- Anfang:
- 02.03.2023
- Ende:
- 02.03.2023
- Redner*in:
- Bundesminister Hubertus Heil
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir erleben aktuell eine Zeit, in der wir tagtäglich als Staat, als Volkswirtschaft, als Gesellschaft gefragt sind, Krisenmanagement zu leisten. Tatsache ist: Gemessen an den Befürchtungen des letzten Jahres, was die wirtschaftliche und soziale Entwicklung dieses Landes betrifft, haben wir in Deutschland deutlich gemacht, dass wir das können. Zum Beispiel haben wir den Arbeitsmarkt trotz der Wirtschaftskrise stabil gehalten.
Aber Deutschland, meine Damen und Herren, kann nicht nur Krisenmanagement, sondern Deutschland kann auch Fortschritt. Wir müssen deutlich machen: Bei aller Kraft, die Krisenmanagement kostet, müssen wir gleichzeitig wirtschaftlichen, ökologischen, aber eben auch sozialen Fortschritt machen.
Zum sozialen Fortschritt gehört, dass wir die Chancen von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt weiter verbessern, weil wir ihre Kompetenz brauchen – Stichwort "Fachkräftesicherung" –, aber vor allen Dingen deshalb, weil auch Menschen mit Behinderung ein Recht auf Teilhabe in dieser Gesellschaft haben, und für Teilhabe in dieser Gesellschaft ist der Arbeitsmarkt zentral.
Ich war im vergangenen Jahr bei der Firma thyssenkrupp in Duisburg, einem deutschen Traditionsunternehmen. Dieses Unternehmen hat in Duisburg einen betriebseigenen Inklusionsbereich für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Einschränkungen. Das sind alles Fachkräfte, die ihre ursprüngliche Tätigkeit im Unternehmen nicht mehr ausführen können, beispielsweise weil sie einen Unfall hatten oder eine schwere Erkrankung.
Ich habe dort einen jungen Mann kennengelernt, noch keine 30 Jahre, ein gelernter Stahlwerker. Dieser Mann hatte einen schweren Unfall und sitzt seitdem im Rollstuhl – ein schweres persönliches Schicksal. Aber er kann seine Arbeitskraft weiter ins Unternehmen einbringen und ist nun in der Metallverarbeitung tätig; denn das Unternehmen weiß, was es an ihm hat.
Meine Damen und Herren, ich finde, dieses Beispiel macht Mut. Aber wenn wir ganz offen und ehrlich miteinander reden, müssen wir feststellen: Es gibt zu wenig gute Beispiele in diesem Bereich.
Denn die bittere und statistisch erwiesene Realität in diesem Land ist, dass wir über Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel reden. Und gleichzeitig ist es so, dass Menschen mit Behinderung, die arbeitslos sind, im Schnitt höher qualifiziert sind als andere arbeitslose Menschen, es aber schwerer haben, Arbeit zu finden. Es ist ökonomischer Unfug, die Potenziale nicht zu erkennen, aber es ist auch sozial ungerecht, meine Damen und Herren. Deshalb müssen wir gemeinsam dafür sorgen – wenn ich sage "wir", meine ich: Wirtschaft und Staat gemeinsam –, dass wir mehr Menschen mit Behinderung in reguläre Arbeit bringen.
Man kann auch sagen: Nur ein inklusiver Arbeitsmarkt ist ein starker Arbeitsmarkt.
Das muss sich in Deutschland herumsprechen.
Videomittschnitt der Bundestagsrede von Bundesminister Hubertus Heil im Plenum des Bundestages zur ersten Lesung "Inklusiver Arbeitsmarkt" am 2. März 2023.
Video der Rede
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, genau dazu leistet auch der vorliegende Gesetzentwurf einen Beitrag. Ja, wir führen mit ihm eine vierte Staffel bei der Ausgleichsabgabe ein. Es geht um die sogenannten Null-Beschäftiger. Das sind Unternehmen, die eigentlich schon seit Jahren rechtlich verpflichtet sind, Menschen mit schweren Behinderungen einzustellen, es aber nicht tun. Leider sind es nicht wenige. Wir reden über 45.000 Firmen in Deutschland. Deswegen ist es richtig, dass sie in Zukunft mehr Ausgleichsabgabe zahlen. Ich will Ihnen auch sagen: Die Zeit der Ausreden muss vorbei sein.
Ich weiß natürlich auch: Viele Unternehmen in Deutschland beschäftigen schwerbehinderte Menschen; sie sind vorbildlich; sie gehen mit gutem Beispiel voran. Und nicht jedes Unternehmen hat die Ressourcen eines Global Players wie thyssenkrupp. Deswegen haben wir übrigens für kleine und mittlere Unternehmen auch Sonderregelungen vorgesehen.
Zudem unterstützen wir Arbeitgeber durch Einheitliche Ansprechstellen. Es gibt – das muss sich herumsprechen – über die Integrationsämter, über Einheitliche Ansprechstellen alle Möglichkeiten, Unterstützung zu bekommen, um inklusive Arbeitsplätze einzurichten. Wir haben gerade eine Debatte geführt über technischen Fortschritt, über Digitalisierung im Gesundheitswesen und über KI. Es gibt heute alle möglichen technische Möglichkeiten, Menschen mit Einschränkungen zu beschäftigen, und es gibt Förderung. Das macht eins deutlich, meine Damen und Herren: Die Zeit, sich aus der Verantwortung zu stehlen mit dem Hinweis, es sei zu teuer oder zu kompliziert, Menschen mit Behinderung einzustellen, muss vorbei sein.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz setzt eine Reihe von Verbesserungen zusätzlich um. Die Mittel der Ausgleichsabgabe werden in Zukunft zielgerichteter eingesetzt, und zwar vorrangig auf dem ersten Arbeitsmarkt. Wir beschleunigen die Bewilligungsverfahren der Integrationsämter, und wir machen auch das Budget für Arbeit attraktiver. All das zeigt: Wir handeln. Und: Wir können nicht nur Krisenmanagement, sondern auch Fortschritt. In der Inklusion von Menschen am Arbeitsmarkt steckt ein doppelter Fortschritt: ein wirtschaftlicher ohne Zweifel im Zeichen des Arbeitskräfte- und Fachkräftemangels, aber eben auch ein sozialer.
Meine Damen und Herren, ich hoffe auf gute Beratungen in diesem Bundestag. Niemand hält ein Parlament davon ab, einen sehr guten Gesetzentwurf noch besser zu machen.
Deshalb freue ich mich darauf.
Wir werden uns gut daran beteiligen. Aber am Ende zählt: Wir erreichen mit diesem Gesetz etwas, was jahrelang nicht möglich war. Ich bitte Sie um Unterstützung.
Herzlichen Dank.