Wir brauchen gute Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter.
Dieses Fazit zog Dr. Rolf Schmachtenberg anlässlich eines Online-Projektbesuchs beim Gießener Projekt "ZuHAuSE" ("Zusammen leben – Housing First") am 15. Juli 2021. Bestätigt wurde er darin von den ehemals wohnungslosen Oliver und Simon, die durch das Projekt eine feste Bleibe gefunden haben. Und nicht nur das: Für die beiden Männer, die anonym bleiben möchten, bedeutet das Projekt Akzeptanz, Beistand und ganz praktische Hilfe in ihrer Lebenssituation.
Im Rahmen des seit 2016 mit Mitteln aus dem Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) und Bundesmitteln geförderten EHAP-Projektes "ZuHAuSE" wurden seit Januar 2016 in Gießen fast 1.000 wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen in ähnlich schwierigen Situationen, wie Oliver und Simon sie kennen, erreicht. Viele von ihnen fallen praktisch durch alle Raster
, erzählt die engagierte Sozialarbeiterin Sarah von Trott. Da es manche von ihnen nicht einmal bis zu einer Notunterbringung schafften, seien sie und ihr Kollege Constantin Potthoff Vertrauenspersonen und Vermittler zwischen den Menschen auf der Straße und den bestehenden Angeboten vor Ort.
Ziel des EHAP ist es, die Lebenssituation von armutsgefährdeten und von sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen zu verbessern.
Europäischer Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP)
Das Gießener EHAP-Projekt "ZuHAuSE" bildet die Brücke zwischen klassischer Straßensozialarbeit und dem "Housing First"-Ansatz. Derzeit sind es 15 Menschen, die wie Simon und Oliver in einer Wohnung leben, die ihnen ohne Vorbedingungen von der städtischen Wohnbaugesellschaft zur Verfügung gestellt wurde. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Gießen, Dietlind Grabe-Bolz, verwies darauf, dass es der Stadt Gießen nach wie vor ein wichtiges Anliegen sei, sozialen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Und das obwohl Gießen als Universitätsstadt über knappen Wohnraum verfüge. Dafür sei die Wohnbau-Gießen eine wichtige Stütze.
Der Housing-First-Ansatz ersetzt das sogenannte Stufenmodell, wobei die wohnungslosen Menschen zunächst bestimmte Stufen durchlaufen müssen, bis ihnen eine Wohnung zur Verfügung gestellt werden kann, erläutern die beiden Sozialarbeiter. Sie unterstützen die Menschen und stehen ihnen zur Seite auch wenn sie in eine Wohnung eingezogen sind. Vor allem dann, wenn sie in Krisen geraten. Dabei werden sie unterstützt von Dr. Astrid Dalizda, die als Psychologin und Psychotherapeutin dann zur Stelle ist, wenn professioneller Beistand notwendig ist. Daher ist auch die Erfolgsquote hoch. Nahezu 100 Prozent der Housing-First-Teilnehmenden gelingt die Stabilisierung. Das ist auch bei Oliver und Simon der Fall. Simon hat einen Arbeitsplatz gefunden und wurde von seinem Arbeitgeber extra für diesen Termin freigestellt.
EU-weit leben rund 700.000 Menschen ohne Obdach. Das ist eine beschämende Zahl, die wir so nicht länger hinnehmen wollen
, sagte Staatssekretär Dr. Schmachtenberg. Allerdings gehöre das Thema Obdach- und Wohnungslosigkeit zu den schwierigsten Themen der Sozialpolitik. Und da ist sich Dr. Schmachtenberg sicher: Dank der Grundsicherung muss eigentlich kein Mensch in Deutschland obdachlos sein; Mietkosten werden übernommen.
Somit seien professionelle Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ganz wesentlich, um Wohnungslosigkeit zu verhindern bzw. zu überwinden. Ideal sei, wenn es ihnen nicht nur gelinge, vertrauensvoll und zuverlässig mit den Hilfsbedürftigen zu arbeiten, sondern sie es auch verstünden, innerhalb des bestehenden Hilfesystems erfolgreich zu handeln, um die richtigen Kooperationspartner einzubeziehen.
Denn es gibt ein weiteres zentrales Ziel aller EHAP-Projekte: Die Verankerung vor Ort über den Förderzeitraum hinaus. So waren sich auch die Vertreter der anwesenden Kooperationspartner – neben der Stadt Gießen auch der Landkreis, die Wohnbau-Gießen und Vitos-Klinik – nicht nur voll des Lobes für das EHAP-Projekt, sondern sehen auch die Notwendigkeit zur Verstetigung des Projektes in kommunalen Strukturen nach dem Ende der Projektlaufzeit Mitte 2022.