- Anfang:
- 11.10.2018
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeit ist für die meisten Menschen in Deutschland nach wie vor mehr als Broterwerb. Es geht nicht nur darum, Geld zu verdienen. Es geht darum, teilzuhaben am gesellschaftlichen Leben. Es geht darum, Kolleginnen und Kollegen zu haben. Es geht darum, seine eigene Leistung zu spüren und dafür einen ordentlichen Lohn zu bekommen. Deshalb ist es gut, dass wir es in den vergangenen 20 Jahren, seit 1998, mit großen Anstrengungen als Gesellschaft, als Staat, als Wirtschaft geschafft haben, die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland zu überwinden.
Wir haben im Moment eine ausgezeichnete Lage am Arbeitsmarkt, die zweitniedrigste Erwerbslosenquote in der Europäischen Union, den höchsten Beschäftigungsstand seit der deutschen Einheit. Das ist etwas, worauf unser Land, unsere Gesellschaft, auch unsere Wirtschaft und der Staat gemeinsam stolz sein können.
Aber sosehr wir uns freuen können und sosehr ich mich als Arbeitsminister freue, dass wir die Massenarbeitslosigkeit überwunden haben, so sehr muss es uns umtreiben, dass wir Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland noch nicht überwunden haben. Das ist eine große Herausforderung. Wir dürfen uns damit nicht abfinden und resignieren, weil es um Menschen geht. Weil es um Menschen geht, die zum Beispiel in ihrer Familie in der zweiten oder dritten Generation den Anschluss an Arbeit nicht bekommen haben, weil es um Menschen geht, die beispielsweise erlebt haben, dass sie - weil ihr Betrieb kaputtgegangen ist - trotz guter Ausbildung über viele Jahre den Anschluss an Arbeit nicht gefunden haben, und weil es um Menschen geht, denen die Erwerbsbiographie durch persönliche Schicksalsschläge oder Ereignisse einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Besonders bedrückend ist, dass nach wie vor vor allen Dingen alleinerziehende Frauen in Deutschland - und damit auch ihre Kinder - eine Situation vorfinden, in der es für sie verdammt schwierig ist, in ordentliche Arbeit zu kommen, von der sie leben können. Das ist die klare Ansage heute: Nachdem wir es geschafft haben, die Massenarbeitslosigkeit zu überwinden und zurückzudrängen, machen wir uns jetzt mit diesem Gesetz auf den Weg, den verfestigten Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit zu überwinden. Das liegt im Interesse der Menschen, die wir nicht aufgeben wollen.
Wir wissen, dass die Betroffenen, von denen ich gerade gesprochen habe, den Weg zurück auf den Arbeitsmarkt bzw. in den Arbeitsmarkt nicht ohne gezielte Hilfen schaffen können. Wir alle haben in den letzten 30 Jahren Erfahrungen mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten gemacht, gute und schlechte. Aber in Bezug auf langzeitarbeitslose Menschen haben uns die Praktiker vor Ort in den Jobcentern immer eines ins Stammbuch geschrieben: Glaubt nicht, dass ihr mit kurzatmigen Maßnahmen oder mit Scheinbeschäftigung Menschen, die lange draußen sind, wirklich wieder in Arbeit bringt! Deshalb bereiten wir mit diesem Gesetz den Weg in den sozialen Arbeitsmarkt. Es geht um Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Aber es geht auch um Perspektiven auf einem sozialen Arbeitsmarkt. Dabei geht es um längerfristige Perspektiven und nicht um kurzatmige Maßnahmen. Wer lange draußen ist, braucht Hilfe, wieder hereinzukommen. Deshalb nimmt diese Bundesregierung in den nächsten Jahren zusätzlich zu den vorhandenen Eingliederungsmitteln 4 Milliarden Euro in die Hand. Das ist gut investiertes Geld, um Menschen Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben zu eröffnen.
Konkret schlagen wir vor, im Rahmen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht irgend ein neues Programm aufzulegen, sondern zwei Regelinstrumente zu schaffen, mit denen wir unter anderem Menschen helfen, die sehr arbeitsmarktfern sind, die lange draußen sind. Wir wollen Arbeitsverhältnisse in den ersten beiden Jahren mit Lohnkostenzuschüssen von 100 Prozent und begleitendem Coaching unterstützen. Dabei handelt es sich um sozialversicherungspflichtige Arbeit. Das ist der wesentliche Punkt. Es geht hier nicht um Arbeitsgelegenheiten oder 1-Euro-Jobs - das sind Instrumente, mit denen wir so unsere Erfahrungen gemacht haben -, sondern um richtige Arbeit, um Arbeit in Unternehmen, bei Kommunen und Trägern. Es ist besonders wichtig, dass wir uns darum kümmern, dass die Menschen, die lange draußen sind, über das begleitende Coaching Chancen bekommen, die Hindernisse, die sie im Leben haben, Stück für Stück zu überwinden. Auch das ist ein wesentlicher Fortschritt.
Nun wird im parlamentarischen Verfahren, das heute beginnt, über eine Frage sehr intensiv diskutiert werden, nämlich ab welcher Höhe der Zuschuss gewährt wird. Ich sage Ihnen, um Missverständnissen vorzubeugen - im Koalitionsvertrag steht: auf Mindestlohnbasis. Es geht hier nicht um Sozialdumping oder den Ausbau des Niedriglohnsektors. Das wird an der einen oder anderen Stelle fälschlicherweise so gesehen. Tatsächlich geht es um die sehr praktische und nicht ideologische Frage, ob wir in ausreichender Zahl Tätigkeiten auch bei Unternehmen und Kommunen bekommen, die tarifgebunden sind. Diese werden in jedem Fall Tariflohn zahlen müssen. Diese bleiben dann in einer Förderlücke hängen, wenn wir dieses Problem nicht beheben. Deshalb lautet meine herzliche Bitte an die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, in diesem Verfahren zu schauen, ob wir das, was der Deutsche Städtetag parteiübergreifend fordert, umsetzen können, nämlich statt des Mindestlohns den Tariflohn zugrunde zu legen.
Ich will für eine weitere Aufklärung sorgen. Menschen müssen nicht sieben Jahre langzeitarbeitslos sein, um die angesprochene Unterstützung zu bekommen. Vielmehr geht es um sieben Jahre Leistungsbezug, um sehr arbeitsmarktferne Personen. Diese können durchaus eine kurzzeitige Beschäftigung aufgenommen oder an einer Maßnahme teilgenommen haben. Wir wollen jedenfalls Menschen, die lange draußen waren, eine Perspektive geben. Dass wir dieses Instrument für alle Unternehmen in Deutschland öffnen und nicht mehr nur nach den Kriterien "gemeinnützig" und "wettbewerbsneutral" verfahren, ist der richtige Weg.
Zudem führen wir ein Instrument ein, um Menschen, die noch nicht so lange draußen sind, die mindestens zwei Jahre langzeitarbeitslos sind, mit Lohnkostenzuschüssen von 75 Prozent im ersten und 50 Prozent im zweiten Jahr des Arbeitsverhältnisses zu unterstützen.
Das alles hat ein Ziel: dafür zu sorgen, dass mehr Menschen in Deutschland die Chance haben, selbstbestimmt durch Arbeit sich und ihre Familien tatsächlich zu finanzieren. Das Gesetz ermöglicht Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Mein Appell lautet, nach vielen Jahren der Debatte nun den Weg des sozialen Arbeitsmarkts zu beschreiten und die gute wirtschaftliche Lage zu nutzen, um mehr Menschen Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben durch Arbeit in Deutschland zu eröffnen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.