- Datum:
- 17.09.2024
Neue Westfälische: Herr Heil, wir haben bei den Landtagswahlen im Osten gesehen, dass die aktuelle politische Entwicklung negativ eingeschätzt wird. Ist das etwas, was Ihnen auch begegnet?
Hubertus Heil: Wir leben in stürmischen Zeiten, in denen sich viele Menschen Sorgen machen. Die Aufgabe von verantwortungsbewusster demokratischer Politik ist, dass man keiner Diskussion aus dem Weg geht und mitbekommt, was Menschen bewegt. Ich mag darum solche Bürgerdialoge wie hier in Bielefeld.
Neue Westfälische: Müssten Sie dann nicht auch eine Tendenz in den Zustimmungswerten der SPD sehen?
Heil: Wir konzentrieren uns jetzt nicht auf Wahlkampf, sondern machen unsere Arbeit. Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen. Darum brauchen wir Lösungen für konkrete Probleme - und die liefern wir. Gestern hat das Kabinett beispielsweise ein Gesetz für bessere Betriebsrenten beschlossen. Und ich kämpfe weiter für mehr Tarifverträge. Wo Tarifverträge gelten, sind meist die Löhne und die Arbeitsbedingungen besser. Deshalb halte ich daran fest, dass Deutschland ein Tariftreuegesetz braucht und Aufträge des Staates nur an Unternehmen gehen, die sich daran halten. Das ist so in der Koalition vereinbart und wir werden das hinbekommen.
Neue Westfälische: Wie zufrieden sind Sie mit der Entscheidung der CDU, Friedrich Merz zum Kanzlerkandidaten zu ernennen? Bleibt der Kanzler der Kanzler?
Heil: Der Kanzler ist der Kanzler und auf den setzen wir. Mit der Entscheidung für Merz ist gerechnet worden, auch wenn er keinerlei Regierungserfahrung hat. Ich setze darauf, dass wir im nächsten Jahr einen Wahlkampf der klaren Alternativen hinbekommen, so wie es sich für eine Demokratie gehört. Es gibt erkennbare Unterschiede in den Konzepten und das ist auch gut so.
Neue Westfälische: Bei Intel haben wir zehn Milliarden in die Hand genommen, bei Thyssen Krupp und VW zögern wir, weniger in die Hand zu nehmen. Bei Intel wird das Geld jetzt zwei Jahre gebunkert. Was ist die Schlussfolgerung?
Heil: Wir müssen unsere wirtschaftliche Basis erneuern. Das geht nur mit einer aktiven Industriepolitik. Das gilt für die Stahlindustrie, die Automobilwirtschaft und die Digitalisierung. Wir brauchen Stahl und müssen ein starkes Automobilland bleiben. Wir haben als Staat Verantwortung übernommen, zum Beispiel bei Investitionen in grünen Stahl und Wasserstoff. Für die Stahlindustrie stehen milliardenschwere Investitionshilfen bereit. Zugleich wissen wir, dass wir noch Aufgaben vor uns haben. Wir müssen für faire Handelspolitik in Europa sorgen. Und wir müssen eine sichere, saubere Energieversorgung gewährleisten.
Zugleich müssen auch in den Unternehmen selbst faire Lösungen zwischen Unternehmensführung, Betriebsräten und Gewerkschaften gefunden werden. Bei VW und auch bei Thyssen sind in der Vergangenheit auch Management-Fehler passiert. Es wäre nicht fair, wenn dafür jetzt die Arbeitnehmer die Zeche zahlen müssten. Um Arbeitsplätze und Standorte zu sichern, ist jetzt die Stunde der Sozialpartnerschaft. Dafür müssen Unternehmensführung und Gewerkschaften Lösungen finden. Damit Deutschland ein starkes Industrieland bleibt.
Neue Westfälische: Gehen Bund und Land da Hand in Hand?
Heil: Ja. Die Förderbescheide für die Investitionen in die Stahlwerke sind zu 70 Prozent durch den Bund und zu 30 Prozent durch das Land finanziert. Das sind milliardenschwere Förderzusagen, zu denen wir stehen.
Neue Westfälische: Wie geht die Brandenburg-Wahl am Sonntag aus?
Heil: Das entscheiden die Bürgerinnen und Bürger. Ich sehe aber gute Chancen für Dietmar Woidke, denn er ist ein erfolgreicher und beliebter Ministerpräsident, dem die Menschen vertrauen. Ich kenne das Bundesland gut und weiß: Die SPD macht in Brandenburg gute Arbeit für die Menschen. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, große Unternehmen wurden angeworben und eine neue medizinische Hochschule wurde gebaut. Wenn ich das mit den 1990ern vergleiche, hat die SPD Brandenburg gutgetan, und das soll auch so bleiben.
Neue Westfälische: Wenn Sie richtig liegen, gibt das dann den Schub für Berlin?
Heil: Es geht am Sonntag um Brandenburg. Klar ist, dass wir mit Dietmar Woidke einen starken sozialdemokratischen Ministerpräsidenten behalten wollen.
Neue Westfälische: Was sagen Sie jungen Menschen, die Angst vor der Zukunft haben, davor, dass sie von ihrer Rente nicht werden leben können? Wie sorgen Sie für eine stabile Rente?
Heil: Dafür stellen wir jetzt die Weichen. Ich will, dass sich alle Generationen auf die gesetzliche Rente verlassen können. Darum müssen wir das Niveau der Rente dauerhaft stabilisieren. Wer verlässlich Beiträge einzahlt, muss dafür auch verlässlich etwas zurückbekommen. Es geht darum, den Generationenvertrag zu erneuern. Das ist nicht leicht, weil wir einen veränderten Aufbau der Gesellschaft haben. Grundsätzlich sorgt ein starker Arbeitsmarkt für stabile Renten. Und da sind wir in den letzten Jahren gut vorangekommen: Wir haben fünf Millionen Beschäftigte mehr als vor zehn Jahren prognostiziert. Der Beitrag zur Rentenversicherung ist seit Jahren stabil. Mein Ziel ist es, dass sich auch Jüngere auf die gesetzliche Rente verlassen können. Darum muss das Rentenpaket II beschlossen werden, das gerade im Bundestag ansteht. Es geht um eine dauerhafte Stabilisierung des Rentenniveaus.
Neue Westfälische: Friedrich Merz hat sich kürzlich dafür ausgesprochen, dass an der Rente mit 67 nicht gerüttelt wird, aber dass es Möglichkeiten geben muss, mit Abschlag früher in Rente zu gehen und länger zu arbeiten für einen Zuschlag.
Heil: Das ist ein Taschenspielertrick, so ist das System heute schon. Der Unterschied zwischen Friedrich Merz und mir liegt an einem anderen Punkt: Ich will, dass Menschen nach 45 Berufsjahren mit 64 oder 65 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen können. Das sind jene, die früh angefangen haben zu arbeiten und die einfach nicht bis 70 durchhalten. Herr Merz verschweigt, dass die CDU beschlossen hat, diese Möglichkeit abzuschaffen. Er verschweigt auch, dass die CDU beschlossen hat, für alle Stück für Stück das gesetzliche Renteneintrittsalter erhöhen zu wollen. Das ist nicht mein Weg. Wer will, kann und darf länger arbeiten. Dafür schaffen wir auch gerade neue Anreize. Aber viele können nicht bis 69 oder 70 arbeiten wie Herr Merz. Für die wäre eine Erhöhung des Renteneintrittsalters am Ende eine Rentenkürzung. Darum wird es mit mir keine Erhöhung beim gesetzlichen Renteneintrittsalter geben.