Mit der digitalen Transformation stehen Unternehmen vor einem echten Paradigmenwechsel. Statt das Bestehende immer weiter zu optimieren, müssen sie Neuland gestalten lernen – auch mit Blick auf die Arbeitswelt. Anders als die Start-ups im Silicon Valley können sie damit nicht auf der "grünen Wiese" beginnen. Wie aber gelingt über Jahrzehnte gewachsenen Organisationen mit langer Erfolgsgeschichte der Weg in die digitale Zukunft? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des ISF München zeigen, wie es geht: Agil, beteiligungsorientiert und sozialpartnerschaftlich in Betrieblichen Praxislaboratorien. Sie wurden für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit-über das Projekt "WING" entwickelt und erfolgreich erprobt.
Die Betrieblichen Praxislaboratorien sind ein strategisches Instrument, mit dem Unternehmen den Umbruch in die digitale Arbeitswelt sozialpartnerschaftlich und gemeinsam mit den Beschäftigten gestalten können. Sie bieten die Möglichkeit, in einem offenen Transformationsprozess an der eigenen Organisation zu arbeiten und so deren Innovation voranzutreiben. Mit den Praxislaboratorien machen wir die Menschen zu Gestalterinnen und Gestaltern ihrer eigenen Arbeitswelt
, erklärte Dr. Tobias Kämpf, Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF München), im Rahmen der WING - Abschlusskonferenz "Wir gestalten Zukunft" in der Hauptstadtrepräsentanz der Robert Bosch GmbH in Berlin. Unsere Erfolgsformel lautet dabei: Agilität, konsequente Beteiligung und Sozialpartnerschaft.
Die Anwendungsbeispiele für solche Laboratorien reichen von der Einführung neuer digitaler Tools über neue Formen der Arbeitsorganisation bis hin zur Entwicklung neuer Führungskonzepte. Sie sind im Rahmen des Forschungsvorhabens "WING – Wissensarbeit im Unternehmen der Zukunft nachhaltig gestalten" und unter Federführung des Wissenschaftlerteams von Prof. Dr. Andreas Boes (ISF München) entwickelt worden. Mit der Praxis- und Transferplattform "Lern- und Experimentierräume" greift das Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Konzept der Praxislaboratorien auf und verfolgt so den darin angelegten Gestaltungsweg konsequent weiter.
Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, hob in seiner Keynote hervor:
Wir werden die Digitalisierung als Chance und Motor für den Fortschritt in der Arbeitswelt nutzen, um den Menschen und seine Fähigkeiten in den Mittelpunkt zu stellen. Dies fördern wir nicht nur mit den Experimentierräumen, sondern auch mit unserer Qualifizierungsoffensive oder der Brückenteilzeit, die flexibleres Arbeiten ermöglicht. Denn uns wird die Arbeit nicht ausgehen, es wird nur andere Arbeit sein.
Die Laboratorien sind wissenschaftlich evaluiert und haben den Praxistest erfolgreich bestanden. Sie stehen der Wirtschaft für eine breite Anwendung zur Verfügung.
Innerhalb des Programmzweigs "unternehmensWert: Mensch plus" im Kontext Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) setzen inzwischen rund 600 kleine und mittlere Unternehmen das neue Instrument ein. Erstmals erfolgreich erprobt wurde es bei der Robert Bosch GmbH. Teams aus den Bereichen Entwicklung und Vertrieb haben hier im Rahmen von Pilotlaboratorien unter wissenschaftlicher Begleitung die Gestaltung der digitalen Arbeitswelt selbst in die Hand genommen, Stellschrauben identifiziert, Lösungen gesucht und konkrete Gestaltungsideen erprobt. Mit Hilfe der Praxislaboratorien ist es uns gelungen, eingefahrene Wege zu verlassen und die Weichen zu stellen, um die Bosch-Arbeitswelt gemeinsam mit unseren Beschäftigten und dem Betriebsrat zu gestalten
, erläuterte Gerhard Steiger, Vorsitzender des Bereichsvorstands Chassis Systems Control, auf der Abschlusskonferenz des Projekts. Auch die Fiducia & GAD IT GmbH hat auf dem Weg zum agilen Unternehmen bereits gute Erfahrungen mit dem Aufbau eines Praxislaboratoriums gemacht. Auf der Agenda standen hier unter anderem die Entwicklung eines neuen Führungsleitbilds und die Ausgestaltung neuer Rollen in agilen Teams. Unser Lab-Team hat im Laufe der Zeit eine beispielhafte Dynamik und Gestaltungskompetenz entfaltet
, berichtete Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor Jörg Staff. So sind aus der Mitte der Belegschaft konkrete Handlungsvorschläge für die Themen entstanden, die über den Erfolg der Transformation unseres Unternehmens mitentscheiden.
Eine positive Bilanz zogen auch Gewerkschaften und Betriebsräte. Die Betrieblichen Praxislaboratorien bieten die Chance, den Umbruch gemeinsam mit den Beschäftigten und in sozialpartnerschaftlicher Tradition zu bewältigen
, erklärte Dr. habil. Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des WING-Projektpartners IG Metall. Sie stellen uns als Gewerkschaft aber auch vor die Herausforderung, uns für neue Formen der Kompromisssuche, des gemeinsamen Lernens und der agilen Mitbestimmung zu öffnen.
Für die Bewältigung des digitalen Umbruchs gibt es keinen Masterplan. Dies gilt nicht nur für Unternehmen, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Praxislaboratorien arbeiten deshalb in einem agilen Setting Schritt für Schritt an neuen Lösungen und setzen auf gemeinsames Lernen. In ihrem Zentrum stehen die Beschäftigten selbst. Eigenständig entwickeln und erproben sie in der Praxis die digitale Arbeitswelt der Zukunft. Zentraler Erfolgsfaktor in diesem Transformationsprozess ist Vertrauen. Die Basis der Laboratorien bildet deshalb ein sozialpartnerschaftlich besetzter Lenkungskreis aus Management und Betriebsräten. Dieser sorgt für Nachhaltigkeit und die Skalierung der Ergebnisse in die Fläche. Mit diesen Prinzipien haben die Labs ein Gestaltungspotenzial für die digitale Transformation, das über das einzelne Unternehmen hinausgeht. Konsequent und ernsthaft umgesetzt können sie zur Keimzelle eines gesamtgesellschaftlichen Aufbruchs werden, der Lust auf Zukunft macht und den Menschen ins Zentrum der Digitalisierung rückt
, betonte ISF-Wissenschaftler Kämpf abschließend.
Das Projekt WING
"WING – Wissensarbeit im Unternehmen der Zukunft nachhaltig gestalten" ist ein Verbundprojekt unter Leitung des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. – ISF München in Kooperation mit der IG Metall und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Laufzeit: 15.5.2014 bis 28.2.2019). Es wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) gefördert sowie durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fachlich begleitet. Wichtige Unternehmenspartner sind: Robert Bosch GmbH, Fiducia & GAD IT AG, Voith GmbH, VW Financial Services AG, Software AG, Audi AG und andrena objects ag.
Die Initiative Neue Qualität der Arbeit: Zukunft sichern, Arbeit gestalten
Attraktive Arbeitsbedingungen sind heute mehr denn je ein Schlüssel für Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland und bilden die Grundlage für eine erfolgreiche Fachkräftesicherung in Unternehmen und Verwaltungen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unterstützt daher mit der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) eine Plattform, auf der sich Verbände und Institutionen der Wirtschaft, Unternehmen, Gewerkschaften, die Bundesagentur für Arbeit, Sozialversicherungsträger, Kammern und Stiftungen gemeinsam mit der Politik für eine neue, nachhaltige Arbeitskultur einsetzen – entlang der Themenfelder Personalführung, Gesundheit, Wissen & Kompetenz sowie Chancengleichheit & Diversity. Als unabhängiges Netzwerk bietet die Initiative konkrete Beratungs- und Informationsangebote für Betriebe und Verwaltungen sowie vielfältige Austauschmöglichkeiten in zahlreichen – auch regionalen – Unternehmens- und Branchennetzwerken.