Sozialversicherung

Sozialpolitikforschung in der Krise?

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) veranstaltete am 23. Februar 2016 in Kooperation mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) den Workshop "Sozialpolitikforschung in der Krise? Stand und Perspektiven". Rund 150 Teilnehmer/innen aus Wissenschaft, Verwaltung und Politik diskutierten die Diagnose einer Krise der Sozialpolitikforschung sowie Perspektiven der sozialpolitischen Forschungsförderung.

Das BMAS verfolgte damit das Ziel, Anregungen und Diagnosen aus Kreisen der Wissenschaft aufzugreifen und gleichzeitig weitere potentiell betroffene politische und gesellschaftliche Akteure für das Thema zu sensibilisieren.

Thorben Albrecht, Staatssekretär im BMAS, unterstrich in seinen einleitenden Worten die Notwendigkeit einer Sozialpolitikforschung, die grundsätzliches Wissen über Arbeit und soziale Sicherheit generiert und somit nicht zuletzt dazu beiträgt, Argumente für politische Aushandlungsprozesse vorzubereiten.

Gegenstand der Diskussion waren insbesondere die Thesen eines wissenschaftspolitischen Denkanstoßes der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften "Zur Entwicklung von Forschung und Lehre zur Sozialpolitik an Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland", die vom Mitautor Prof. Stephan Leibfried vorgestellt wurden.

Benjamin Mikfeld (Leiter der Abteilung Grundsatzfragen des Sozialstaats, der Arbeitswelt und der sozialen Marktwirtschaft im BMAS) betonte unter anderem die Dolmetscherfunktion einer unabhängigen Sozialpolitikforschung, um auch über die Fachöffentlichkeit hinaus den öffentlichen Diskurs über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik breiter zu führen.

Ergebnisse des Workshops

Die zentralen Ergebnisse des Workshops lassen sich in drei Thesen zusammenfassen.

  1. Ein Rückgang der Sozialpolitikforschung kann bei allen betroffenen Wissenschaftsdisziplinen festgestellt werden. Vertreter aller relevanten Disziplinen (Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Rechtswissenschaft, Geschichts- und Politikwissenschaft) äußerten sich kritisch zur Entwicklung der Sozialpolitikforschung. Einhellig wurde problematisiert, dass selbst ehemals prominent besetzte Lehrstühle nicht dauerhaft institutionalisiert werden konnten. An vielen Fakultäten wird Sozialpolitik daher inzwischen nicht mehr – oder nicht mehr in einem umfassenden Sinne – gelehrt und beforscht. Symptome und Ursachen dieser Entwicklung wurden von den Wissenschaftler/innen teilweise unterschiedlich bewertet. Einigkeit bestand jedoch in der grundsätzlichen Diagnose, wonach die Verankerung sozialpolitischer Themen in den verschiedenen Disziplinen schwinde und diese somit auch für den akademischen Nachwuchs immer weniger attraktiv würden.
  2. Erfolgversprechende Förderaktivitäten zur Unterstützung der Sozialpolitikforschung müssen bestimmten Kriterien genügen.

    a) Interdisziplinarität, Vernetzung und Bildung von Forschungszentren

    Um Schlagkraft und Sichtbarkeit zu entwickeln, ist es wichtig, vereinzelte Inseln der Sozialpolitikforschung im Rahmen von Forschungsverbünden und -zentren zu bündeln. Diese sollten zudem möglichst interdisziplinär aufgestellt sein. Effektive Förderung muss darauf hinwirken, Brücken zu bauen - zwischen Praxis und Wissenschaft, Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, ebenso wie zwischen den einzelnen Disziplinen. Insbesondere auf Strukturbildung abzielende Förderaktivitäten - etwa die Finanzierung von Stiftungsprofessuren, etc. - sollten daher unbedingt dem Ziel der (interdisziplinären) Bündelung und Vernetzung Rechnung tragen. In Bezug auf Projektförderungen wurden bestehende Programmförderungen und Begutachtungsprozesse in diesem Kontext teils kritisch bewertet. Sowohl Wissenschaftler/innen als auch Forschungsförderinnen und -förderer berichteten von Schwierigkeiten im Rahmen von Begutachtungsprozessen interdisziplinär ausgerichteter Forschungsprojekte.

    b) Nachwuchsförderung

    Im Sinne der nachhaltigen Förderung in den verschiedenen Disziplinen ist es zentral, die Attraktivität der Sozialpolitikforschung für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu erhöhen. Dies erfordert unter anderem die Schaffung langfristiger Karriereaussichten und angemessene Finanzierungsperspektiven. Auch hier ist Interdisziplinarität ein zentraler Aspekt. Schnittstellenbiografien sollten anerkannt, methodische Vielfalt gefördert und neue, kreative Fragestellungen ermöglicht werden. Hinsichtlich der Ausbildung von Doktorand/innen wurde die Vorteilhaftigkeit von strukturierten, interdisziplinären Graduiertenprogrammen betont.


    c) Internationalisierung und Datenverfügbarkeit


    Was den Charakter förderungswürdiger Forschung angeht, so wurde zum einen die Wichtigkeit komparativer, international anschlussfähiger Forschung betont. Zum anderen wurde auf die Potentiale der quantitativen Forschung hingewiesen und in diesem Zusammenhang eine weitreichendere Erschließung von Verwaltungsdaten angemahnt.

  3. Mehrere Akteure teilen Interesse an – und somit auch Verantwortung für – Fortbestand und Weiterentwicklung der Sozialpolitikforschung.

    Die meisten Teilnehmer/innen waren sich einig: Um den Fortbestand der unabhängigen Sozialpolitikforschung zu gewährleisten, bedarf es eines – oder mehrerer – Impulse in Form gezielter Förderprogramme. Diese sollten das Ziel haben, langfristig Forschungsinfrastrukturen zu unterstützen. Neben den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen sind auch verschiedene potentielle Förderinnen und Förderer zu beteiligen. Auf Bundesebene ist, neben der Zuständigkeit des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, eine inhaltliche Betroffenheit insbesondere beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales gegeben, aber auch bei den Bundesministerien für Gesundheit, Justiz und Verbraucherschutz sowie Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Neben dem Bund sind auch die Länder gefragt, und nicht zuletzt bedarf es des Engagements auf Seiten der Universitätsleitungen, um einer Krise der Sozialpolitikforschung entgegenzutreten.

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