- Anfang:
- 20.04.2023
- Ende:
- 20.04.2023
- Redner*in:
- Bundesminister Hubertus Heil
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
2017 hat die #MeToo-Debatte ans Licht gebracht, was viel zu lange im Verborgenen passierte, worüber hinter vorgehaltener Hand getuschelt wurde, wo viel zu viele viel zu oft weggeschaut haben. Die Rede ist von sexueller Belästigung und anderen Formen von Gewalt in der Arbeitswelt. Ich rede von mehrdeutigen Bemerkungen, von aufdringlichen Nachrichten, von Anrufen, von Fotos, von unerwünschten Berührungen, von Übergriffen, von Erpressung und von Gewalt.
Aber, meine Damen und Herren, egal ob am Filmset, in einem Supermarktlager, am Kopierer, auch hier im Deutschen Bundestag oder in einem Medienkonzern: Unser Staat muss sehr deutlich machen: Wir tolerieren keine Form von sexuellen Übergriffen! Wir tolerieren kein Mobbing. Und wir tolerieren keine Form von Gewalt in unserer Gesellschaft!
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, Tatsache ist aber auch, dass sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz Realität ist und leider keine Seltenheit. Jede elfte Beschäftigte in Deutschland war laut einer Studie davon schon betroffen, bis hin zur Gewalt. Die Dunkelziffer ist viel größer. Weltweit ist die Zahl sogar noch größer. Die Internationale Arbeitsorganisation hat erhoben, dass jede fünfte Beschäftigte – einmal, mehrmals, öfter – Opfer von solchen Übergriffen wird. Und die Opfer – das muss man sich vergegenwärtigen – leiden unter den Folgen oftmals ein Leben lang – körperlich und seelisch. Betroffen sind überwiegend Frauen, aber laut den Untersuchungen auch viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte oder Menschen, die offen queer leben.
Ich finde, das sind erschreckende Zahlen. Schließlich verbringen wir alle – die allermeisten erwachsenen Menschen im erwerbsfähigen Alter – unglaublich viel Lebenszeit in unserem Job. Für fast alle von uns ist Erwerbsarbeit eine Notwendigkeit. Viele arbeiten übrigens auch sehr gerne. Arbeit ist mehr als Broterwerb: Man leistet was, und frau auch. Man baut sich was auf. Man hat soziale Kontakte, ist unter Menschen. Man hat Kolleginnen und Kollegen.
Aber genau da liegt in diesem Falle eben auch das Problem. Denn in einer arbeitsteiligen Gesellschaft existieren meistens Formen von Abhängigkeiten, Hierarchien unter Kolleginnen und Kollegen, vor allen Dingen im Verhältnis zu Vorgesetzten. Aber wo Abhängigkeiten sind, ist die Gefahr für Übergriffe und Gewalt besonders hoch, auch weil die Täter oft davon ausgehen, nicht belangt zu werden; weil sie einkalkulieren, dass ihre Opfer aus Angst um den Arbeitsplatz eben keinen Widerstand leisten.
Videomittschnitt der Bundestagsrede von Bundesminister Hubertus Heil zum ILO-Übereinkommen Nr. 190 am 20. April 2023.
Video der Rede
Deshalb, meine Damen und Herren, müssen unser Staat, unsere Gesellschaft und unsere soziale Marktwirtschaft mit klaren Regeln Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute nach viel zu langer Debatte endlich den Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Übereinkommens 190 der Internationalen Arbeitsorganisation beschließen.
Wir setzen heute ein deutliches Zeichen für Respekt, für Gleichstellung, für ein faires Miteinander in der Arbeitswelt.
Ja, einige werden sagen: Wir haben in Deutschland doch eigentlich schon gute und tragfähige Regelungen in vielen Bereichen. Das stimmt ja auch. Wir haben das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Wir haben das Straf- und Deliktsrecht. Wir haben auch Verpflichtungen im Arbeitsschutzgesetz, dass Arbeit nicht krank machen darf. Ich bin froh und hoffnungsvoll, dass wir mit dem Bundesrat und dem Bundestag im Vermittlungsverfahren endlich auch eine Verständigung zum Hinweisgeberschutz bekommen, denn auch das ist wichtig in diesem Zusammenhang.
Aber was nützen die besten Gesetze, wenn es kein Bewusstsein für Rechtstreue gibt; wenn übrigens auch nicht kontrolliert wird und die Strafe auf dem Fuße folgt? Deshalb möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die dafür gekämpft haben, dass wir mit diesem Übereinkommen ein Signal setzen. Stellvertretend für viele Hunderttausende, die sich engagiert haben, begrüße ich ganz herzlich die Schauspielerin Ursula Karven, die eine Massenpetition an dieses Parlament und an die Bundesregierung gerichtet hat, und neben ihr die frühere Bundesjustiz- und -familienministerin Christine Lambrecht, die diese entgegengenommen hat und sich dafür starkgemacht hat. Ganz herzlichen Dank im Namen der Bundesregierung!
Ich bitte um Zustimmung dieses Hauses.
Herzlichen Dank.