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- 02.08.2018
Kurz vor den Präsidentschaftswahlen in den USA im November 2016 strahlte die ARD eine Sendung mit einem fast prophetischen Titel aus. "Der Angstmacher – Warum Trump Clinton schlagen kann" hieß die Dokumentation, die die Zuschauer mit auf eine Reise durch die Vereinigten Staaten und in die Seele dieser politisch so tief gespaltenen Nation nahm. Wer sich je gefragt haben sollte, warum gewerkschaftlich organisierte Arbeiter, die in ihrem gesamten politischen Leben stets für die Demokraten gestimmt haben, nun ihr Kreuz bei einem New Yorker Immobilien-Milliardär machen, fand in diesem Film eine Antwort. Kameraschwenks über trostlose Industriebrachen ließ erahnen, wie sehr der Niedergang in diesen Staaten die Seelen einstmals stolzer Arbeiter verletzt hatte. Frust statt Hoffnung, Niedergang statt Aufbruch – es war ein politisches Lehrstück, wie wirtschaftliche Strukturbrüche Menschen anfällig machen für populistische Parolen a la "Make America great again".
Strukturwandel und Strukturbrüche – das gibt es aber auch in Deutschland. In meiner niedersächsischen Heimatstadt Peine arbeiteten vor nicht ganz 40 Jahren noch rund 10.000 Menschen im Stahlwerk – bei einer Einwohnerzahl von 50.000. Heute sind es noch etwa 800. Trotzdem liegt die Arbeitslosigkeit mittlerweile unter dem Bundesschnitt.
Wie es dazu kam? Aktive Wirtschaftsförderung und clevere Ansiedlungspolitik, kommunale Beschäftigungsprogramme und gezielte Infrastrukturprojekte gingen Hand in Hand. Und ja, auch Sozialpartnerschaft, Vorruhestandsregeln und öffentliche Fördergelder trugen dazu bei, diesen Strukturwandel zu meistern.
Als ich in den Neunzigerjahren beruflich nach Brandenburg ging, lernte ich die Strukturbrüche nach dem Ende der DDR kennen. In kürzester Zeit gingen industrielle Kerne kaputt, Millionen von Menschen verloren ihre Arbeit. Diese umfassende Transformationserfahrung verursachte Traumata – die tief sitzenden wirtschaftlichen und politischen Folgen spüren wir noch heute.
Vor dem Hintergrund ehrgeiziger Klimaschutzziele wird nun hitzig über den Ausstieg aus der Braunkohle debattiert. Dieser Prozess ist schon energiewirtschaftlich nicht trivial – schließlich sichert noch heute allein die Braunkohle ein Viertel der Bruttostromproduktion in Deutschland. Doch was bedeutet das für die wirtschaftliche und soziale Zukunft in den Kohleregionen – neben der Lausitz also auch für das mitteldeutsche und das rheinische Revier?
Die große Koalition hat dazu die Kommission "Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung" ins Leben gerufen. Sie soll Vorschläge für einen Ausstiegspfad entwickeln, der für wirtschaftliche, ökologische und soziale Balancen sorgt. Gerade in den Braunkohlerevieren fragen sich die Menschen zu Recht, was die Politik konkret dafür tut, um eine gute Zukunft für ihre Heimat zu schaffen.
Für mich ist klar: Wir müssen den Wandel so gestalten, dass Strukturbrüche mit ihren unkalkulierbaren Auswirkungen vermieden werden. Und das heißt vor allem: Wir müssen nicht nur für die mehr als 20.000 Menschen Perspektiven schaffen, die derzeit direkt in der Braunkohleindustrie in Deutschland Arbeit haben, sondern für die gesamten Regionen.
Damit das gelingen kann, müssen sechs Aufgaben gelöst werden. Erstens: Die Infrastrukturen in den Regionen sollten gezielt und zügig verbessert werden. Vorstellbar ist ein Sonderbundesverkehrswegeplan, der vor Ort angedachte Straßen-, Schienen- und Digitalprojekte höher einstuft, um zügiger Planungsrecht zu schaffen. Der Bund muss die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen und für Planungsbeschleunigung sorgen.
Zweitens: Innovations- und Wirtschaftsförderung muss mit den regionalen Qualifikationspotenzialen verbunden werden. Mit Hilfe der Bundesagentur für Arbeit soll ein gezieltes Fachkräftemonitoring betrieben werden. Der Ausbau von öffentlichen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sollte im Schulterschluss von Bund und Ländern erfolgen.
Drittens: Wir benötigen besondere Förderbedingungen für die Regionen. Angesichts der Tatsache, dass es sich beim Strukturwandel in den Braunkohleregionen um einen politisch gewollten handelt, der auch europäischer Klimaschutzziele dient, sind mit der EU besondere Förderbedingungen für die Regionen zu verabreden.
Viertens: In den Regionen werden gezielt Bundes- und Landeseinrichtungen angesiedelt. Bund und Länder müssen sich verbindlich verpflichten, vor allem in den ostdeutschen Braunkohlerevieren gezielt Institutionen anzusiedeln.
Fünftens: Es müssen unter Zusammenführung vorhandener Strukturen agile Wirtschaftsförderungsagenturen geschaffen werden, die die Verbesserung der Standortbedingungen vorantreiben und Ansiedelungen begünstigen. Diese Agenturen müssen mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet werden.
Und sechstens: Der Bund sollte gemeinsam mit den Ländern intensive Gespräche mit deutschen Industrieunternehmen führen, um gezielte Ansiedlungen in Zukunftsbranchen zu betreiben.
Wenn der Strukturwandel in diesen Regionen gelingen soll, ist ein nationaler Kraftakt notwendig. Die Alternative sind Strukturbrüche mit unkalkulierbaren Folgen. Eine Politik, die mit Tatkraft und Realismus Perspektiven schafft, ist das beste Mittel gegen Populisten.