- Datum:
- 21.11.2024
Rhein-Zeitung: Herr Heil, Sie sind gerade 52 geworden. Nach derzeitigem Stand könnten Sie im Jahr 2039 mit 67 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Haben Sie schon mal durchgerechnet, was Sie dann als Altersruhegeld erwartet?
Hubertus Heil: Ich denke derzeit nicht an meine Rente, sondern daran, wie wir die Renten für alle Generationen sichern können. Es geht also um verlässliche und stabile Renten sowohl für die 22 Millionen Rentnerinnen und Rentner von heute, die sich das ja nach jahrzehntelanger Arbeit verdient haben, als auch um die Alterssicherung für die Jüngeren.
Rhein-Zeitung: Ihr Rentenpaket II liegt gerade auf Eis. Könnten Sie mir mit Brief und Siegel geben, dass ich 2039 mit 67 Jahren tatsächlich mit den Bezügen in Ruhestand gehen kann, die auf meinem Rentenbescheid stehen? Oder muss ich doch bis 70 arbeiten?
Hubertus Heil: Wenn die SPD regiert, wird es keine Rente mit 70 geben. Viele Menschen, die früh angefangen haben zu arbeiten - etwa mit 16 oder 17 Jahren - können nicht so lange durchhalten. Für Beschäftigte im Bauhandwerk oder in der Pflege wäre ein höheres gesetzliches Renteneintrittsalter eine Rentenkürzung. Das mache ich nicht mit. Mir geht es um flexible Übergänge für die, die länger arbeiten können und wollen und um dauerhaft stabile Renten. Die CDU will offenbar, dass die Rentnerinnen und Rentner im Verhältnis zu arbeitenden Bevölkerung ärmer werden. Das ist respektlos: Wenn die Löhne steigen, müssen auch die Renten entsprechend steigen, sonst verlieren die Rentnerinnen und Rentner Kaufkraft. Deshalb müssen wir das Rentenniveau dauerhaft stabilisieren.
Rhein-Zeitung: Klingt gut. Doch wie soll das finanziert werden? Schon jetzt fließen 110 Milliarden Euro pro Jahr aus dem Bundeshaushalt in die Rente. Wie soll das erst werden, wenn die 13 Millionen Babyboomer, die das Rentensystem derzeit noch halbwegs stabilisieren, die Seiten wechseln?
Hubertus Heil: Je mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter in Arbeit sind, desto stabiler ist die gesetzliche Rente. Heute arbeiten fünf Millionen Menschen mehr als vor Jahren noch prognostiziert.
Der Anteil vom Bruttoinlandsprodukt, den wir für die Rente ausgeben, ist seit Jahrzehnten stabil. Auch im internationalen Vergleich geben wir nicht überdurchschnittlich viel für die Alterssicherung aus. Die gesetzliche Rente wird seit Jahrzehnten von Menschen schlecht geredet, die gar nicht auf sie angewiesen sind. Sie ist deutlich besser und stabiler als ihr Ruf. Seit ich Minister bin, ist der Beitrag nicht gestiegen - im Gegenteil: Er ist heute geringer als zu Helmut Kohls Zeiten. Das haben wir geschafft, weil wir unsere Hausaufgaben am Arbeitsmarkt gemacht haben. Der Schlüssel ist, dass wir alle Register ziehen müssen, um Fachkräfte zu sichern. Es geht um Aus- und Weiterbildung, um ausreichende Kinderbetreuung, damit mehr Frauen arbeiten können und um gute Arbeitsbedingungen damit die Menschen nicht in Frührente gehen müssen. Und wir brauchen auch qualifizierte, gesteuerte Einwanderung für unseren Arbeitsmarkt.
Rhein-Zeitung: Eine Option, die Rente auf breitere Füße zu stellen, wäre es ja, auch Beamte und Selbstständige einzahlen zu lassen. Warum spricht das kaum in Politiker offen an?
Hubertus Heil: Erst einmal geht es jetzt darum, dass für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die gesetzliche Rente langfristig stabil bleibt. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass Selbständige Schritt für Schritt besser abgesichert werden, damit auch sie im Alter auf eine solide finanzielle Grundlage vertrauen können. Darüberhinausgehende Pläne müssten sehr genau mit den Möglichkeiten von Ländern und Kommunen abgeglichen werden.
Rhein-Zeitung: Welche Potenziale können denn noch ausgeschöpft werden?
Hubertus Heil: Wir haben etwa 1,6 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 ohne Ausbildung. Und die enden oft in der Langzeitarbeitslosigkeit. Wenn wir uns die Frauenerwerbsbeteiligung anschauen, stellen wir fest, dass sie erstaunlich gestiegen ist. Und gleichzeitig haben wir immer noch zu viele Frauen, die ungewollt in Teilzeit sind. Das müssen wir ändern.
Rhein-Zeitung: Sie haben das Thema legale Migration angesprochen. Vor rund einem Jahr haben Sie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz novelliert. Können wir das auch ohne Bürokratie?
Hubertus Heil: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz regelt genau das: Gesteuerte Einwanderung, die so unbürokratisch wie möglich abläuft. Die CDU hat, so lange sie an der Macht war, ein modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz verhindert. Seit einem Jahr ist unser Gesetz nun in Kraft, und wir verzeichnen jetzt schon eine deutliche Zunahme der Arbeitskräftevisa. Auch die Anfragen haben sich verstärkt. Deutschland ist ein attraktives Land für internationale Fachkräfte.
Rhein-Zeitung: Kommen wir zur nächsten Baustelle - dem Bürgergeld. War es nicht ein großer Fehler, ausgerechnet in Zeiten des Fachkräftemangels die Sozialleistungen so kräftig zu erhöhen?
Hubertus Heil: Das Bürgergeld ist eine Grundsicherung - nicht mehr und nicht weniger. Es bleibt das Ziel, wo immer es geht, Menschen aus dieser Grundsicherung heraus in Arbeit zu bringen. Tatsache ist aber auch, dass ein überwiegender Teil der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung hat, was wir durch gezielte Qualifizierung ändern müssen, um sie dauerhaft in Arbeit zu bringen. Das leistet einen wichtigen Beitrag zur Arbeits- und Fachkräftesicherung.
Zudem gibt es auch Sanktionen für diejenigen, die nicht mitwirken. Aber wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass 20% der Menschen im Bürgergeld arbeiten. Das sind oft alleinerziehende Frauen mit niedrigen Löhnen oder in Teilzeit, die im Bürgergeldbezug aufstocken, um über die Runden zu kommen. Um diese Frauen aus der Bedürftigkeit zu bringen, brauchen wir bessere Löhne und eine bessere Kinderbetreuung.
Rhein-Zeitung: Einige Medien schreiben, dass Ihnen die Kosten gerade um die Ohren fliegen. Können Sie konkrete Zahlen nennen?
Hubertus Heil: Da habe ich ganz wilde Spekulationen gelesen. Die Wahrheit ist: Wenn die Konjunktur lahmt, wirkt sich das auf die Grundsicherung aus. Der beste Weg, um Kosten beim Bürgergeld zu sparen, ist es, Menschen in Arbeit zu bringen. Dafür müssen wir die Wirtschaft in Schwung bringen und durch Qualifizierung Brücken in den Arbeitsmarkt bauen.
Rhein-Zeitung: Kommen wir mal zu den Ukrainern. Diese Gruppe von Flüchtlingen ist gut ausgebildet, aber dennoch schlecht in den Arbeitsmarkt integriert. In anderen Ländern wie den Niederlanden funktioniert das weitaus besser. Hat Ihr Jobturbo jetzt gezündet?
Hubertus Heil: Ja, der Jobturbo wirkt. Mittlerweile arbeiten über 270.000 bei Geflüchtete aus der Ukraine bei uns, zahlen Steuern und bringen sich ein. Viele von ihnen sind Frauen mit Kindern, die vor Putins Bomben geflohen sind. Da muss man neben den Sprachproblemen auch ganz konkret die Kinderbetreuung organisieren, um den Weg in die Arbeit zu ermöglichen. Auch die Anerkennung von Berufsabschlüssen muss noch besser werden. Und trotz dieser Schwierigkeiten bringen wir jeden Monat Tausende Geflüchtete aus der Ukraine in Arbeit.
Rhein-Zeitung: Die Ampelkoalition ist am Ende. Und jetzt geht die SPD ausgerechnet mit einem der unbeliebtesten Kanzler der bundesdeutschen Geschichte in die Neuwahlen. Ist das nicht ein Himmelfahrtskommando?
Hubertus Heil: Olaf Scholz ist der Kanzler, der das Land durch schwierige Zeiten geführt hat. Und sie können davon ausgehen, dass die SPD sich personell und inhaltlich für die Bundestagswahl stark und geschlossen aufstellen wird.
Rhein-Zeitung: Wo sehen Sie sich persönlich im März? Als Arbeitsminister in einer Großen Koalition?
Hubertus Heil: Ich bewerbe mich erst mal um meinen Wahlkreis als Abgeordneter. Der Respekt gegenüber den Wählern gebietet es, jetzt nicht über Verwendungen nach der Wahl zu spekulieren. Jetzt geht es um ganz handfeste Themen: stabile Renten mit der SPD oder sinkendes Rentenniveau mit der CDU, anständige Löhne oder weniger Arbeitnehmerrechte. Ich kämpfe für eine starke SPD, um den Alltag der Menschen konkret besser zu machen.