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"Es geht um Leistungsgerechtigkeit"

Rede des Ministers am 2. Juli 2020 im Plenum anlässlich der 2./3. Lesung zur Grundrente

Anfang:
02.07.2020

Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden heute ein Gesetz beschließen, auf das viele Menschen in Deutschland lange gewartet haben. Es geht um die längst überfällige Einführung der Grundrente. Die Grundrente ist das zentrale sozialpolitische Reformprojekt dieser Bundesregierung. 1,3 Millionen Menschen werden von ihr profitieren. Aber gleichzeitig sage ich: Es geht um mehr. Es geht um eine Richtungsentscheidung für unser Land. Es geht gerade in diesen Coronazeiten um die Frage, ob wir einfach zur Tagesordnung übergehen oder ob wir diese Krise als Chance begreifen, unser Land besser und gerechter zu machen, meine Damen und Herren.

Es geht um den Wert der Arbeit, um die Anerkennung und den Respekt für die tägliche Leistung. Es geht auch um den Platz in der sozialen Mitte unserer Gesellschaft - auf den haben alle Menschen Anspruch in diesem Land, die hart arbeiten, die Kinder erziehen, die Angehörige pflegen.

Aber, Herr Präsident, meine Damen und Herren, nach wie vor erleben leider viel zu viele Menschen mit geringen Löhnen, dass sie nicht Teil der sozialen Mitte sind, dass die soziale Mitte für sie nicht in Reichweite ist, so sehr sie sich auch abrackern, anstrengen und hart arbeiten. Das spüren auch viele Menschen in der Alterssicherung, in der Rente. Wenn wir offen und ehrlich darüber reden: Hier ist in den vergangenen Jahren gesellschaftliches Vertrauen verloren gegangen - Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft, Vertrauen in die Altersvorsorge und offenbar auch in unser politisches Gemeinwesen. Wir müssen deshalb dieses Vertrauen erneuern. Wir müssen hinschauen und handeln. Die Einführung der Grundrente macht eines deutlich: Arbeit in unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren, macht einen Unterschied, und das gilt auch für die Alterssicherung.

Denn gerade die Coronakrise macht den Handlungsbedarf wie in einem Brennglas sehr deutlich: Letztlich sind es die Menschen, die den Laden am Laufen halten - als Kassiererinnen, als Lagerarbeiter, als Altenpflegehelferinnen, die jetzt in der Öffentlichkeit stehen, im öffentlichen Bewusstsein sind. Viele von ihnen bekommen Anerkennung, Schulterklopfen, Pralinen, Blumen. Sie werden als Heldinnen und Helden des Alltags gefeiert. Das, meine Damen und Herren, ist nett gemeint, ändert aber nichts daran, dass diese Menschen am Ende des Monats und im Ruhestand zu wenig rausbekommen. Deshalb sage ich: Es geht um Anerkennung - gar keine Frage -; aber es ist nicht bei warmen Worten zu belassen.

Diese Menschen brauchen in harter Währung mehr Geld in der Tasche, und zwar bei den Löhnen und im Alter.

Es geht nicht nur um Anerkennung, und schon gar nicht allein um Pralinen. Es geht im Kern um Leistungsgerechtigkeit, meine Damen und Herren. Und es ist auch eine Frage des Anstandes; denn ohne diese Menschen, von denen ich gerade gesprochen habe, und viele andere mehr würde unser Land nicht funktionieren.

Es geht aber auch um Verlässlichkeit, um die Verlässlichkeit dieser Großen Koalition. Wir haben lange gerungen, liebe Kolleginnen und Kollegen; das ist doch kein Geheimnis. Aber ich finde, es ist richtig gut, dass diese Regierung gerade in diesen Zeiten beweist, dass man auch gemeinschaftlich zu guten Lösungen in der Lage ist.

Mit unterschiedlichen Positionen um die beste Lösung zu ringen, ist keine Schande. Aber nicht zu Ergebnissen zu kommen, das wäre eine Schande gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Videomitschnitt der Bundestagsrede von Bundesminister Hubertus Heil anlässlich der 2./3. Lesung zur Grundrente.

Es ist letztendlich in dieser Zeit auch eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft; denn wir stärken die Kaufkraft der Menschen an dieser Stelle. Die Rede ist vor allen Dingen von Frauen, die in diesem Land von der Grundrente profitieren würden. Zu mehr als 70 Prozent werden Frauen profitieren. 

Ich rede von Frauen wie Susanne Holtkotte. Susanne Holtkotte arbeitet in Bochum. Sie steht mitten im Leben, auch im Berufsleben. Sie ist Reinigungskraft in einem Krankenhaus im Ruhrgebiet. Das ist ein Knochenjob; aber er ist, wie man heute sagt, systemrelevant, weil sonst Hygiene in Krankenhäusern nicht zu gewährleisten wäre.

Susanne Holtkotte verdient den Mindestlohn im Gebäudereinigerhandwerk; das ist nicht viel Geld. Sie arbeitet fast jeden Tag und kann das nicht aus dem Homeoffice tun. Sie hat nach derzeitiger Rechtslage - in 18 Jahren geht sie in Rente - einen Rentenbezug von nur 760 Euro.

Meine Damen und Herren, mit der Grundrente könnte sie, wenn sie ihr Berufsleben so fortsetzt, immerhin rund 1.030 Euro bekommen. Das ist auch noch kein Reichtum; aber für Susanne Holtkotte macht das einen Unterschied. Und deshalb ist es ein guter Tag für Menschen, die hart arbeiten in diesem Land.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Susanne Holtkotte ist heute hier; sie sitzt da oben auf der Besuchertribüne. Ich möchte ihr herzlich Danke sagen für die Arbeit, die sie macht. Sie können heute auch mal live für Menschen, die im Alltag ihren Mann oder ihre Frau stehen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, applaudieren. 

Susanne Holtkotte hat sich eingesetzt für die Grundrente - auch dafür bin ich ihr dankbar -, und zwar nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kolleginnen und Kollegen. Liebe Susanne, ganz herzlichen Dank! Und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Das wollte ich an dieser Stelle auch noch mal loswerden. 

Meine Damen und Herren, wir sorgen dafür, dass 1,3 Millionen Menschen von der Grundrente profitieren. Es geht um einen Zuschlag auf die Rente für diejenigen, die hart gearbeitet haben - und zwar ohne Anträge auszufüllen. Es wird ja viel über Bürokratie gesprochen in diesem Zusammenhang. Dass wir die Bürgerinnen und Bürger durch einen automatischen Abgleich zwischen Rentenversicherung und den Finanzbehörden letztendlich von Bürokratie freihalten, dass wir sie nicht mit Anträgen belasten, das macht für mich einen modernen Sozialstaat aus, meine Damen und Herren.

Es geht nämlich nicht darum, irgendwelche Almosen zu verteilen. Die Menschen haben sich den Anspruch erworben. Es geht um eine Grundrente und nicht um Almosen an diesem Punkt. Deshalb ist es der richtige Weg, dass wir das automatisch machen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit der Grundrente erneuern wird ein Kernversprechen unseres Sozialstaats: Wer sein Leben lang gearbeitet hat, ist auch im Alter abgesichert. Er und sie gehören zur sozialen Mitte unserer Gesellschaft. Darum muss es gehen.

Ich bitte Sie also heute um Zustimmung für die Einführung der Grundrente in Deutschland.

Herzlichen Dank.

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