäden eine Entschädigungsmöglichkeit (§ 12 Pflichtversicherungsgesetz - PflVG) gab, die einen großen Katalog von Leistungen zum Ersatz für verursachte Personen- und Sachschäden (z.B. Schmerzensgeld, Verdienstausfallschäden, Unterhaltsschäden, Beerdigungskosten) vorsieht, der zum Teil über das Leistungsspektrum des OEG hinausgeht. Der Gesetzgeber konnte also davon ausgehen, dass für diese Fallkonstellationen bereits eine umfassende Entschädigungsmöglichkeit vorhanden war, sodass die Schaffung eines Zugangs zu weiteren gesetzlichen Entschädigungsansprüchen nicht erforderlich war. Seit dem 1. Januar 2003 ist dem Verein Verkehrsopferhilfe zudem die Stellung der Entschädigungsstelle für Schäden aus Auslandsunfällen (Entschädigungsstelle) zugewiesen worden. Die Entschädigungsstelle erbringt Leistungen unter den Voraussetzungen des §12a PflVG. Dies könnte dafür sprechen, dass zumindest bei nach dem 31. Dezember 2002 durch Gebrauch eines Kfz im Ausland begangenen Gewalttaten auch § 1 Absatz 11 OEG Anwendung findet, zumal dieser ausdrücklich die Anwendbarkeit „dieses Gesetzes“ ausschließt.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Entschädigungsstelle nur unter gegenüber dem Entschädigungsfonds eingeschränkten Voraussetzungen leistet. Während in Inlandsfällen Leistungen erfolgen können, wenn Ersatzansprüche gegen den Halter, den Eigentümer oder den Fahrer des Kfz gegeben sind, leistet die Entschädigungsstelle lediglich dann, wenn dem Geschädigten Ersatzansprüche gegen den Haftpflichtversicherer des schädigenden Kfz zustehen. Solche Ersatzansprüche sind aber bei einem vorsätzlichen Handeln, wie es ein tätlicher Angriff erfordert, regelmäßig ausgeschlossen. Ansprüche aus einer Gewalttat, die mit einem Kfz begangen wurde, dürften daher ausgeschlossen oder kaum zu realisieren sein. Zu beachten ist auch, dass die Richtlinie 2009/103/EG sowie deren Vorgängerregelungen, auf denen die Einrichtung der Entschädigungsstelle beruht, ausdrücklich nur Verkehrsunfälle betreffen. Zudem erfassen sowohl § 12a PflVG als auch die genannte Richtlinie lediglich Sachverhalte mit einem Bezug zu einem Mitgliedstaat der EU. Somit sind die Voraussetzungen für Leistungen der Entschädigungsstelle für Auslandsfälle sehr viel enger als für Leistungen des Entschädigungsfonds für Inlandsfälle. Anders als bei Inlandstaten stehen daher bei Auslandstaten den Leistungen nach dem OEG keine ähnlich umfassenden Ansprüche nach dem PflVG gegenüber. Diesen Umstand hat der Gesetzgeber bei Einfügung des § 3a OEG im Jahre 2009 offensichtlich übersehen, denn aufgrund dieser unterschiedlichen Regelungen hätte er sich veranlaßt gesehen müssen, hinsichtlich der Ausschlussregelung des § 1 Absatz 11 OEG eine Regelung zu treffen.
Ich gehe daher davon aus, dass die Worte „Dieses Gesetz“ in § 1 Absatz 11 OEG so auszulegen sind, dass damit (nur) die Entschädigungsansprüche nach § 1 OEG, nicht aber die auf dem allgemeinen Fürsorgegedanken beruhenden Ansprüche nach §3a OEG gemeint sind und somit § 1 Absatz 11 OEG auf Gewalttaten im Ausland keine Anwendung findet.