Mit Urteil vom 16. Dezember 2014 - B I V 1/13 R - hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts zur Frage Stellung genommen, ob die Bedrohung mit einer täuschend echt aussehenden Schreckschusspistole ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG ist.
Im Ergebnis wurde dies vom BSG verneint, da es bei der Bedrohung mit einer Schreckschusspistole an einem tätlichen Angriff im Sinne eines in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper elnes anderen zielenden, gewaltsamen, physischen Einwirkung fehle. Für maßgeblich hat der entscheidende Senat insoweit gehalten, ob der primärschaden und eventuelle Folgeschäden gerade die zurechenbare Folge einer physisch wirkenden
Gewaltanwendung gegen eine Person sind. Die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen psychischen Gewaltanwendung oder Schädigung reiche für die Annahme eines tätlichen Angriffs nicht aus.
Ebenso wenig entscheidend sei, ob sich eine bestimmte Situation im Nachhinein als objektiv gefährlich erweise, weil die Waffe scharf, geladen und entsichert war, oder als objektiv betrachtet ungefährlich, weil es sich um eine bloße Schreckschusswaffe handelte. Denn die Drohwirkung mit der vorgehaltenen Waffe auf das Opfer und dessen psychische Belastung in der konkreten Situation unterschieden sich insoweit regelmäßig nicht. Maßgeblich sei daher (allein) die physische Wirkung, die vom Täter ausgehe, nicht die psychische Wirkung, die beim Opfer ankomme.
Gleichzeitig hat das BSG erklärt, nicht mehr an seiner Rechtsprechung festzuhalten, dass in Fällen, in denen der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten Schusswaffe bedroht hat, ein tätlicher Angriff anzunehmen sei, weil eine derartige Bedrohung das Leben und die Unversehrtheit des Opfers objektiv hoch gefährde (z.B. BSG-Urteil vom 24. Juli 2002 - B 9 VG 4/01 - R).
Da sich das BSG mit dem o.g. Urteil ausdrücklich von seiner bisherigen Auffassung gelöst hat, bitte ich, zukunftig in Fallgestaltungen, in denen eine Drohung mit einer Schreckschusspistole oder vergleichbare Drohungen, etwa mittels eines Messers oder anderer Waffen und Werkzeuge, gegeben sind, entsprechend dem Urteil vom 16. Dezember 2014 zu entscheiden.
Hinsichtlich der bereits entschiedenen Fälle, in denen entsprechend der bisherigen BSGRechtsprechung das Vorliegen eines tätlichen Angriffs bejaht worden ist, gehe ich davon aus, dass eine Anderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Anderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse darstellt und daher eine Anwendung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X nicht in Betracht kommt. Da sich zudem eine Anderung der Rechtsprechung nicht zum Nachteil der Berechtigten auswirken darf, sehe ich ebenfalls keinen Raum zur Anwendung von §§ 45 und 48 Abs. 3 SGB X. Dies gilt auch bei Nachprüfungsverfahren von Amts wegen und in Fällen von Erhöhungsanträgen.
In zukünftigen Fällen wird bei der Frage des Vorliegens eines tätlichen Angriffs noch mehr und genauer als bisher auf die jeweiligen Umstände im konkreten Einzelfall einzugehen sein. Nach meiner Auffassung wird dabei insbesondere festzustellen sein, ob eine bloße Bedrohungssituation vorlag oder on bereits mit der Umsetzung der angedrohten Handlung begonnen wurde. Das BSG hat in seinem Urteil vom 16. Dezember 2014 ausdrücklich das Abfeuern eines Schusses bzw. das Aufsetzen einer Waffe auf dem Körper des Opfers als Beginn eines tätlichen Angriffs angesehen. Darüber hinaus dürfte aber auch das Hinzutreten weiterer Umstände zur Drohung, wie z.B. die Verfolgung bzw. die Hatz einer bedrohten Person, Ausholbewegungen der Arme mit gehaltenen Waffen oder Werkzeugen oder das Einschlagen bzw. Eintreten einer verschlossenen Tür, ein Indiz für die Annahme eines tätlichen Angriffs darstellen, da dann keine rein psychische Wirkung mehr gegeben ist. Auf eine derartige Fallkonstellation würde somit das BSG-Urteil vom 16. Dezember 2014 keine Anwendung finden.
Abschließend weise ich darauf hin, dass sich aus meiner Sicht Konsequenzen aus dem o.g. Urteil über die geschilderten Fallkonstellationen hinaus weder hinsichtlich der grundsätzlichen Anerkennung von sog. "Schockschäden" noch auf andere als die im o.g. Urteil behandelten oder diesen vergleichbare (s.o.) Fallkonstellationen ergeben. Die hinsichtlich dieser Fallgestaltungen bestehenden Rundschreiben erfahren durch das Urteil keine Einschränkungen und besitzen weiterhin Gultigkeit.