Wie kann Inklusion funktionieren, welche Sozialleistungen stehen Menschen mit Behinderung zu und wie wird Behinderung klassifiziert? Fragen wie diese standen im Mittelpunkt des Austauschs mit einer Delegation aus Brasilien, die vom 22. bis 24. Februar 2016 zu Gast im Bundesministerium für Arbeit und Soziales war. Hintergrund des Besuchs war ein Projekt, das im vergangenen Jahr im Rahmen der deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen vereinbart wurde.
Staatssekretärin Yasmin Fahimi hob bei ihrer Begrüßung hervor:
Die Frage, anhand welcher Instrumente wir Behinderung einstufen, ist ein zentraler Punkt für Menschen mit Behinderung, über den wir uns auch international austauschen. Denn das ist ein Ausgangspunkt für echte Teilhabe, von der wir in vielen Bereichen noch ein gutes Stück entfernt sind. Das muss sich dringend ändern.
Dies sei nicht nur ein Gebot der UN-Behindertenrechtskonvention. Bei der Inklusion am Arbeitsmarkt spiele auch der wirtschaftliche Faktor eine nicht zu unterschätzende Rolle: Wir können es uns nicht leisten, auf die Fähigkeiten und Potenziale einer ganzen Personengruppe zu verzichten - weder in Deutschland noch in Brasilien.
Von zentralem Interesse war für die brasilianische Delegation während ihres dreitägigen Aufenthalts die Frage, wie die "International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)" der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Deutschland angewendet wird. Mit der ICF gab die WHO 2001 die rein medizinische Klassifikation von Behinderung auf und erweiterte sie um den sogenannten "biopsychosozialen Ansatz". Dieser Ansatz sieht Behinderung nicht mehr als ein individuelles Defizit, sondern bezieht in die Einstufung von Behinderung auch soziale und umweltbedingte Barrieren ein.
Neben diversen Fachvorträgen zum deutschen Sozialsystem und zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland bot das Programm deswegen auch Vorträge darüber, wie stark die ICF in der deutschen Versorgungsmedizin, also zum Beispiel bei der Ausstellung von Schwerbehindertenausweisen, berücksichtigt wird. Besuche bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) boten zudem Einblicke in die Begutachtungs-Praxis bei den Sozialversicherungsträgern und ihre Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderung. Ebenfalls auf dem Programm standen Besuche im Unfallkrankenhaus Marzahn und in einer Rehabilitationsfachklinik in Hoppegarten sowie beim Berufsförderungswerk Berlin-Brandenburg e.V.
Innerhalb des Projektes wird bis Sommer 2016 eine Vergleichsstudie zwischen DEU und BRA erstellt. In dieser Studie wird das deutsche Modell der Bewertung von Behinderungen zum Zwecke der Gewährung von Sozialversicherungsleistungen untersucht und mit dem brasilianischen Modell verglichen. Diese wird auf einer Abschlussveranstaltung in Brasilien im Oktober 2016 vorgestellt, zu der das BMAS von der brasilianischen Delegation eingeladen wurde.