- Redner*in:
- Bundesminister Hubertus Heil
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schon heute werden in Deutschland händeringend Fachkräfte gesucht. Warum eigentlich? Die Wahrheit ist: Das ist erst mal Ergebnis einer guten Entwicklung am Arbeitsmarkt. Trotz all der Krisen der letzten Jahre waren noch nie so viele Menschen wie heute in Deutschland in Arbeit: Rund 46 Millionen Erwerbstätige, 34,7 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wir haben im Gegensatz zu vor 20 oder 30 Jahren keine Massenarbeitslosigkeit mehr in Deutschland, und deshalb sind Arbeits- und Fachkräfte heute knapp. Das ist eigentlich erst mal der Ausdruck einer guten Entwicklung in Deutschland, auf die wir stolz sein können – Wirtschaft, Staat und Sozialpartner gemeinsam.
Aber wenn wir die Weichen nicht stellen, wird das Problem größer, weil ab 2025 die Generationen der Babyboomer, der vor 1964 Geborenen – das waren sehr geburtenstarke Jahrgänge –, wohlverdient in Rente gehen. Deshalb ist es notwendig, dass wir alle Register im Inland ziehen, um Arbeits- und Fachkräftesicherung zu betreiben.
Der Deutsche Bundestag wird heute in zweiter und dritter Lesung auch das Aus- und Weiterbildungsgesetz beraten und hoffentlich verabschieden. Nancy Faeser hat davon gesprochen, dass wir die Frauenerwerbsbeteiligung steigern müssen. Wir haben ein Gesetz für den inklusiven Arbeitsmarkt geschaffen. Wir sorgen mit dem Bürgergeld dafür, dass Menschen, die in Langzeitarbeitslosigkeit stecken, durch Qualifizierung dauerhaft in Arbeit kommen. Und wir sorgen auch dafür, dass Menschen, die erfahren sind, in diesem Land durch Qualifizierung im Wandel länger arbeiten können. Damit Deutschland ein Wohlstandsland bleibt, ist es notwendig, dass wir alle Register der Fachkräftesicherung im Inland ziehen.
Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, zum Weiterbildungsgesetz am 23. Juni 2023 im Plenum des Bundestages.
"Deutschland muss eine Weiterbildungsrepublik werden"
Erstens: Ja, natürlich werden Produktivitätsfortschritte auch einen Beitrag leisten: die Digitalisierung, der Einsatz von KI bei der Fachkräftesicherung. Aber, meine Damen und Herren, die Aufgabe ist angesichts der Demografie unseres Landes so groß, dass wir auch deutlich mehr qualifizierte Einwanderung nach Deutschland brauchen.
Nun ist man das von einigen gewöhnt, von den Rechtsradikalen hier, dass sie viel Meinung und wenig Ahnung haben.
Aber was mich wirklich erschüttert, ist, dass die Union in dieser Debatte auf jede Form von ökonomischem Sachverstand verzichtet.
Ich will Ihnen das im Einzelnen sagen. Wir brauchen eben nicht nur ein paar Akademiker, sondern auch beruflich Qualifizierte.
Wir brauchen Arbeitskräfte und Fachkräfte im Handel, im Handwerk, im Bereich der sozialen Dienstleistungsberufe und auch in der industriellen Produktion. Deshalb ist es notwendig, noch mal inländische Potenziale anzusprechen und qualifizierte Einwanderung zu stärken.
Mit einer zeitgemäßen Ausbildung, gezielten Weiterbildungen und einer modernen Einwanderungspolitik wollen wir die Arbeit als Fachkraft wieder attraktiver machen und Unternehmen bei der Fachkräftesicherung unterstützen.
Fachkräftesicherung
Zweitens: Mit diesem modernen Einwanderungsgesetz, das wir heute beschließen, sorgen wir auch dafür, die Migration besser zu steuern und zu sortieren.
Ja, wir haben eine humanitäre Pflicht im Bereich des politischen Asylrechts; ja, wir zeigen uns großherzig gegenüber unseren Nachbarn, die vor Krieg flüchten. Deutschland hat viele Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. Das ist unsere humanitäre Verpflichtung, zu der wir stehen.
Drittens: Ja, als Koalition mit unseren europäischen Nachbarn wollen wir irreguläre Migration reduzieren und auch dafür sorgen, dass Menschen nicht Opfer von Schleppern und Menschenhändlern werden, die diese Menschen ganz oft elendig im Mittelmeer ersaufen lassen. Deshalb ist es richtig, dass wir Ordnung reinbringen. Aber die andere Seite der Medaille ist, dass wir legale Einwanderung mit Migrationsabkommen, mit einem modernen Einwanderungsgesetz in diesem Land schaffen. Das ist in unserem Interesse.
Deshalb kann ich an die Adresse der Union nur sagen: Herr Merz, Sie müssen sich entscheiden, ob Sie mit Herrn Wüst klarkommen oder nicht; das kann Deutschland nicht beschäftigen. Aber Sie sollten nicht rückschrittlich sein, wenn es um die vitalen wirtschaftlichen Interessen unserer Gesellschaft geht. Unsere Volkswirtschaft braucht Fachkräfte, und wir können mit guten Gründen für unser Land werben – trotz mancher Probleme und Herausforderungen.
Ich war vor einigen Wochen in Dahlewitz, hier vor den Toren Berlins in Brandenburg, bei einem Turbinenhersteller von Rolls Royce. Da arbeiten 2.000 Menschen aus 50 Nationen. Und wenn man die qualifizierten Menschen aus anderen Ländern fragt, die in diesem Unternehmen arbeiten, warum sie sich für Deutschland entschieden haben, erfährt man Gutes über unser Land.
Ich habe erlebt, wie jemand gesagt hat: Wir sind eine starke Volkswirtschaft, wir haben ein gutes Aus- und Weiterbildungssystem, wir haben geregelte Arbeitszeiten in diesem Land, und wir sind im Gegensatz zu anderen eben nicht aus der Europäischen Union ausgetreten.
Deutschland ist ein starkes Land. Wir brauchen alle helfenden Hände und klugen Köpfe, die wir kriegen können – im eigenen Land und durch gesteuerte qualifizierte Einwanderung. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz.
Herzlichen Dank.