- Datum:
- 15.06.2022
Welt am Sonntag: Herr Heil, die Bundesregierung hat zwei milliardenschwere Entlastungspakete geschnürt und trotzdem hagelt es Kritik. Was ist da schiefgelaufen?
Hubertus Heil: Wir haben ein 30 Milliarden Euro schweres Entlastungspaket auf den Weg gebracht, um die Menschen gezielt zu entlasten. Und viele der Entlastungen werden in diesem Sommer bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen. Klar ist aber, dass wir neue Antworten finden müssen, wenn die Preise dauerhaft hoch bleiben.
WamS: Ihr Amtskollege, der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, sagt: Nach dem Entlastungspaket ist vor dem Entlastungspaket.
Finden Sie nicht, dass das sehr nach einer Flut von Wohltaten klingt und wenig nach durchdachtem Regierungshandeln?
Heil: Es geht nicht um Wohltaten, sondern um zielgenaue Maßnahmen. Die beschlossenen Entlastungspakete helfen akut in diesem Jahr. In diesem Paket sind auch schon dauerhafte Entlastungen angelegt: Die Abschaffung der EEG-Umlage und die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrages etwa helfen sehr vielen dauerhaft.
WamS: Aber gerade der Tankrabatt folgt doch dem Prinzip „Gießkanne“ – und ist ein Rohrkrepierer. Sollte er früher auslaufen?
Heil: Der Tankrabatt war nicht meine Idee, aber ich stehe zu dem Gesamtpaket, was die Koalition gemeinsam vereinbart hat.
WamS: Derzeit päppelt die Koalition mit dem Tankrabatt die Ölkonzerne. Befürworten Sie eine eine Kriegsgewinnsteuer?
Heil: Die Tories in Großbritannien haben etwas Ähnliches auf den Weg gebracht – und die sind unverdächtig, sozialistische Umverteiler zu sein. Ich finde die Debatte legitim, denn die Entlastungen müssen bei den Menschen ankommen und nicht bei den Konzernen. Aber es müssen noch Fragen geklärt werden.
WamS: Nämlich?
Heil: Die Rechtslage ist noch unklar. Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Klar ist, jetzt müssen die Kartellbehörden ran. Auf den Energiemärkten haben wir es mit Oligopolen zu tun. Da muss das Kartellamt jetzt sehr genau hinschauen.
WamS: Was müsste Ihrer Meinung nach in ein drittes Entlastungspaket?
Heil: Es geht nicht um immer neue Pakete. Wir brauchen gezielte dauerhafte Entlastungen, wenn die Preise hochbleiben. Dafür hat der Bundeskanzler Staat, Sozialpartner und Wirtschaft zu einer konzertierten Aktion eingeladen. Ich habe das soziale Klimageld vorgeschlagen, um vor allem die Bezieher mit mittleren und unteren Einkommen zu entlasten. Eines ist aber auch bei weiteren Maßnahmen klar: Wir sollten nicht so tun, als könne der Staat alles für alle ausgleichen.
WamS: Rentner sind bei einigen Entlastungsmaßnahmen außen vor geblieben, nicht nur bei der Energiepauschale. Brauchen die einen Nachschlag?
Heil: Am 1. Juli gibt es die größte Rentenerhöhung seit Jahrzehnten. Und viele der Maßnahmen in den Entlastungspaketen kommen auch Rentnern zugute. Richtig ist, dass das zum Teil von der Inflation überschattet wird. Aber auch da würde das soziale Klimageld wirken, denn es soll ja unter anderem auch an Rentner gezahlten werden.
WamS: Im Osten ist die Inflation zum Teil höher als in den westlichen Bundesländern, in Brandenburg sind es aktuell 8,5 Prozent. Die Löhne sind aber meist niedriger als im Westen. Ist ein Entlastungspaket Ost nötig?
Heil: Wichtig ist, dass Entlastungen pragmatisch und zielgerichtet denen helfen, die es am meisten brauchen. Der Bund kann aber nur Maßnahmen für ganz Deutschland beschließen und nicht für einzelne Landesteile.
WamS: Die Grünen wollen die Mehrwertsteuer für gesunde Grundnahrungsmittel senken, um die Bürger zu entlasten. Unterstützen Sie das?
Heil: Die Debatte finde ich sympathisch, aber ich bin mir nicht sicher ob solche Maßnahmen zielgenau bei den Verbrauchern ankommen. Aber auch darüber wird in der Koalition zu reden sein.
WamS: Auch das nächste Entlastungpaket wird Milliarden kosten. Wollen Sie an der Schuldenbremse rütteln?
Heil: Das ist nicht meine Absicht. In der konzertierten Aktion, zu der der Bundeskanzler Wirtschaft und Gewerkschaften eingeladen hat, muss darüber geredet werden, was die jeweiligen Partner beitragen müssen, damit unsere Gesellschaft mit dem enormen Preisdruck umgehen kann. Hier wird auch die Tarifpolitik gefragt sein. Als Arbeitsminister leiste ich meinen Beitrag um den Arbeitsmarkt stabil durch diese Zeiten zu bringen.
WamS: Thema Arbeitsmarkt und Flüchtlinge: Die Bundesagentur für Arbeit rechnet mit 410.000 ukrainischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigen, die nun Sozialleistungen beziehen werden. Einen Erfolg spiegeln diese Zahlen nicht wider.
Heil: Wir haben unseren Arbeitsmarkt sofort für die ukrainischen Geflüchteten geöffnet. Das reicht aber nicht. Es sind vor allem Frauen mit Kindern gekommen. Deshalb muss Kinderbetreuung ermöglicht werden, und wir haben die Sprachkurse geöffnet und müssen sie ausweiten.
WamS: Diese Forderung wurde schon vor 100 Tagen gestellt, als der Krieg begann.
Heil: In Krisen muss man priorisieren. Wir haben als Staat zuerst alles Menschenmögliche getan, um die Versorgung der Menschen zu sichern. Jetzt geht es um Integration in den Arbeitsmarkt. Wer arbeiten will, soll die Chance dazu bekommen, daran arbeite ich mit Hochdruck. Die meisten Ukrainerinnen haben eine ordentliche Qualifikation. Und viele Unternehmen sagen mir, sie können Arbeitskräfte gebrauchen.
WamS: Die andere Art der Migration ist die Anwerbung von Fachkräften. Die Bundesagentur für Arbeit beziffert den Bedarf auf 400.000 pro Jahr, doch ihre Auslands- und Fachvermittlung rekrutierte 2021 nur 3200 Personen. Was wollen Sie tun, damit der deutsche Arbeitsmarkt attraktiver wird?
Heil: Erstens: das Fachkräftepotenzial im Inland heben, Weiterbildung ausbauen, die Zahlen der Ausbildungen bei jungen Menschen und die Erwerbstätigenquote bei Frauen erhöhen. Zweitens braucht Deutschland massiv mehr qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland. Nancy Faeser und ich werden dafür noch in diesem Jahr ein neues Einwanderungsgesetz vorlegen. Deutschland braucht kluge Köpfe und helfende Hände auch aus dem Ausland um wirtschaftlich dauerhaft erfolgreich zu sein.