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"Wir brauchen mehr gute Arbeit, die nach Tariflöhnen bezahlt wird"

Interview von Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, mit der
Rheinischen Post.

Datum:
20.01.2024

Rheinische Post: Herr Heil, das Jahr beginnt überaus unruhig, die Bauern und weitere Berufsgruppen sind auf der Straße. Wie erklären Sie sich diese große Unzufriedenheit?

Hubertus Heil: Die Gesellschaft ist in den letzten Jahren stark unter Druck geraten. Der russische Angriffskrieg hat zu hoher Inflation geführt, die viele Menschen belastet. Und der Bundespräsident hat Recht: Die Regierung gab in den letzten Monaten öffentlich keine gute Figur ab. Das ärgert mich, weil wir vieles richtig gemacht haben: Wir haben zwei Winter lang Gas-Notlagen verhindert, wir haben den Mindestlohn erhöht und ein Riesen-Paket zur Fachkräftesicherung verabschiedet. All das ist in den Hintergrund getreten, weil sich einzelne in der Koalition kleinteilig um sich selbst gedreht und sich öffentlich beharkt haben. Ich will, dass das jetzt besser wird, wenn wir den Haushalt verabschiedet haben. Dass wir uns dann auf die wesentlichen Aufgaben konzentrieren, um den Menschen wieder mehr Sicherheit zu geben.

RP: Was sind denn die wesentlichen Aufgaben der Regierung im Rest der Legislaturperiode?

Heil: Ganz wichtig ist, dass wir die Ukraine weiterhin im Krieg gegen Russland unterstützen. Deutschland leistet viel, jetzt gilt es auch unsere europäischen Partner zu mehr Engagement zu bewegen. Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen. Zweitens müssen wir die wirtschaftliche Modernisierung vorantreiben, damit Deutschland ein starkes Land bleibt. Drittens müssen wir weiter Politik für die arbeitenden Menschen machen. Deshalb sorgen wir jetzt mit einem Tariftreuegesetz für mehr Tariflöhne und wir stabilisieren die Rente langfristig. Viertens müssen wir unsere Demokratie gegen Feinde verteidigen, die mit Hass und Hetze das Land spalten wollen. Ich bin froh, dass gegen die widerlichen Vertreibungs- und Deportationsfantasien von Neonazis in dieser Gesellschaft jetzt ein Aufwachen stattfindet. Die vernünftige Mehrheit der Bundesbürger wird lauter.

RP: Was für ein Signal geht von dem AfD-Höhenflug aus – nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland?

Heil: Als Demokraten werden wir nicht zulassen, dass Rechtsradikale unsere Demokratie kaputt machen. Wer versucht Bürgerinnen und Bürger mit Einwanderungsgeschichte Angst zu machen, muss auf den klaren Widerstand der Anständigen treffen. Jedem muss klar sein, was die AfD ist: Ein Standortrisiko, eine Partei, die nicht nur unsere Demokratie angreift, sondern unserem Land auch wirtschaftlich und sozial schadet. Qualifizierte Fachkräfte, die wir für Deutschland dringend gewinnen müssen, werden nur dann kommen, wenn sie sicher sein können, dass sie hier nicht ausgegrenzt oder gar bedroht werden.

RP: Sind Sie zufrieden mit dem Beistand aus der Wirtschaft zu dieser Haltung?

Heil: Ich bin über jeden Wirtschaftsvertreter froh, der sich wie etwa BDI-Präsident Rußwurm klar gegen die AfD und Nazis positioniert. Man darf nicht den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Wir sind eine offene Gesellschaft, darauf gründet auch unser wirtschaftlicher Erfolg. Deutschland ist keine Insel. Unsere Volkswirtschaft ist international vernetzt. Rassismus und Nationalismus können wir uns auch deshalb nicht leisten.

RP: Was stimmt Sie optimistisch, dass es im Februar einen Neustart bei der Ampelkoalition geben wird?

Heil: Wer in der Koalition nicht begreift, dass es besser werden muss, der hat den Schuss nicht gehört. Selbst wenn man unter den Partnern nicht gleich derselben Meinung ist, redet man nicht schlecht übereinander. Man verhandelt Lösungen, die man dann auch gemeinsam vertritt. Wer Fortschritt will, muss begreifen, dass Kompromiss kein Schimpfwort ist in der Demokratie. Schließlich sind wir nicht in der Regierung, um parteipolitische Befindlichkeiten vor uns herzutragen, sondern um Probleme zu lösen.

RP: Der Finanzminister hat angekündigt, dass es in dieser Legislaturperiode kein Klimageld geben wird. Ist das eine gute Botschaft in Ihrem Sinne?

Heil: Klar ist, dass wir einen sozialen Ausgleich für die notwendige Klimaschutzpolitik brauchen.

RP: … und warum kommt es nicht schon 2025?

Heil: Offensichtlich sieht der Finanzminister derzeit die finanziellen Spielräume nicht. Es muss schnell entschieden werden, wie wir sozialen Ausgleich für Menschen mit unterem und mittlerem Einkommen schaffen, wenn der CO2-Preis deutlich steigt. Ich setze auf soziale Klimapolitik.

RP: Beim Bürgergeld wollen Sie Sanktionen wieder einführen, die die Ampel zuvor nahezu abgeschafft hatte. Warum diese Kehrtwende?

Heil: Beim Bürgergeld geht es darum, Menschen in Arbeit zu bringen. Dabei setzen wir auf Weiterbildung und gute Betreuung bei der Arbeitssuche. Aber wer wiederholt Arbeitsangebote ausschlägt, wird die Konsequenzen spüren. Das ist eine sehr kleine Gruppe, die nicht das gesamte System in Verruf bringen darf. Keinen Beitrag zur Lösung leisten allerdings Konservative wie Jens Spahn, die alle Bürgergeld-Empfänger unter den Generalverdacht stellen, faul zu sein. Das ist grundfalsch. Wir reden hier auch über Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Alleinerziehende, die auf Unterstützung angewiesen sind.

In der öffentlichen Diskussion kommt es gelegentlich zu Falsch­behauptungen über Leistungen oder Empfänger*innen des Bürgergeldes. Wir stellen deswegen gängige Falschaussagen und Richtigstellungen zum Bürgergeld für Sie gegenüber.

RP: Eine Studie des Ifo-Instituts hat ergeben, dass der Lohnabstand in bestimmten Fällen zwischen Selbstverdientem und Bürgergeld sehr gering ist. Wann wollen Sie für mehr Lohnabstand sorgen?

Heil: Arbeit macht nach wie vor einen Unterschied, das hat das Ifo-Institut bestätigt. Seit 2015 ist der Mindestlohn stärker gestiegen als die Grundsicherung. Wir brauchen mehr gute Arbeit, die nach Tariflöhnen bezahlt wird, das erhöht den Lohnabstand wirksam.

RP: CDU-Chef Merz sagt, es sei ein Fehler gewesen, Ukrainern sofort das Bürgergeld zu geben. Was antworten Sie ihm?

Heil: Entweder kennt sich Herr Merz nicht aus oder er redet wider besseren Wissens. Wir haben parteiübergreifend entschieden, die ukrainischen Geflüchteten von den Jobcentern betreuen zu lassen und unsere Kommunen dadurch von Kosten zu entlasten. Ukrainische Kriegsflüchtlinge haben einen Schutzstatus und durchlaufen kein Asylverfahren. Sie wären also nach kurzer Zeit ohnehin ins Bürgergeld gekommen. Diese Entscheidung nicht zu treffen, hätte im übrigen ein Behördenchaos angerichtet. Jetzt geht es darum, mit dem Job-Turbo die arbeitsfähigen Geflüchteten schneller in Arbeit zu bringen.

Die Themenseite zum Job-Turbo mit Hintergrundinformationen, Reden, Pressemeldungen und Interviews.

RP: Wenn der Haushalt Anfang Februar verabschiedet ist, kommt dann endlich das Rentenpaket II?

Heil: Ja, das ist in der Koalition fest vereinbart. Der Gesetzentwurf liegt vor und soll nach dem Haushaltsbeschluss zügig auf den Weg kommen. Wir stabilisieren die Rente und sichern das Rentenniveau ab. Das ist eine Frage der Leistungsgerechtigkeit, denn es profitieren die Menschen, die heute arbeiten und fleißig sind.

RP: Aber das müssen die Leistungsträger bezahlen, denen Sie zusätzliche Belastungen doch gerade nicht zumuten wollen.

Heil: Damit die Beiträge nicht so schnell steigen, müssen wir weiter für hohe Beschäftigung sorgen. Auch künftige Rentnerinnen und Rentner – und das sind ja die heutigen Leistungsträger – müssen die Sicherheit haben, dass sie später noch eine ordentliche Rente bekommen. Ohne unser Gesetz würde das Rentenniveau schon in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts absacken.

RP: Welchen Ausblick können Sie für 2024 den Rentnerinnen und Rentnern geben?

Heil: Genaue Zahlen liegen im März vor, aber der Rentenversicherungsbericht geht davon aus, dass in diesem Jahr die Rentenerhöhung wieder über der Inflationsrate liegen wird.

RP: Die Antragszahlen bei der Rente mit 63 liegen weiterhin deutlich über der Prognose der Regierung. Warum schaffen Sie sie nicht ab?

Heil: Es gibt gar keine Rente mit 63 mehr, das Eintrittsalter für besonders langjährig Versicherte liegt bei über 64 und wird auf 65 Jahre steigen. Und wer 45 Jahre lang gearbeitet hat, hat dann ein Recht darauf, früher abschlagsfrei in Rente zu gehen. Eine Rente mit 70, wie es viele Konservative wollen, wird es mit mir nicht geben. Das wäre eine Verschlechterung für alle jüngeren, die nach den Babyboomern geboren sind und heute mit ihren Beiträgen die Rente finanzieren. Viel wichtiger ist, dass wir die Beschäftigungsquote der 60- bis 64-Jährigen deutlich gesteigert haben.

RP: Was können Sie sich vorstellen, um das längere Arbeiten attraktiver zu machen?

Heil: Wir werden Anreize entwickeln, damit Menschen, die das können, freiwillig länger arbeiten. Dazu starten wir jetzt einen Dialog mit Wirtschaft und Gewerkschaften. Dazu gehört, dass die Arbeitsbedingungen so gut sind, dass Menschen nicht krank werden. Zudem haben wir seit Anfang 2023 die Zuverdienstgrenzen für alle abgeschafft, die vorzeitig in Rente gehen. Damit es sich auch für sie lohnt woanders zu arbeiten.

RP: In der SPD gärt es. Was muss Olaf Scholz tun, um die Partei hinter sich zu versammeln?

Heil: Die SPD steht hinter unserem Bundeskanzler. Gleichwohl gibt es in der Partei Sorge angesichts der aktuellen Performance von Teilen der Ampelkoalition und der Tatsache, dass Rechtsradikale in Umfragen stärker werden. Das ist aber für Sozialdemokraten ein Ansporn, das Richtige zu tun. Die SPD steht zu ihrer Verantwortung. Für alle gilt, dass wir die Dinge künftig besser machen und uns auf die wesentlichen Themen konzentrieren.

RP: Was muss der Kanzler besser machen?

Heil: Ich habe einen Riesenrespekt vor der Arbeit des Kanzlers, der unser Land in schwierigen Zeiten führt und klaren Kurs hält. Ich habe mich geärgert, dass einige in der Koalition ihn mit Dingen beschäftigt haben, die sie selbst hätten lösen müssen. Das muss aufhören.

RP: Die Ampel hält bis zum Ende der Legislaturperiode?

Heil: Ja. Aber Halten reicht nicht, Bessermachen ist jetzt die Devise. Dafür arbeite ich.

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