- Datum:
- 21.02.2022
Tagesspiegel: Herr Minister Heil, was macht eigentlich Olaf Scholz anders im Kabinett als Angela Merkel?
Hubertus Heil: Es ist starke Führung zu spüren. Und er ist Sozialdemokrat.
Tagesspiegel: Gut, das sind Pflichtantworten. Aber was heißt Führung und woran merkt man das?
Hubertus Heil: Er gibt Orientierung und führt Diskussionen stärker zusammen. Zudem hat Olaf Scholz von Anfang an klargemacht: In dieser Koalition sind Vertrauen und Vertraulichkeit wichtig. Das war schon so während der Koalitionsverhandlungen. Das ist nicht mit mangelnder Transparenz zu verwechseln. Aber wenn man wirklich an Ergebnissen orientiert ist, ist es gut, wenn man sich nicht so viel über die Presse unterhält, sondern miteinander. So lassen sich Probleme klären und auch Themen, die am Anfang noch strittig sind, zusammenzuführen. Olaf Scholz ist ein starker Kanzler.
Tagesspiegel: Wir wetten, dass auch die Ampel ohne dramatische Nachtsitzungen nicht auskommen wird…
Hubertus Heil: Natürlich ist es möglich, dass uns wichtige Fragen auch manchmal nach Büroschluss beschäftigen werden. Aber richtig ist: Die Qualität von Entscheidungen wird nicht dadurch besser, dass man immer nachts verhandelt. Aber wenn es darum geht, schnell gute Lösungen für drängende Probleme zu finden, darf das auch mal nachts sein. Nehmen Sie zum Beispiel das Krisenmanagement in der Corona-Pandemie, da müssen wir zu jeder Tages- und Nachtzeit in der Lage sein, Politik zu machen. Und Sie sehen es ja jetzt: Wir sind leider auch in einer krisengeprägten außen- und sicherheitspolitischen Lage. Da habe ich einen Riesenrespekt vor unserem Bundeskanzler, der diese Woche in Kiew und in Moskau war, letzte Woche in Washington, und innenpolitisch auch noch die Ministerpräsidentenkonferenz schnell und zielorientiert geführt hat.
Tagesspiegel: In Moskau wurde sein SPD-Vorgänger in den höchsten Tönen gelobt – von Wladimir Putin. Olaf Scholz sagte dort über Gerhard Schröder, er wolle die privatwirtschaftlichen Aktivitäten eines früheren Politikers nicht kommentieren. Bricht die SPD gerade mit Schröder?
Hubertus Heil: Ich glaube, dass Olaf Scholz das Notwendige dazu in Moskau gesagt hat. Und er spricht als sozialdemokratischer Bundeskanzler für die Position, die wir als Partei auch vertreten. Das heißt in diesem Zusammenhang, dass wir auf eine klare Haltung gegenüber Russland setzen. Denn die Aggression geht von Russland aus. Aber zugleich versuchen wir alles, um über diplomatische Kanäle kriegerische Auseinandersetzungen bei uns in Europa zu vermeiden.
Tagesspiegel: Im Herbst haben Sie erstmals in ihrem Leben eine Entlassungsurkunde bekommen, um dann als einziger in der neuen Regierung wieder das gleiche Amt zu übernehmen. Was ist anders für Sie?
Hubertus Heil: Ich habe in der letzten Legislatur einige große Projekte umsetzen können, die mir sehr am Herzen lagen, Dazu gehört unter anderem die Grundrente. Aber es gibt einen klaren Unterschied zur Groko. Wenn ich jetzt ins Kabinett komme, habe ich nicht mehr das Gefühl, dass die Kolleginnen und Kollegen dort versuchen, mich auszubremsen. Sondern da sind Menschen, die gestalten wollen. Die Genese der letzten Regierung war ja, dass man durch das Scheitern von Jamaika dazu verurteilt war, gemeinsam Regierungsverantwortung zu übernehmen. Und der damalige Koalitionspartner, die CDU und CSU, hatten erkennbar nichts mehr vor für dieses Land. Das ist nicht nur menschlich jetzt ein anderer Antritt, sondern es ist auch so, dass alle drei Partner SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP Gestaltungswillen haben, das Land erneuern und modernisieren wollen.
Tagesspiegel: Stichwort Gestaltungswillen, wir wollen mit Ihnen über das Arbeiten nach der Pandemie reden. Brauchen wir nach dem 19. März noch Masken am Arbeitsplatz und im Büro?
Hubertus Heil: Solange die Pandemie da ist, werden wir das Notwendige tun, damit der Arbeitsplatz nicht zum Infektionstreiber wird. Das hat bislang sehr gut geklappt, und ich bin Arbeitgebern und Arbeitnehmern sehr dankbar, dass beide Seiten immer versucht haben, pragmatische Lösungen zu finden. Die Regeln dazu müssen immer verhältnismäßig sein. Wir werden Vorschläge machen, wie wir die Arbeitsschutzregeln über den 19. März hinaus anpassen.
Tagesspiegel: Also kann die Maske dann fallen?
Hubertus Heil: Wir entwickeln jetzt die Basisschutzmaßnahmen, auch für den Arbeitsschutz. Ich bin einigermaßen stolz darauf, dass wir mit den beiden wichtigsten Dingen dieses Hauses eigentlich immer rechtzeitig vor der Welle entschieden haben. Das betrifft die Kurzarbeitsregeln, die rechtzeitig da waren, und das betrifft auch die angepassten Arbeitsschutzregeln. Wir beraten uns regelmäßig mit den Sozialpartnern, mit Virologen und mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Das werden wir auch in diesem Fall tun. Klar ist aber: Wir werden weiter das Team pragmatische Vorsicht sein.
Tagesspiegel: Ganz konkret, die Homeoffice-Pflicht fällt dann. Heißt das für die Arbeitgeber: Wir machen ab 20. März den ganzen Großraum wieder voll?
Hubertus Heil: Oberstes Ziel ist immer die Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz. Wir werden weiterhin angepasste Maßnahmen in allen Lebensbereichen brauchen, um den Übergang von der Pandemie zur Endemie kontrollierbar und möglichst kurz zu gestalten. Natürlich werden wir auch Vorkehrungen treffen, dass Großraumbüros nicht zu Infektionsherden werden.
Tagesspiegel: Sie haben das Kurzarbeitergeld angesprochen, wie viele Jobs wurden damit gerettet?
Hubertus Heil: Nach unseren Erkenntnissen hat Kurzarbeit bis zu drei Millionen Arbeitsplätze in Deutschland gesichert. Zu Beginn der Pandemie waren etwa sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit, jetzt sind es ungefähr eine Million. Kurzarbeit hatte aber auch einen zweiten wichtigen Effekt, nämlich die Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Und der dritte positive Effekt ist, dass Unternehmen jetzt, wo Öffnungen möglich sind, ihre Fachkräfte an Bord haben um durchzustarten. Andere Länder haben sich an unserem Modell orientiert. Der amerikanische Arbeitsminister sagte mir, dass „The Kurzarbeit“ da ein eigener Begriff wie „Kindergarten“ geworden ist. Das ist doch eine schöne Chiffre für gutes Krisenmanagement.
Tagesspiegel: Aber der Preis der Rettungsaktion ist hoch…
Hubertus Heil: Wir haben sehr, sehr viel Geld für Kurzarbeit aufgewandt in den letzten Jahren. Dazu muss man wissen: Wir hatten aus den guten Zeiten bei der Bundesagentur für Arbeit ordentlich Rücklagen. Die haben wir voll eingesetzt, und als es nicht mehr gereicht hat, haben wir auch mit Bundesmitteln ausgeholfen. Ich will es auf den Nenner bringen: Kurzarbeit war verdammt teuer. Aber die Alternative, nämlich die Rückkehr von Massenarbeitslosigkeit zuzulassen, wäre für Deutschland sozial und ökonomisch viel, viel teurer gewesen. Das Geld, das wir aufgewandt haben, ist nicht verschwunden, sondern hat im Wirtschaftskreislauf mitgeholfen, die Volkswirtschaft zu stabilisieren. Ökonomen nennen das automatische Stabilisatoren - und das wird auch in den USA von der neuen Administration gesehen.
Tagesspiegel: Hoffen wir, dass es bald weniger Kurzarbeit braucht. Viele Menschen haben sich aber auch ans Home-Office gewöhnt. Können die Arbeitnehmer darauf zählen, dass sie auch künftig mehr von zu Hause arbeiten können?
Hubertus Heil: Die Pandemie hat gezeigt, dass viel mehr an mobiler Arbeit möglich ist als zuvor gedacht. Und daraus werden wir Konsequenzen ziehen. Das heißt: Wir brauchen einen modernen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten. Und dazu gehört, dass wir Beschäftigten, die über die Pandemie hinaus den Wunsch haben, mal eine Zeit im Home-Office zu arbeiten, dies auch stärker ermöglichen. Man darf aber eins nicht vergessen: Es gibt viele Beschäftigte, für die war und ist Homeoffice nicht möglich. Wenn Sie in einer Bäckerei arbeiten, können Sie die Brötchen nicht von zu Hause aus backen. Und wenn Sie an der Supermarktkasse sitzen, ist Home-Office auch nicht möglich.
Tagesspiegel: Wie wollen Sie die Homeoffice-Möglichkeit rechtlich durchsetzen?
Hubertus Heil: Ich orientiere mich da an einem Beispiel aus den Niederlanden. Dort gibt es seit 2015 die Möglichkeit, mit seinem Chef oder seiner Chefin den Wunsch nach Home Office zu besprechen. Etwa, dass man mal ein, zwei Tage im Monat oder auch öfter Homeoffice machen möchte. Diesen Wunsch können dann die Unternehmen in den Niederlanden zwar noch ablehnen, aber nicht mehr willkürlich, sondern sie müssen betriebliche Gründe nennen.
Tagesspiegel: In Belgien ist jetzt eine Vier-Tage-Woche eingeführt worden. Die Arbeitszeit bleibt zwar gleich, aber wenn Arbeitnehmer sie in vier Tagen schaffen, haben sie am fünften Tag frei. Ein Vorbild für Deutschland?
Hubertus Heil: Ich möchte das nicht für den gesamten deutschen Arbeitsmarkt vorschreiben. Wenn so ein Modell zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern oder Betriebsparteien vereinbart werden kann, ist dagegen nichts einzuwenden. Aber es muss fair miteinander ausgehandelt werden.
Tagesspiegel: Was spricht gegen eine generelle Einführung der Vier-Tage-Woche in Deutschland? Manche Unternehmen machen das einfach, mit nur 32 Stunden, aber vollen Gehalt und beobachten, dass die Produktivität gleich bleibt.
Hubertus Heil: Für einzelne Unternehmen mag das ein gutes Modell sein. Die Arbeitswelt ist aber vielfältig, genauso wie die Wünsche der Arbeitnehmer. Es ist eine sehr simple Vorstellung, eine Schablone über alles zu legen. Mir geht es darum, Flexibilität zu ermöglichen, damit die Arbeit an die Bedürfnisse der Menschen angepasst ist. Ich habe zum Beispiel die Brückenteilzeit eingeführt, so dass Menschen, die für die Familie eine Zeit lang Stunden reduzieren wollen, wieder in Vollzeit zurückkommen können. Und so wollen wir jetzt auch eine Bildungszeit nach österreichischem Vorbild einführen, damit Menschen die Zeit und die finanzielle Sicherheit für Weiterbildungen haben.
Tagesspiegel: Das heißt konkret?
Hubertus Heil: Der Wandel von Wirtschaft und Arbeitswelt ist rasant – Digitalisierung, Demographie und der ökologisch notwendige Umbau der Industrie sind die Treiber. Damit die Beschäftigten von heute die Arbeit von morgen machen können, müssen wir zur Weiterbildungsrepublik werden. Mein Modell sieht vor, dass Beschäftigte bis zu einem Jahr Bildungszeit nehmen können oder bis zu zwei Jahren Bildungsteilzeit, um sich beruflich weiterzuqualifizieren und in dieser Zeit aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit bezahlt werden. Grundlage ist, dass sich Arbeitgeber und Beschäftigte darauf verständigen.
Tagesspiegel: Haben Sie ein Beispiel?
Hubertus Heil: Nehmen wir zum Beispiel eine Mechanikerin, die sich zur Umwelttechnikerin weiterbilden lassen will, weil das in ihrem Betrieb zunehmend gefragt ist. Das ist dann eine Win-win-Situation: Sie kann beruflich aufsteigen, ihr Arbeitgeber muss nicht mühsam qualifizierte Fachkräfte suchen, sondern hat sie schon an der Hand. In Zeiten des Fachkräftewandels werden diese Modelle von großer Bedeutung sein.
Tagesspiegel: Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Bildungszeit von den richtigen Menschen in Anspruch genommen wird? Kritiker befürchten, dass vielleicht nur ohnehin Hochqualifizierte noch ein bisschen qualifizierter werden.
Hubertus Heil: Wir brauchen verschiedene Ansätze. Auch gut qualifizierte Beschäftigte müssen sich weiterbilden. Aber wir müssen uns ganz besonders um die kümmern, die eine geringe Qualifizierung oder gar keine haben. 50.000 Menschen im Jahr verlassen die Schule ohne Schulabschluss, 1,3 Millionen haben keine berufliche Ausbildung. Ich möchte da Anreize setzen. Zum Beispiel will ich in der Grundsicherung einen Weiterbildungsbonus von 150 Euro schaffen. Das motiviert Menschen zu einer Ausbildung, mit der sie langfristig aus der Langzeitarbeitslosigkeit kommen können. Und das Nachholen eines Berufsabschlusses wird Vorrang vor der Vermittlung in eine Hilfstätigkeit oder prekäre Beschäftigung bekommen. Ausbildung statt Aushilfsjob, diesen Paradigmenwechsel braucht es.
Tagesspiegel: Um den Bedarf an Fachkräften zu decken und dem demografischen Wandel entgegen zu wirken, braucht es aus Sicht von FDP-Fraktionschef Dürr zusätzlich 400.000 Einwanderer pro Jahr. Kommen Sie zu einem ähnlichen Schluss?
Hubertus Heil: Ergänzende Fachkräftezuwanderung ist nötig. Aber wer glaubt, dass man Fachkräftesicherung allein durch Zuwanderung betreiben kann, der irrt sich. Ich will, dass wir vor allem auch die Potenziale im Inland heben. Durch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf können wir die Frauenerwerbstätigkeit steigern und durch kluge Anreize wie den Weiterbildungsbonus auch langzeitarbeitslosen Menschen in den Arbeitsmarkt zurückbringen.