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"Es geht darum, dass KI den Menschen dient"

Interview von Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales,

mit der Neuen Osnabrücker Zeitung

Datum:
23.05.2023

Neue Osnabrücker Zeitung: Herr Minister, die Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch. Wird KI schon zur Jobvermittlung in der Bundesarbeitsagentur (BA) genutzt?

Hubertus Heil: KI bietet großes Potenzial, die Verwaltung besser zu machen, etwa beim sogenannten Matching von freien Stellen und Arbeitsuchenden. In der BA wird heute schon testweise KI eingesetzt, um bestimmte routinemäßige Aufgaben zu erledigen. Und im Arbeitsministerium setzen wir bereits auf KI, um Trends auf dem Arbeitsmarkt zu entdecken, einzuordnen und gestalten zu können.

NOZ: KI kann lästige Aufgaben übernehmen. Ist das eine riesige Chance für die Arbeitswelt von morgen?

Heil: Ja. Wir brauchen Künstliche Intelligenz in der Wirtschaft und der Industrie, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und sie schafft neue Möglich­keiten. Ich muss da an ein Beispiel aus meiner Heimat Niedersachsen denken: Dort hat ein Ingenieurdienstleister, der bislang für die Autoindustrie gearbeitet hat, eine Erdbeer-Pflückmaschine entwickelt, die KI nutzt. Zudem kann die KI die Arbeit humaner machen, etwa indem sie die Schichtpläne oder Weiter­bildung im Sinne der Beschäftigten optimiert. Es gibt also viele gute Gründe, aufgeschlossen zu sein. Es geht darum, dass KI den Menschen dient.

NOZ: Algorithmen könnten aber auch ganze Berufe oder sogar ganze Branchen hinwegraffen, oder?

Heil: Die gute Nachricht ist, dass uns durch KI die Arbeit nicht ausgehen wird. Aber wir müssen uns bewusst sein, dass KI in manchen Bereichen tatsächlich menschliche Arbeit ersetzen wird – etwa bei Handel, Banken und Versicher­ungen. Da wird es stark um berufliche Neuorientierung gehen. Auf der anderen Seite stehen die sozialen Dienstleistungen wie Bildung, Pflege und Gesundheit, wo die KI kaum menschliche Arbeit ersetzen kann. Aber auch dort kann sie den Menschen helfen, indem sie Pflegekräfte zum Beispiel von lästiger Bürokratie entlastet und ihnen mehr Zeit für die Arbeit am Menschen gibt.

NOZ: Die Transformation erwischt viele Menschen mitten im Erwerbsleben …

Heil: Genau, und deswegen habe ich im Bundestag ein Weiterbildungsgesetz eingebracht. Deutschland muss zur Weiterbildungsrepublik werden. In den betroffenen Branchen setzen wir jetzt schon stark auf Qualifizierung. Unternehmen, die stark vom Strukturwandel betroffen sind, wollen wir beim Weiterbilden unterstützen. Damit die Beschäftigten von heute auch die Arbeit von morgen machen können. 

NOZ: Wenn Digitalisierung und KI uns viel Arbeit abnehmen, reichen dann womöglich bald vier Tage? Eine Mehrheit der Gesellschaft ist dafür.

Heil: Da muss man differenzieren, KI führt zu anderer Arbeit, nicht per se zu weniger Arbeit. Es entstehen auch neue Berufe. Außerdem läuft mir die Debatte über die Vier-Tage-Woche zu plakativ. Die Vier-Tage-Woche ist in einigen Bereichen eine Möglichkeit, aber keine Schablone, die man auf alle Bereiche der Arbeitswelt legen kann.

NOZ: Berlins Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) will in der Berliner Verwaltung die Vier-Tage-Woche ausprobieren. Eine gute Idee?

Heil: Es ist wichtig, Sachen auszuprobieren. Wenn Unternehmen mit der Vier-Tage-Woche werben, um Fachkräfte zu gewinnen, mag das richtig sein. Ich habe diese Woche eine Malermeisterin besucht, die die Vier-Tage-Woche erfolgreich nutzt, um Fachkräfte zu gewinnen. Nur passt dieses Arbeitsmodell eben nicht in allen Branchen. Es ist Aufgabe von Gewerkschaften und Arbeit­gebern, darüber zu entscheiden, wo das sinnvoll ist. Für mich ist wichtig, dass wir durch flexible Arbeitszeitmodelle in unterschiedlichen Phasen des Erwerbslebens dafür sorgen, dass Arbeit zum Leben passt.

NOZ: Im Koalitionsvertrag ist eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten vereinbart. An vier Tagen für fünf arbeiten, 4 mal 10 Stunden, sind auch 40 Wochen­­stunden. Kommt das noch?

Heil: Erst mal möchte ich darauf hinweisen, dass das Arbeitszeitgesetz wichtig ist, weil es die Gesundheit von Menschen schützt. Die heutigen Regelungen sind auch nicht starr, in Deutschland gibt es flexible Arbeitszeitmodelle, vor allem im Rahmen von Tarifverträgen.

NOZ: Wie geht es weiter?

Heil: Wir haben jetzt einen Entwurf zur Arbeitszeiterfassung vorgelegt, um praxistauglich und pragmatisch nach der Entscheidung des Bundesarbeits­gerichts Rechtssicherheit zu schaffen. Alles Weitere aus dem Koalitionsvertrag arbeiten wir Stück für Stück ab, aber das Arbeitszeitgesetz wird nicht grund­sätzlich in Frage gestellt. Wir müssen aufpassen, dass wir keine neuen Probleme schaffen. Dank medizinischer Fortschritte und gesünderer Arbeits­plätze werden weniger Menschen im Job körperlich krank. Aber wir sehen eine große Zunahme an psychischen und seelischen Erkrankungen unter den Beschäftigten. Das hat auch mit Überlastung zu tun. Irgendwann muss auch mal Feierabend sein.

NOZ: Sprechen müssen wir auch über den Fachkräftemangel. Die Ampel hat viel angestoßen, von Fachkräftezuwanderung bis zur Qualifizierung. Aber reicht das, um den notwendigen Schub zu geben?

Heil: Der Fachkräftemangel ist schon in vielen Branchen sichtbar, von Hand­werk bis Pflege. Das ist vor allem Ergebnis einer positiven Entwicklung, denn noch nie waren in Deutschland so viele Menschen in Arbeit. Aber ab 2025 wird Fachkräftesicherung eine noch größere Aufgabe, ab dann gehen die Baby­boomer in die wohlverdiente Rente. Bis 2035 gilt es, rund sieben Millionen Arbeitskräfte zu ersetzen!  Deshalb werden wir alle Register ziehen. Wir sorgen für mehr Ausbildung, mehr Weiterbildung, eine höhere Frauenerwerbs­beteiligung, eine bessere Inklusion von Menschen mit Handicap …  Und wir brauchen ergänzend auch qualifizierte Einwanderung. Das alles ist auf den Weg gebracht, damit fehlende Fachkräfte nicht zur Wachstumsbremse werden.

NOZ: Es fehlen auch schon Hunderttausende an Installateuren für Wärme­pumpen, Solardächer und Windkraftanlagen. Das wird die Energiewende dramatisch verzögern, oder nicht?

Heil: Das dürfen wir nicht zulassen! Wir müssen dafür neben den gerade erwähnten Punkten auch das Potenzial der 1,6 Millionen Menschen von 20 bis 30 Jahren heben, die keine Ausbildung haben. Und wir müssen das Handwerk stärken. Inzwischen macht die Hälfte eines Jahrgangs Abitur. Ganz oft drängen Eltern ihre Kinder danach zum Studieren. Etliche brechen ab. Das muss nicht sein. Deswegen ist die frühe Berufsorientierung so wichtig. Die BA bietet schon jetzt Berufsberatung ab der 7. Klasse vor Ort in den Schulen an. Ich wünsche mir, dass diese Möglichkeit noch mehr genutzt wird. Denn Deutschland braucht nicht nur Master, sondern auch Meister. Und in vielen Bereichen des Handwerks kann man richtig gut verdienen!

NOZ: Die Ampel setzt auch auf Fachkräftezuwanderung. Aber warum sollten junge, gut ausgebildete Menschen nach Deutschland kommen?

Heil: Wir stehen in Konkurrenz zu anderen Ländern, das stimmt. Darum machen wir es ja auch deutlich einfacher, zu uns zu kommen. Viele, die schon hier sind, sind froh und zufrieden, das höre ich in Gesprächen immer wieder. Aber wir räumen nicht nur Hürden aus dem Weg. Wir werden auch gemeinsam mit der Wirtschaft eine Anwerbe-Strategie in Ländern umsetzen, in denen es mehr junge und gut ausgebildete Menschen gibt, als der dortige Arbeitsmarkt aufnehmen kann. Diesen Menschen wollen wir in Deutschland eine Chance bieten. Wirtschaft und Bundesagentur für Arbeit arbeiten Hand in Hand und haben schon einen guten Blick dafür, wo gezielte Anwerbung lohnt.

NOZ: Und zwar?

Heil: Zum Beispiel werde ich im Juni gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock nach Brasilien reisen. Dort ist das Arbeitskräftepotenzial im Pflegebereich sehr groß. Und es gibt Absprachen mit Indonesien und Mexiko. Wir werden dabei sehr sensibel vorgehen, damit wir keinem Land die Arbeits­kräfte nehmen, die es selber braucht. Wir schaffen eine Win-Win-Win-Situation: Wir profitieren, die Herkunftsländer profitieren, etwa indem wir uns in der Ausbildung vor Ort engagieren, und die Menschen, die zu uns kommen, profitieren: Durch einen gut bezahlten Job für sie selbst und vielleicht auch durch die Möglichkeit, Familienangehörige in der Heimat finanziell zu unterstützen.

Mit einer zeit­gemäßen Aus­bildung, gezielten Weiter­bildungen und einer modernen Einwanderungs­politik wollen wir die Arbeit als Fach­kraft wieder attraktiver machen und Unternehmen bei der Fach­kräfte­sicherung unterstützen.

NOZ: Es sind schon viele junge Menschen hier, etwa Geflüchtete aus Syrien, die aber nicht arbeiten dürfen, weil sie in Asylverfahren festhängen. Immer wieder gibt es Rufe, ihnen den Spurwechsel zu ermöglichen …

Heil: Ja, wir brauchen pragmatische Lösungen für Menschen, die im Laufe viel zu langer Verfahren bei uns Fuß gefasst haben. Immer wieder sagen uns Unternehmen: Schiebt bitte nicht die Falschen ab! Und deswegen schafft die Ampel für diesen Personenkreis mit dem Chancenaufenthaltsgesetz neue Möglichkeiten, hierzubleiben und zu arbeiten, wenn sich die Menschen bemühen und wir sie brauchen. Die neuen Regeln sorgen für den notwendigen Pragmatismus. Grundsätzlich muss man aber Fachkräfteeinwanderung vom Asylrecht unterscheiden.

NOZ: Zum Abschluss zum Heizungsgesetz: Sieht der Minister für Soziales eine Gefahr, dass die Austauschpflicht viele Menschen überfordern könnte, gerade diejenigen mit schmalen Budgets?

Heil: Das werden wir verhindern! Aber bitte Vorsicht bei den Begrifflichkeiten. Es ist keine Austauschpflicht geplant, sondern Vorgaben für den Fall, dass die alte Heizung kaputtgeht, nicht mehr repariert werden kann und deshalb ohnehin eine Neuanschaffung ansteht. Und im Gesetzentwurf gibt es schon Ausnahmen und Übergangsfristen. Hinzu kommen gezielte Förderungen. Und dies noch vorab: Nichts zu tun ist keine Alternative. Auch der Wärmebereich muss einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

NOZ: Aber?

Heil: Aber wir müssen die Debatte über das Gebäudeenergiegesetz entgiften. Ich bin für Lösungen, die technisch machbar und sozial darstellbar sind. Klimaschutz braucht eine breite gesellschaftliche Akzeptanz und darf kein Projekt nur für Wohlbetuchte werden. Alle müssen die Chance haben, mitzukommen. Und deswegen wird meine Fraktion im parlamentarischen Verfahren darauf achten, dass niemand überfordert wird.

NOZ: Das klingt noch nach viel Arbeit. Wäre es ein Beinbruch für die Ampel, sich mehr Zeit zu nehmen und das Gesetz erst später zu beschließen oder erst später scharf zu stellen und nicht schon zum 1. Januar 2024?

Heil: Vernünftige Übergangsfristen wird es geben. Aber es ist notwendig, zügig Klarheit zu schaffen. Zwei Extreme gehen dabei nicht: So wie die CDU zu tun, als sei Nichtstun eine Alternative. Und andererseits blind für die höchst unterschiedlichen Lebensrealitäten von Hausbesitzern und Mieterinnen und Mietern zu sein, die ja alle in der kalten Jahreszeit heizen müssen. Wir werden im Gesetzgebungsverfahren für sozialen Klimaschutz sorgen. Das ist unser Anliegen, und so geht die SPD-Bundestagsfraktion in die Beratungen in den kommenden Wochen. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung hinbekommen.