Teilhabe

Vorschläge zur Implementation des geltenden Rechts

Die hier genannten Maßnahmen können auch ohne Rechtsänderungen durch Maßnahmen der Regierung und Verwaltung implementiert werden. Sie sind in jedem Falle sinnvoll, auch wenn die unter 2.2 genannten Rechtsänderungen durchgeführt sein werden.

Rechts- und Fachaufsicht

Die Behörden der Rechtsaufsicht und Fachaufsicht im Bereich des Bundes sollten verstärkt die Implementation der Regelungen des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) überprüfen. Hierzu sollten sie mit entsprechender Fachkompetenz ausgestattet werden oder auf solche zurückgreifen können. Insbesondere sollte verdeutlicht werden, dass die Sozialleistungsträger im Bereich des Bundes durch § 17 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch (SGB) I über das BGG hinaus zur Barrierefreiheit verpflichtet sind. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Bundesversicherungsamt sollten entsprechend intensive Aufsichtsmaßnahmen ergreifen.

Behördenorganisation

In der internen Organisation von Behörden im Bereich des Bundes sind klare Verantwortlichkeiten für die Implementation des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) im Leitungsbereich zu schaffen, soweit dies noch nicht geschehen ist. Die Verantwortlichkeiten müssen innerhalb der Behördenorganisation transparent gemacht werden. Soweit die Schwerbehindertenvertretung nach § 95 SGB (Sozialgesetzbuch) IX oder Verantwortliche des Arbeitgebers nach § 98 SGB IX mit Verantwortlichkeiten zur Implementation des BGG versehen werden, ist dies explizit kenntlich zu machen und diesen Stellen sind hierfür ggf. zusätzliche Ressourcen zu geben.

Beteiligung der Verbände behinderter Menschen

Die Beteiligung der anerkannten Verbände behinderter Menschen bei der Implementation des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) ist als fachlicher und rechtlicher Standard anzusehen. Die Verantwortlichen für die Implementation des BGG sollten entsprechende Kontakte institutionalisieren. Den Verbänden behinderter Menschen ist der für sachverständige Unterstützung der Implementation entstehende Aufwand zu entschädigen. Die Behörden benötigen einen einheitlichen Ansprechpartner für die Beteiligung der Verbände. Dies könnte durch die noch einzurichtende Agentur für Barrierefreiheit geleistet werden.

Bewusstseinsbildung in Behörden

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörden auf allen Ebenen sind über die Inhalte des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) sowie korrespondierender Gesetze einschließlich der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu schulen und auf die sich ergebenden Pflichten und Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen. Die Schulung sollte den kooperativen Kontakt zu Vertretern der Verbände behinderter Menschen einschließen. Wesentliche Schulungsthemen sind Barrierefreiheit und Benachteiligungsschutz einschließlich des Schutzes vor Belästigung und der Vermeidung von Diskriminierung wegen mehrerer Merkmale.

Bewusstseinsbildung bei behinderten Menschen und ihren Verbänden

Die Verbände behinderter Menschen und ihre Mitglieder auf allen Ebenen sowie behinderte Menschen insgesamt sind über die Inhalte des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) sowie korrespondierender Gesetze einschließlich der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu schulen und auf die sich ergebenden Rechte hinzuweisen sowie zu deren Inanspruchnahme zu befähigen und zu ermutigen. Zu schulen sind auch rechtliche Betreuer sowie Leistungserbringer von Leistungen zur Teilhabe und anderen Sozialleistungen, die für die Rechtswahrnehmung behinderter Menschen zentrale Bedeutung haben können.

Die Verbände behinderter Menschen sollten ermutigt und gefördert werden, bei den Gestaltungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten nach dem BGG zu kooperieren, um ihre Ressourcen zu vergrößern und besser zu nutzen. Auch nicht in Verbänden organisierte behinderte Menschen sollten durch Maßnahmen der Bewusstseinsbildung erreicht werden. Hierzu können unter anderem die Schwerbehindertenvertretungen, nicht behinderungsbezogene Vereine und Verbände des sozialen Lebens (Gewerkschaften, Berufs- und Unternehmensverbände, Sportvereine u.a.) sowie Träger der allgemeinen, beruflichen und politischen Bildung genutzt werden.

Bewusstseinsbildung bei Gerichten

Die Angebote für Richterinnen und Richter zur Fortbildung im Behindertengleichstellungsrecht und zum Umgang mit behinderten Menschen im Sinne eines barrierefreien Gerichtsverfahrens sind auszubauen.

Allgemeine Bewusstseinsbildung

Die allgemeine Öffentlichkeit ist über die Regelungen des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) und korrespondierende Regelungen stärker zu informieren (vgl. Art. 8 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)). Unter anderem ist dazu die Kompetenz der Sozialleistungsträger zur Aufklärung (§ 13 Sozialgesetzbuch (SGB) I) zu nutzen. Sie sollten über die spezifischen Rechte aus dem BGG, der Verordnung über barrierefreie Dokumente (VBD), der Kommunikationshilfenverordnung (KHV) und der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) 2.0 informieren und dabei eine verschiedenen Behinderungsarten angepasste Kommunikationsform wählen. Die Aufsichtsbehörden sollten darauf achten, dass nicht zum Beispiel wegen des Wettbewerbs der gesetzlichen Krankenkassen entsprechende Aufklärungsmaßnahmen unterlassen werden.

Bereitstellung von Fachkompetenz durch eine Agentur

Um die notwendigen Schritte der Implementation des Gesetzes und der Bewusstseinsbildung zu unterstützen, sollte die erforderliche soziale, medizinische, technische und rechtliche Fachkompetenz in einer Agentur zur Verfügung gestellt werden. Diese Agentur sollte den Verbänden, Behörden und Unternehmen zur Ausfüllung ihrer Rechte und Pflichten zur Barrierefreiheit und Nichtdiskriminierung behinderter Menschen zur Verfügung stehen.

Die Agentur könnte in Form einer unabhängigen Stiftung oder Anstalt errichtet werden, die von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen gemeinsam ausgestattet, getragen und kontrolliert wird. Die Agentur soll eng mit der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der Monitoring-Stelle für die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) beim Deutschen Institut für Menschenrechte zusammenarbeiten; diese könnten auch an der Trägerschaft der Agentur beteiligt werden.

Studium und Ausbildung

Die Ausbildung zahlreicher sozialer, technischer, juristischer und gesundheitsbezogener Berufe ist um Aspekte des Benachteiligungsschutzes und der Barrierefreiheit zu erweitern. Im Rahmen seiner Kompetenzen und unter Wahrung der Unabhängigkeit der Lehre und der Autonomie der Sozialpartner sollten die entsprechenden Handlungsmöglichkeiten des Bundes genutzt werden. Dies gilt insbesondere für die Ausbildung der Verwaltungsbeschäftigten im Bereich des Bundes einschließlich seiner Verwaltungsfachhochschulen. Entsprechende Anforderungen können zudem im Rahmen der Bundeskompetenz für die Zulassung zu den Heilberufen festgeschrieben werden.

Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Stands entsprechender Ausbildungsinhalte und von Defiziten ist im ersten Schritt vorzunehmen. Die Verankerung von Barrierefreiheit in Forschung und Lehre ist bei den Wissenschafts-Förderprogrammen des Bundes (Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Qualitätspakt Lehre, Hochschulpakt) festzuschreiben.

Förderprogramme des Bundes

Alle Förderprogramme des Bundes sind darauf zu überprüfen, ob in Ihnen die Ziele des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) im möglichen Maße Teil der Förderung sind.