- Datum:
- 05.06.2025
Frau Bas, wann sind Sie das letzte Mal mit Ihrer Harley Davidson gefahren?
Bärbel Bas: Im April. Da war richtig gutes Wetter. Ich bin eine Schön-Wetter-Fahrerin, bei Regen fahre ich nicht. Momentan steht die Maschine leider.
Stern: Dürfen Sie als Ministerin überhaupt noch Motorrad fahren?
Bas: Klar. Ich mache das einfach, da frage ich niemanden. Wenn ich den Helm aufhabe, erkennt mich eh niemand.
Stern: Wenn bei Ihrer Harley der Heckfender durchgerostet ist, könnten Sie ihn noch selbst schweißen?
Bas: Es ist lange her, dass ich das gelernt habe. Aber ich weiß nicht, ob ich mich heute da noch drantrauen würde. Nicht, dass ich es ganz kaputt mache.
Stern: Sie haben nach der Hauptschule im Pott mit 19 Schweißerin gelernt, gingen dann zur Duisburger Verkehrsgesellschaft, arbeiteten sich hoch. Was hat Ihr Lebensweg Sie für die Spitzenpolitik gelehrt?
Bas: Vor allem habe ich gelernt, wie wichtig das Team ist. Und dass man Chancen annehmen sollte. Ich habe mich nicht immer um neue Positionen gerissen. Aber wenn mir welche angeboten wurden, wie das Amt als Arbeitsministerin, habe ich immer "ja" gesagt.
Stern: Gibt es Momente, in denen Sie immer noch spüren, dass Sie als Tochter eines Busfahrers eine andere Herkunft haben? Die meisten Politiker und Politikerinnen stammen aus Akademikerfamilien.
Bas: Das erlebe ich immer wieder. Wenn manche aus schlauen Büchern zitieren, die ich nie gelesen habe. Oder wenn über klassische Musik gesprochen wird. Bei mir gab es in der Hauptschule nur "Oh du Fröhliche" auf der Blockflöte. Früher habe ich darunter gelitten, heute macht mir das nichts aus. Mir wurde das nicht von zu Hause mitgegeben, dafür habe ich andere Talente: Ich nehme die Leute ernst und höre gut zu.
Stern: Wem fühlen Sie sich näher, Arbeiterklasse oder gehobener Mittelschicht?
Bas: Ich fühle mich immer noch total geerdet, wohne seit Jahrzehnten zur Miete im Zehnfamilienhaus. Wenn ich länger in Berlin bin, kommt irgendwann der Punkt, wo ich wieder weg muss. Das merken dann auch meine Mitarbeiter. Hier werden andere Debatten geführt. Oft denke ich: Meine Nachbarn in Duisburg finden vieles zu abgehoben, über das wir hier reden.
Stern: Zum Beispiel?
Bas: Wir diskutieren hier in Berlin manchmal wochenlang über ein Thema und wenn ich dann nach Hause komme, mit den Nachbarn rede, merke ich, das hat hier niemanden interessiert. Umgekehrt merke ich: Wenn ein Thema in Duisburg ankommt, ist es ernst. Beim Heizungsgesetz war das so. Das Ruhrgebiet ist mein Seismograf: Wenn ich da was höre, heißt das, dass politisch die Hütte brennt.
Stern: Die SPD scheint dieses Gespür verloren zu haben. Bei der Bundestagswahl wählten nur noch zwölf Prozent der Arbeiter die einstige "Arbeiterpartei". Wie wollen Sie die anderen zurückgewinnen?
Bas: Wir haben als SPD mit unseren Themen nicht mehr den Kern getroffen, waren nicht mehr die Kümmerer-Partei, die überall präsent ist, ob im Sport- oder Schützenverein. Wir müssen den Menschen wieder klar machen: Wir sind die Partei, die für euch kämpft.
Stern: Das wollten vor Ihnen viele andere auch. Nur wie?
Bas: Wir müssen nicht nur von Gerechtigkeit sprechen, sondern sie in konkretes politisches Handeln umsetzen. Da ist in der SPD in der Vergangenheit eine Kluft entstanden.
Stern: Viele Menschen mit kleinem Einkommen finden das Bürgergeld, ein Herzensprojekt Ihres Amtsvorgängers, ungerecht. Weil sich für viele Arbeit nicht mehr zu lohnen scheint.
Bas: Ich erinnere mich noch an die Hartz-IV-Diskussion. Dieser Abstieg vom Arbeitslosengeld in die Grundsicherung, das haben uns besonders die, die lange gearbeitet haben, sehr übelgenommen. Mit der Bürgergeld-Reform haben wir da auch wieder einiges gutgemacht. Aber vielleicht auch an einigen Stellen überzogen.
Stern: Die Union will das Bürgergeld in seiner jetzigen Form abschaffen. Können Sie sich am Ende einigen?
Bas: Da gibt es eigentlich keinen Konflikt.
Stern: Huch?
Bas: Sie suchen natürlich nach Konflikten. Aber was bedeutet denn "Bürgergeld abschaffen”? Ich kann die Geldleistung, die Menschen ohne Arbeit erhalten, ja nicht abschaffen – nichts anderes ist das Bürgergeld. Ich werde die Grundsicherung also nicht abschaffen, weil das auch gar nicht geht.
Stern: Es geht also nur darum, das Wort loszuwerden?
Bas: Ich kann den Begriff Bürgergeld abschaffen. Das Wort dafür ist schließlich erstmal egal. Uns eint das Ziel, die Grundsicherung weiterzuentwickeln und treffsicherer zu machen.
Stern: Und was genau wird inhaltlich anders?
Bas: Es ist zwar so, dass der, der arbeitet, am Ende immer mehr Geld zur Verfügung hat – das wissen zum Glück inzwischen auch alle. Aber bei der Frage, wie wir die Höhe des Bürgergeldes an die Preisentwicklung anpassen, wollen wir wieder zurück zur alten Art der Berechnung, so haben wir es vereinbart. Dass das Bürgergeld 2023 verhältnismäßig stark angestiegen ist, hat zu viel Kritik geführt. Klar ist, dass das Existenzminimum immer gewährleistet sein muss. Darauf werde ich bei allen Schritten achten.
Stern: Wo sind für Sie roten Linien bei der Reform?
Bas: Eine rote Linie sind für mich Haushalte mit Kindern. Da kann man nicht einfach auf Null sanktionieren, wie es sich einige erträumen. Aber alle, die Leistungen erhalten, haben eine Mitwirkungspflicht. Da weiß ich die Union an meiner Seite. Wer Termine beim Jobcenter grundlos ausfallen lässt, muss schnell und klar sanktioniert werden. Das ist sonst unfair gegenüber allen, die sich anstrengen. Die gehen ja auch jeden Tag pünktlich zur Arbeit.
Stern: Versäumnisse bei Terminen können doch längst sanktioniert werden. Es hilft bloß nicht viel.
Bas: Es muss für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Jobcentern einfacher werden, Sanktionen einzusetzen. Und sie müssen schneller kommen und wo nötig auch verschärft werden.
Stern: Wann kommt Ihr Gesetz denn? CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann warnte bereits vor einem Schnellschuss – die Reform müsse sitzen.
Bas: Das stimmt, deshalb werten wir Studien und Berichte aus und werden dann noch in diesem Jahr Vorschläge vorlegen.
Stern: Die neue Grundsicherung kommt noch 2025?
Bas: Wir setzen das zügig um, wie schnell das Gesetz in Kraft tritt, hängt dann vom parlamentarischen Verfahren ab, aber da wird nichts rausgezögert. Wir müssen außerdem dringend etwas gegen Schwarzarbeit und Sozialleistungsmissbrauch tun, auch das ist mir wichtig.
Stern: Was schwebt Ihnen vor?
Bas: Bei mir in Duisburg gibt es in manchen Gegenden Sozialleistungsmissbrauch. In Deutschland gilt: Wer nicht genügend Geld für sich und seine Familie verdient, kann ergänzend Bürgergeld beantragen. Es gibt jedoch ausbeuterische Strukturen, die Menschen aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland locken und ihnen Mini-Arbeitsverträge anbieten. Gleichzeitig lassen sie diese Menschen Bürgergeld beantragen und schöpfen die staatlichen Mittel dann selbst ab! Das sind mafiöse Zustände, die wir zerschlagen müssen.
Stern: Wie wollen Sie das bekämpfen?
Bas: Wir brauchen einen besseren Datenaustausch, um groß angelegten Sozialleistungsmissbrauch wirksam zu bekämpfen. Hier müssen Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten: von Finanzämtern über die Jobcenter bis zu den Familienkassen und den Sicherheitsbehörden. Und wir müssen stärker überprüfen, ob jemand wirklich Anspruch auf Freizügigkeit hat. Denn zum Teil hat das System und es gibt Menschen, die werden in einem Van abgeholt und als Tagelöhner ausgebeutet. Das sehen die Leute und fragen sich: Warum tun die Behörden nichts? Da müssen wir viel härter durchgreifen. Das haben wir uns in der neuen Koalition auch vorgenommen.
Stern: In der Rentenpolitik sind Sie bereits vorgeprescht. Auch Beamte sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Wollten Sie damit der SPD-Basis vor Ihrer Kandidatur als Vorsitzende gefallen?
Bas: Für mich ist perspektivisch ein gemeinsames Versicherungssystem, in das alle Erwerbstätigen einzahlen, eine Frage der Gerechtigkeit. Und wir müssen darüber sprechen, wer heute eigentlich bei Bund, Land und Kommunen noch alles verbeamtet werden muss.
Stern: Wie meinen Sie das?
Bas: Die letzten Beamtenjahre entscheiden über die Höhe der Pension, während bei einem gesetzlichen Rentner das gesamte Arbeitsleben zählt. Die Folge: Der Unterschied zwischen einer Pflegefachkraft und einem ähnlich qualifizierten Beamten in einer anderen Branche ist gravierend. Klar, langfristig ein gemeinsames Versicherungssystem zu etablieren ist kompliziert. Aber wir sollten den Mut aufbringen, das zu diskutieren. Andere Länder haben den Systemwechsel geschafft. Wir haben uns bisher leider nicht getraut. Aber ich weiß schon, dass das ein Kraftakt wäre, der gut vorbereitet sein müsste und einen längeren Vorlauf bräuchte. Es geht ja nicht um diejenigen, die heute schon Beamte sind.
Stern: Sie fordern, dass auch Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Sollten die als politisches Signal zuerst rüberwechseln?
Bas: Persönlich hätte ich nichts dagegen. Seit ich Abgeordnete bin, bin ich gesetzlich krankenversichert. Ich möchte mit gutem Beispiel vorangehen und diese Debatte führen. Die Systeme, so wie sie heute sind, sind über lange Jahre gewachsen. Deshalb wäre es kein einfaches Rüberwechseln. Nächstes Jahr setzen wir eine Rentenkommission ein, die bis Mitte 2027 Vorschläge vorlegen wird. Aber davor stabilisieren wir erstmal das Rentenniveau, damit alle, die hart arbeiten, auch eine ordentliche Rente bekommen.
Stern: Finanzminister Lars Klingbeil verlangt von allen Ministerien Einsparungen. Wo wird die Arbeitsministerin weniger Geld ausgeben?
Bas: Wir werden uns an die Vorgaben des Finanzministers halten. Wie, das bespreche ich zuerst mit dem Bundesfinanzminister und dann mit dem Stern.
Stern: Und wie wollen Sie als Arbeitsministerium dazu beitragen, dass die Wirtschaft wieder aus dem Knick kommt?
Bas: Das wird nicht einfach, viele Branchen stehen wegen der US-Zölle massiv unter Druck. Wir setzen massiv mit Investitionsanreizen dagegen, denn Wachstum hat für uns oberste Priorität. Mein Ziel ist es, möglichst viele Industriearbeitsplätze in Deutschland zu erhalten. Und Menschen, deren Arbeitsplätze bedroht sind, müssen wir auf freie Stellen in andere Branchen vermitteln. Durch Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen.
Stern: Das sind viele große Aufgaben für Sie als Arbeitsministerin. Trotzdem wollen Sie auch noch SPD-Chefin werden. Loyale Koalitionspartnerin, erneuernde SPD-Vorsitzende: Kann nur schiefgehen, oder?
Bas: Kann und muss gut werden. Dafür tue ich mein Bestes.
Stern: SPD-Chef Lars Klingbeil hat einen "Generationenwechsel" versprochen, einen Neustart. Sie sind nun seit 15 Jahren in der Spitzenpolitik…
Bas: …und schon 57, zugegeben, ich bin jetzt nicht der Generationenwechsel. Aber ich spreche dadurch auch andere Zielgruppen an als Lars Klingbeil, der jünger ist als ich. Wir sind unterschiedliche Typen, sprechen eine unterschiedliche Sprache. Das passt gut zusammen. Wir wollen gemeinsam erfolgreich sein.
Stern: Wenn Ihnen Teamplay so wichtig ist: Was ist im Umgang mit Saskia Esken, der scheidenden SPD-Chefin, schiefgegangen?
Bas: Frauen in Führungspositionen werden kritischer beäugt als Männer, ich habe das selbst mehrfach erlebt. Da wird dreimal geguckt, auf die öffentliche Performance, auch auf Äußerlichkeiten. Ich hätte mir gewünscht, dass Saskia Esken mit am Kabinettstisch sitzt. Sie hat am Ende den Jüngeren den Vortritt gelassen, das verdient Respekt.
Stern: SPD-Chef Klingbeil hat schon 2029 in Blick. Wann stellt die SPD die erste Bundeskanzlerin?
Bas: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.
Stern: Könnte sie Bärbel Bas heißen?
Bas: Nein. Wie alt bin ich dann? Irgendwann wollte ich tatsächlich meine Work-Life-Balance zumindest im Alter umsetzen. Und wieder mehr Motorrad fahren.