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- 16.12.2020
Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes sagt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Mit Blick auf die Debatte, die wir geführt haben, sage ich: Dazu gehören auch das Recht auf Leben und das Recht auf Gesundheitsschutz, und deshalb hat der Schutz der Gesundheit von Menschen in dieser Zeit absolute Priorität.
Dazu gehört auch der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Das Thema Arbeitsschutz war vor der Pandemie bei vielen fast schon in Vergessenheit geraten. Es wurde als Bürokratiethema abgetan. Da wurde über die Größe von Teeküchen philosophiert und über die Frage, ob man Paternoster benutzen darf. In dieser Pandemie hat sich gezeigt, wie gut es ist, dass wir in Deutschland Gesetze zum Arbeitsschutz haben.
Mit dem Covid-19-Arbeitsschutzstandard, den wir zu Beginn der Pandemie eingeführt haben, haben wir massenhafte Infektionen am Arbeitsplatz verhindert. Ich bin den Unternehmen, den Gewerkschaften, den Sozialpartnern und den Berufsgenossenschaften außerordentlich dankbar, dass das in vorbildlicher Art und Weise passiert ist.
Aber wir haben im Frühjahr und im Sommer dieses Jahres auch erlebt, wo es nicht funktioniert hat, und das war in den Fleischfabriken der Fall. Das betraf nicht nur die eine Fabrik in Nordrhein-Westfalen, sondern auch Fabriken in Baden-Württemberg, in der Nähe von Pforzheim, in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen, in Sachsen-Anhalt, in Nordrhein-Westfalen - an zahlreichen Orten. Und wie in einem Brennglas hat sich gezeigt, dass da Arbeitsverhältnisse herrschen, die auch schon vor der Pandemie ein Skandal waren, meine Damen und Herren.
In der Vergangenheit hat zum Beispiel meine Amtsvorgängerin Andrea Nahles versucht, mit diesen Verhältnissen aufzuräumen, und ein entsprechendes Gesetz vorgelegt. Im Laufe des Verfahrens haben dann immer wieder Lobbyisten versucht, das Ganze abzuschleifen, oder sie haben, wenn wie im Jahr 2017 ein scharfes Gesetz gekommen ist, mit neuen trickreichen Konstruktionen von Sub-Sub-Sub-Unternehmerei versucht, die Gesetze zu umgehen und auszutricksen. Damit ist jetzt Schluss! Deshalb beschließen wir heute das Arbeitsschutzkontrollgesetz.
Videomitschnitt der Bundestagsrede von Bundesminister Hubertus Heil anlässlich der 2./3. Lesung zum Arbeitsschutzkontrollgesetz.
Video der Rede
Ich habe schon in der Debatte im Sommer gesagt, dass wir mit den Verhältnissen aufräumen werden, und ich bin dem Deutschen Bundestag für seine Unterstützung sehr dankbar und sicher, dass wir das auch schaffen werden.
Erstens. Wir machen Schluss mit den Gammelunterkünften. Wir werden zukünftig für alle Sammelunterkünfte - nicht nur in der Fleischindustrie, sondern auch für Saisonarbeitskräfte, beispielsweise in der Landwirtschaft - klar definieren, was menschenwürdige, hygienische und vernünftige Unterbringung ausmacht. Und das wird auch kontrolliert.
Zweitens. Wir sorgen für scharfe Kontrollen der Einhaltung der Arbeitsschutzstandards - nicht nur in der Fleischindustrie. Die Arbeitsschutzbehörden in vielen Bundesländern sind systematisch kaputtgespart worden. Das werden wir beenden. Es wird verpflichtende Prüfquoten für den Arbeitsschutz in Deutschland geben.
Drittens. Wir beenden den Lohnbetrug in der Fleischindustrie. Mit einer verpflichtenden digitalen Arbeitszeitaufzeichnung machen wir Schluss damit, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - und das sind, reden wir offen darüber, oft Kräfte aus Mittel- und Osteuropa - um ihren Lohn betrogen werden.
Last but not least: viertens. Wir beenden die organisierte Verantwortungslosigkeit, die sich über Werkverträge und Leiharbeit in dieser Branche breitgemacht hat. Ab 1. Januar nächsten Jahres werden die Werkverträge in der Fleischindustrie verboten sein, ab 1. April auch die Leiharbeit im Bereich der Schlachtung und Zerlegung. Auch im Bereich der Fleischverarbeitung ist Leiharbeit dem Grunde nach untersagt. Sie ist nur über einen Tarifvertrag möglich. Das heißt, die Gewerkschaften haben dort den Fuß in der Tür. Die Leiharbeit wird auf drei Monate begrenzt, und nach drei Jahren ist auch damit Schluss.
Deshalb sage ich: Wir räumen gründlich auf in der Fleischindustrie, weil es um die Menschenwürde von Beschäftigten geht. Es geht auch um den Wert und die Würde der Arbeit. Deshalb bitte ich um Zustimmung für das Arbeitsschutzkontrollgesetz.
Herzlichen Dank.