- Datum:
- 03.06.2018
B.Z.: Wie hat der Bundesarbeitsminister sein erstes Geld verdient?
Hubertus Heil: Als Schüler habe ich in den Ferien eine ganze Reihe von Jobs gemacht. Mit 15 war ich Tellerwäscher bei Mövenpick am Flughafen Hannover. Ich habe im Straßenbau LKWs entladen und im Großlager von Aldi in der Küche für Fernfahrer gearbeitet.
B.Z.: Was haben Sie sich von Ihrem ersten Geld gekauft?
Heil: Mit Sicherheit war es eine Platte. Wahrscheinlich von den Ärzten.
B.Z.: Danach haben Sie ausschließlich in der Politik gearbeitet?
Heil: Mein Studium der Politikwissenschaften in Potsdam habe ich mir als studentischer Mitarbeiter im Brandenburger Landtag und bei einer Abgeordneten im Bundestag finanziert. Mit 25 habe ich das erste Mal für den Bundestag kandidiert und wurde in meinem Wahlkreis direkt gewählt und habe anschließend meinen Uni-Abschluss berufsbegleitend geschafft.
B.Z.: Was waren Ihre Eltern von Beruf?
Heil: Meine Mutter war Lehrerin für Englisch und Geschichte, mein Vater Sonderschullehrer. Er hat uns relativ früh verlassen – ich war sechs, mein Bruder zwei – und ist nach Mexiko gegangen. Weil er uns eine Menge Schulden hinterlassen hat, mussten wir aus unserem dörflichen Einfamilienhaus raus und in eine typische 70er-Jahre-Platte ziehen. Plötzlich war ich ein Schlüsselkind in einer Hochhaussiedlung. Damals habe ich erfahren, was sozialer Abstieg bedeutet. Aber ich hatte das Glück, dass uns meine Mutter auch ohne viel Geld eine ganze Menge an guter Bildung ermöglicht hat. Sie war voll berufstätig, was in den 70er Jahren in Westdeutschland für eine Alleinerziehende sehr schwer war. Das hat mich sehr geprägt. Meine Eltern leben beide nicht mehr. Ich bin meiner Mutter tief dankbar für ihr Liebe und das, was sie meinem Bruder und mir auf den Lebensweg gegeben hat.
B.Z.: Seit ihrem Amtsantritt begleitet Sie eine teilweise aggressive Hartz-IV-Debatte. Reformieren, weiterentwickeln, abschaffen – was wollen Sie?
Heil: Ich will keine abgehobenen Debatten führen, sondern den Lebensalltag der Menschen konkret verbessern. Bei denjenigen, die Grundsicherung beziehen, ist mein Ziel, sie - wo immer das möglich ist - in Arbeit zu bringen. Mit meinem Gesetzentwurf zum sozialen Arbeitsmarkt, den ich am Freitag vorgestellt habe, nehme ich den verfestigten Sockel von Langzeitarbeitslosen in den Blick, denen kurzfristige Maßnahmen nicht helfen. Sie bekommen die Chance, in Betrieben, Wohlfahrtsverbänden und Kommunen über einen Zeitraum von fünf Jahren sozialversicherungspflichtig zu arbeiten und zusätzlich individuelles Coaching. Dafür gibt es einen 100-prozentigen Lohnkostenzuschuss für die Arbeitgeber, den wir später langsam abschmelzen.
B.Z.: Woher kommen die 150.000 Stellen?
Heil: Die örtlichen Jobcenter nehmen Angebote entgegen, suchen aber auch selbst Arbeitsplätze in Unternehmen, Wohlfahrtsverbänden und Kommunen. Da geht es beispielsweise um Helfertätigkeiten im Handwerk, eine Tätigkeit im Bereich kommunaler Grünflächen oder darum, in Brandenburg als kommunaler Mitarbeiter die ehrenamtliche Feuerwehr zu unterstützen, indem da mal ein Zeugwart angestellt wird. Ich bin sicher: Helfende Hände werden gebraucht und Langzeitarbeitslose, brauchen eine realistische Chance auf richtige Arbeit, die sie leisten können.
B.Z.: Wer kann mitmachen?
Heil: Prinzipiell alle, die seit sechs Jahren im Leistungsbezug sind. Die Jobcenter entscheiden im Gespräch, für wen das passt, und machen Angebote. Dieser soziale Arbeitsmarkt soll den Menschen, die lange draußen waren, die Chance auf echte Arbeit geben. Die Teilnehmer werden Schritt für Schritt mobilisiert. Das ist die Brücke, die viele brauchen. Ich gehe davon aus, dass die Ersten im nächsten Jahr ihre Stellen antreten können.
B.Z.: Manche Leistungsempfänger sehen Hartz IV als eine Art Grundeinkommen, sie haben sich darin eingerichtet, arbeiten vielleicht ein bisschen schwarz. Was wollen sie dagegen tun?
Heil: Mir ist wichtig, dass wir uns vor der Unterstellung hüten, die Mehrzahl dieser Menschen sei faul. Das sind sehr schwierige Lebensschicksale. Es gibt ja das deutsche Sprichwort: Jeder ist seines Glückes Schmied. Aber wer sich ein bisschen im Leben auskennt, weiß: Nicht jeder Schmied hat Glück. Es kann etwas passieren, da kann man abrutschen. Und: Für die meisten Leute ist Arbeit mehr als Broterwerb. Es ist Teilhabe am Leben, Selbstbestätigung, Kolleginnen und Kollegen haben, sich im Leben zu spüren. Um das zu erreichen, brauchen wir beides: Chancen und eigene Anregungen.
B.Z.: Warum arbeitet dann auf vielen Spargelfeldern kein einziger Deutscher?
Heil: Nicht alle können auf dem Spargelfeld arbeiten, etwa weil sie gesundheitlich eingeschränkt sind. Aber andere können das. Deshalb ist Fordern und Fördern das richtige Prinzip.
B.Z.: Manche Hartz-IV-Empfänger arbeiten ja auch, allerdings schwarz.
Heil: Schwarzarbeit ist gegen Recht und Gesetz und Betrug an den Ehrlichen. Deshalb müssen wir mit dem Zoll stärker kontrollieren. Dafür wird die Bundesregierung den Zoll aufstocken.
B.Z.: Gehören nicht viele Bereiche des Hartz-IV-Systems einmal gründlich durchleuchtet? Etwa die Qualifizierungsmaßnahmen. Der Rechnungshof kam zu dem Schluss, die teuer eingekauften Kurse würden teilweise "planlos" verteilt. Wie reagieren Sie auf diesen Befund?
Heil: Wir hatten in der Vergangenheit tatsächlich das Problem, dass Langzeitarbeitslose auch mal durch kurzatmige Maßnahmen gejagt werden, die nichts bringen. Deshalb ist es wichtig, dass die Jobcenter so ausgestattet sind, damit so etwas nicht passiert. Ich will die Grundsicherung weiterentwickeln. Ich spreche dazu mit Praktikern und Betroffenen, wie wir das System Schritt für Schritt auf einen sich verändernden Arbeitsmarkt ausrichten, überflüssige Bürokratie abbauen und den Menschen in der Grundsicherung besser und gezielter helfen können. Ich möchte aber auch mal den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jobcenter für ihre Arbeit danken, die Menschen helfen, die es schwer haben.
B.Z.: Am Mittwoch haben Sie eine Qualifizierungsoffensive gestartet. U.a. wollen Sie die Weiterbildung von Beschäftigten fördern. Wie?
Heil: Grundsätzlich bleibt es natürlich die Aufgabe der Unternehmen selbst, für die Weiterqualifizierung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sorgen. Aber wir wollen und müssen unterstützen, dass das mehr stattfindet. Die Arbeitswelt ist durch Digitalisierung und neue Techniken im Umbruch. Die meisten Menschen, die 2030 arbeiten werden, sind jetzt schon ausgebildet! Die müssen wir weiter qualifizieren, damit sie den Anschluss nicht verlieren. Deshalb wollen wir die Qualifikationen, die in den Betrieben zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern besprochen werden, förderfähig machen.
B.Z.: Wie sieht das aus?
Heil: Geplant sind Zuschüsse zu den Kursen und zum Arbeitsentgelt, denn das ist ja Ausfallzeit. Dabei wollen wir bei kleinen Unternehmen besonders viel fördern, bei mittleren mittel und bei großen etwas weniger. Das ist auch für Handwerksbetriebe sehr interessant, auch dort schreitet die Digitalisierung voran. Das ist auch ein Beitrag zu Sicherung von Fachkräften. Wir wollen gute und gezielte Qualifizierung, die in den Betrieben gebraucht wird und den Beschäftigen nutzt. Unternehmen und Arbeitnehmer müssen das verabreden. Die Genehmigung für die Förderung erteilen dann die örtlichen Arbeitsagenturen. Ich bin fest überzeugt: Da ist gut angelegtes Geld. Wir müssen jetzt investieren, und mit vereinten Kräften dafür sorgen, dass wir im Wandel bestehen. Es geht um Wissen und Sicherheit für den digitalen Wandel.