- Datum:
- 16.12.2022
Deutsche Handwerkszeitung: Herr Heil, können Sie sich vorstellen, dass Handwerker derzeit nicht besonders gut auf die Regierung zu sprechen sind?
Hubertus Heil: Ich weiß, dass die von Putin verursachten hohen Energiepreise vielen Handwerkern, Unternehmen und weiten Teilen der Bevölkerung schlaflose Nächte bereiten. Putin setzt Gas als Waffe ein, um unsere Gesellschaft wirtschaftlich und sozial zu spalten. Damit wird er aber nicht durchkommen. Die Regierung kämpft mit aller Kraft dafür, unser Land gut durch diese schwere Zeit zu bringen. So ist es uns mit vereinten Kräften gelungen, ausreichend Gas zu organisieren, um eine Gasmangellage zu verhindern. Um den Preisdruck zu reduzieren, haben wir die Gas- und Strompreisbremse auf den Weg gebracht und unterstützen Unternehmen mit milliardenschweren Programmen.
DHZ: Manche Handwerksunternehmer haben Zweifel, ob das ausreicht. Kann man den Unternehmen Hoffnung auf zusätzliche Hilfen machen?
Heil: Die Bundesregierung steht an der Seite der Betriebe und der Beschäftigten. Mit einem Abwehrschirm in Höhe von 200 Milliarden Euro mildern wir den Anstieg der Energiepreise und erstatten die Abschlagszahlung im Dezember. Ab März wirken dann die Gas- und Strompreisbremse rückwirkend zum 1. Januar. Damit haben wir auch eine zentrale Forderung des Handwerks umgesetzt. Mit drei Entlastungspaketen im Umfang von 95 Milliarden haben wir Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen weiter mit Zuschüssen, Steuererleichterungen und Einmalzahlungen entlastet. Daneben unterstützen wir mit Wirtschaftshilfen und dem erleichterten Zugang zur Kurzarbeit. Das schafft klare Perspektiven und hilft vielen Unternehmern, Arbeitsplätze zu erhalten.
DHZ: Werden Sie den erleichterten Zugang zur Kurzarbeit über das Jahresende hinaus verlängern?
Heil: Ja. Wir stimmen eine Verlängerung des erleichterten Zugangs gerade in der Bundesregierung ab. Wir haben mit der Kurzarbeit Millionen Arbeitsplätze in der Coronapandemie gesichert und werden diese stabile Brücke über wirtschaftlich schwierige Zeiten weiter zur Verfügung stellen. Darauf ist Verlass.
DHZ: Es gibt nicht nur Handwerker, die angesichts der Krise ihre Betriebe aufgeben. Auch andere haben es schwer. Rechnen Sie mit einer Insolvenzwelle, mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit?
Heil: Mit Prognosen bin ich in diesen Zeiten zurückhaltend, aber bis jetzt haben wir den Arbeitsmarkt stabil durch die Krise gebracht. Gleichwohl gibt es vereinzelt Entlassungen. Erst heute Morgen habe ich von einer Berliner Bäckerei gehört, die nach 90 Jahren aufgeben muss. Nicht nur der hohen Energiekosten wegen, sondern auch weil ihnen andere Unternehmen die Fachkräfte abgeworben haben. Bei diesen Geschichten von Familienunternehmen, die aufgeben, blutet mir natürlich das Herz. Da ist jeder Betrieb der aufgeben muss, einer zu viel. Gesamtwirtschaftlich erwarten wir derzeit allerdings keine Insolvenzwelle, stellen aber wieder einen leichten Anstieg der Kurzarbeit fest.
DHZ: Was heißt das für die Arbeitslosenbeiträge?
Heil: Der Beitrag ist auf historisch niedrigem Niveau und wird wie lange beschlossen zum 1. Januar 2023 von 2,4 auf 2,6 Prozent erhöht. Mein Ziel ist, den Beitrag auf dem Niveau stabil zu halten. Wir haben derzeit den höchsten Stand an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, den wir je in Deutschland hatten. Das ist bei allen Schwierigkeiten ein gutes Zeichen.
DHZ: Gleichwohl schafft die Ampel es nicht, die Sozialversicherungsbeiträge unter der 40-Prozent-Marke zu stabilisieren.
Heil: Ich weiß, dass die Höhe der Lohnnebenkosten für das Handwerk ein großes Thema ist. In meinem Verantwortungsbereich kann ich jedenfalls sagen, dass wir den Rentenversicherungsbeitrag seit 2017 bei 18,6 Prozent stabil halten. Zu Helmut Kohls Zeiten lag er bei über 20 Prozent. Dank der guten Lage am Arbeitsmarkt haben wir gute Chancen, dass es bis 2026 so bleibt. Wir haben jedoch ein Problem im Bereich Pflege und Gesundheit. Hier hat mein Kollege Karl Lauterbach Altlasten und ungedeckte Schecks von seinem Vorgänger Jens Spahn geerbt. Er muss große Aufgaben bewältigen.
DHZ: In der Diskussion um das Bürgergeld hat sich mancher hierzulande gefragt, ob es sich überhaupt noch lohnt, arbeiten zu gehen. Was entgegnen Sie?
Heil: Arbeiten lohnt sich immer, das ist meine feste Überzeugung. Damit das so bleibt, muss man die Situation für Menschen, die hart arbeiten, aber wenig verdienen, verbessern. Deshalb haben wir den Mindestlohn auf 12 Euro erhöht. Davon profitieren über 6 Millionen Beschäftigte, darunter viele Frauen und viele Menschen in Ostdeutschland. Wir haben auch für Menschen mit niedrigerem Einkommen Steuern und Abgaben gesenkt und im Midijob-Bereich entlasten wir bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Die Beschäftigten haben dann spürbar mehr Lohn in der Tasche. Und nicht zuletzt gibt es Verbesserungen beim Wohngeld. Hier zeigt sich ganz konkret, dass Arbeit einen Unterschied macht.
DHZ: Vielen missfällt der Gedanke, trotz regulärer Arbeit noch Wohngeld beantragen zu müssen.
Heil: Wie schnell Menschen unverschuldet in eine Notlage geraten können, hat Corona uns gezeigt. In unserer sozialen Marktwirtschaft muss sich niemand schämen, Unterstützung vom Staat anzunehmen. Das Kindergeld ist beispielsweise eine staatliche Sozialleistung, die auch Menschen zusteht, die nicht bedürftig sind. Und das Wohngeld steht Menschen zu, die in Ballungszentren mit hohen Mieten trotz Rente und Einkommen nicht über die Runden kommen. Hier geht es aber noch um einen anderen, sehr wichtigen Punkt. Jede und jeder Beschäftigte muss von seiner Arbeit auch gut leben können. Deswegen haben wir den Mindestlohn erhöht und wollen die Tarifbindung weiter stärken.
DHZ: Mit dem Bürgergeld wollen Sie die Weiterbildung stärken. Warum sollte es damit häufiger als bisher gelingen, einen Berufsabschluss nachzuholen?
Heil: Das Hauptziel des Bürgergeldes ist es, Menschen aus der Arbeitslosigkeit langfristig in Arbeit zu bringen. Nach dem alten Hartz-IV-System wurden Langzeitarbeitslose häufig in Hilfstätigkeiten vermittelt und nach wenigen Monaten waren sie wieder im Jobcenter. Mit dem Bürgergeld setzen wir auf Ausbildung statt Aushilfsjob. Wir setzen klare finanzielle Anreize, einen Berufsabschluss nachzuholen. So leistet das Bürgergeld auch einen Beitrag zur Arbeits- und Fachkräftesicherung.
DHZ: Zur Abmilderung des Fachkräftemangels soll auch das Einwanderungsgesetz geändert werden. Brauchen wir so viele Fachkräfte aus dem Ausland?
Heil: Wenn wir wirtschaftlich weiter erfolgreich sein wollen als Standort Deutschland, brauchen wir ausreichend Arbeits- und Fachkräfte. Wenn wir nicht gegensteuern, droht der Fachkräftemangel in den nächsten Jahren zu einer Wachstums- und Wohlstandsbremse zu werden. Denn ab 2025 gehen die Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge, in Rente.
DHZ: Das heißt?
Heil: Wir müssen für die Fachkräftesicherung alle Register ziehen. Im Inland und im Ausland. Wir dürfen nicht mehr hinnehmen, dass Jahr für Jahr 50.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen und 1,3 Millionen Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Wir müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Schaffen wir es, die Lücke in der Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern zu halbieren, hätten wir allein dadurch 900.000 Frauen mehr in Arbeit. Auch Menschen mit Behinderungen sind noch ein Potential für den Arbeitsmarkt, das wir stärker heben müssen. Doch selbst wenn wir alle Register im Inland ziehen, reicht es nicht. Deshalb brauchen wir eine moderne Einwanderungspolitik für Fachkräfte. Dafür hat sich ja auch das Handwerk stark gemacht.
DHZ: Was soll mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz konkret besser werden?
Heil: Wir brauchen kluge Köpfe und helfenden Hände. Wir müssen qualifizierte Fachkräfte wollen und nicht nur dulden. Viele Fachkräfte aus dem Ausland können sich aussuchen, wo sie arbeiten, die müssen wir für uns gewinnen. Dabei hilft ein modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit weniger Hürden. Wer einen anerkannten Berufsabschluss und einen Arbeitsvertrag hat, soll einfacher nach Deutschland kommen können. Außerdem schaffen wir die Möglichkeit, für die Arbeit nach Deutschland einzureisen, auch wenn der Berufsabschluss noch nicht anerkannt ist. Das soll dann in Deutschland nachgeholt werden können. Auch eine schnellere Visa-Erteilung und ein breiteres Angebot an Sprachkursen gehören dazu.
DHZ: Ist das alles?
Heil: Nein, wir führen außerdem eine Chancenkarte nach kanadischem Vorbild ein, die Kriterien wie Berufsausbildung, Berufserfahrung, Deutschkenntnisse oder auch Deutschlandbezug in einem Punktesystem erfasst. Denn wir brauchen nicht nur Fachkräfte, sondern es fehlen in vielen Branchen und Berufen auch Arbeitskräfte.
DHZ: Bleibt das Urteil zur Arbeitszeiterfassung. Wie will die Bundesregierung diese Pflicht im Gesetz festschreiben?
Heil: Urteil und Begründung des Bundesarbeitsgerichtes liegen jetzt vor. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, klären wir jetzt. Klar ist, dass wir pragmatische Lösungen finden werden und nicht überall die Stechuhr eingeführt wird. Es geht um verlässliche Arbeitszeiterfassung, die wir verhältnismäßig und praxistauglich gestalten werden, etwa durch digitale Lösungen.
DHZ: Wann kommt die Rentenversicherungspflicht für Selbständige?
Heil: Das ist Teil des Koalitionsvertrages, und aus gutem Grund ja auch ein Anliegen des Zentralverbandes des deutschen Handwerks. Denn viele Handwerker sind zwar im Alter abgesichert. Aber es gibt eben auch die, für die das nicht gilt und die sich damit auf Kosten der anderen Vorteile im Wettbewerb verschaffen. Von denen sind dann viele im Alter auf die steuerfinanzierte Grundsicherung angewiesen. Hier werden wir gleiche Bedingungen für alle schaffen. Sie sehen, uns geht die Arbeit nicht aus.