- Datum:
- 25.04.2024
DIE ZEIT: Herr Winkel, die Ampel hat versprochen, das Rentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent zu halten. Sie sind 32, glauben Sie, dass Ihre Rente sicher ist?
Johannes Winkel: Ich kenne kaum jemanden aus meiner Generation, der glaubt, dass unser Rentensystem zukunftsfest ist. Ich beobachte eine große Resignation unter jungen Leuten. Ich bin da keine Ausnahme.
ZEIT: Und was halten Sie von den Vorschlägen der Regierung?
Winkel: Die sind, um es sehr deutlich zu sagen, ein Anschlag auf die junge Generation. Das Besondere an dem Rentenpaket ist ja, dass die Regierung das Problem des demographischen Wandels nicht nur ignoriert – das haben vorherige Regierungen ebenfalls getan, auch solche an denen die Union beteiligt war. Sondern die Ampel streut nun auch noch Salz in die demografische Wunde. Das ist ein echter Generationenskandal. Ich wundere mich immer noch darüber, dass Christian Lindner diesem Paket zugestimmt hat.
Hubertus Heil: Das war jetzt sehr viel Meinung, die Fakten sprechen eine andere Sprache. Um gleich mit einem verbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Es geht bei der Sicherung des Rentenniveaus nicht nur um die heutigen Rentnerinnen und Rentner, sondern besonders um diejenigen, die heute im Berufsleben stehen und später in Rente gehen, also um Sicherheit für alle Generationen. Alle müssen sich darauf verlassen können, dass die gesetzliche Rente stabil bleibt und das Rentenniveau nicht runtersackt. Eine 49-jährige Krankenschwester aus Sachsen, die 2040 in Rente geht, hat Dank unseres Rentenpakets 1.100 Euro mehr im Jahr. Eine stabile Rente für fleißige Menschen ist kein Almosen, sondern eine Frage der Leistungsgerechtigkeit und der Verlässlichkeit.
Winkel: Die demografische Entwicklung ist keine Frage der politischen Meinung, sondern der Mathematik. Wenn weniger Arbeitnehmer mehr Rentner finanzieren müssen, dann hat das Folgen für die Finanzierung des Rentensystems. Die Zahlungen dafür belaufen sich momentan auf rund 370 Milliarden Euro im Jahr, sie werden in den nächsten 20 Jahren auf mehr als 800 Milliarden Euro steigen. Das sind Zahlen Ihres Hauses. Lieber Herr Heil, ich finde, das sind unglaublich erdrückende Zahlen. Irgendjemand muss dafür aufkommen, und das sind vor allem die Jüngeren. Wir müssen doch aufhören, den Menschen etwas anderes vorzugaukeln.
ZEIT: Auch führende Ökonomen haben gesagt, dass ihr Rentenpaket vor allem die junge Generation belastet. Darunter Monika Schnitzer, die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen. Martin Werding – ebenfalls Mitglied im Sachverständigenrat – hat kritisiert, dass Sie die heutigen Rentner schonen.
Heil: Und der Sachverständige Achim Truger ist anderer Meinung als die beiden. Es gibt also unterschiedliche Auffassungen in der Wissenschaft. Der gesetzlichen Rente wird seit Jahrzehnten von manchen der Untergang vorhergesagt. Dazu ist es aber nicht gekommen, weil wir unsere Hausaufgaben am Arbeitsmarkt gemacht haben. Es arbeiten heute fünf Millionen Menschen mehr als vor zehn Jahren prognostiziert, darunter viele ausländische Fachkräfte, Frauen und ältere Menschen. Der Beitragssatz ist deshalb, seit ich Arbeitsminister bin, stabil bei 18,6 Prozent und damit deutlich niedriger als zu Helmut Kohls Zeiten.
Winkel: Es gibt doch einen ganz entscheidenden Unterschied zu den letzten Jahren: Der demographische Wandel schlägt erst jetzt auf das Rentensystem durch. Die Babyboomer, also die Jahrgänge 1958 bis 1971, gehen ab jetzt in den Ruhestand. Da reden wir von 18 Millionen Menschen, die überwiegend sehr gut ausgebildet sind. Gleichzeitig steigen nur elf Millionen Menschen neu in den Arbeitsmarkt ein. Trotzdem sagen Sie: Das Rentenniveau soll stabil bleiben und wir ändern auch nichts am Rentenalter. Das bedeutet, dass zur Finanzierung Ihres Rentenpakets die Rentenbeiträge steigen müssen. Und die werden von den Arbeitnehmern bezahlt, die dann weniger Netto vom Brutto haben.
ZEIT: Laut dem Gesetzentwurf der Ampel steigen die die Beitragssätze bis 2045 auf 22,3 Prozent. Halten Sie das für angemessen, Herr Heil?
Heil: Moment! Das ist vor allem eine Folge der Demographie. Ohne das Rentenpaket lägen wir 2045 auch bei 21,3 Prozent. Das heißt: Der durch unsere Maßnahmen verursachte Beitragsanstieg beläuft sich auf lediglich einen Prozentpunkt – davon 0,5 Prozentpunkte für Arbeitnehmer und 0,5 Prozentpunkte für Arbeitgeber. Dafür sichern wir das Rentenniveau, das heißt, wir verhindern, dass die Renten um sechs Prozent geringer ausfallen. Und ich finde, das ist keine Katastrophe, sondern richtig, weil Sicherheit im Alter unserer Gesellschaft auch etwas wert sein muss.
Winkel: Der Punkt ist doch: Mit ihrer Politik verschärfen Sie die Lage.
Heil: Deutschland liegt bei den Ausgaben für die Alterssicherung international im Mittelfeld. Österreich zum Beispiel hat jetzt schon einen Rentenbeitrag von 22,8 Prozent des Bruttoeinkommens, ohne dass das Land zusammenbricht. Entscheidend für stabile Renten ist ein starker Arbeitsmarkt. Je höher die Erwerbstätigkeit, desto mehr Menschen zahlen in die Rentenkasse ein. Deshalb setzen wir weiter auf höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen und auf qualifizierte Zuwanderung.
Winkel: Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland kommen, wenn ihnen hier ein wachsender Teil ihres Einkommens in Form steigender Rentenbeiträge wieder abgenommen wird, wo wir doch ohnehin schon ein Hochsteuerland sind? Die gehen woanders hin. Ich bin auch der Meinung, dass man die Kosten des demografischen Wandels fair verteilen sollte. Da geht es um drei Gruppen: Die Beitragszahler, die Rentner und über den Bundeszuschuss für die Rente die Steuerzahler. Sie entlassen nun eine dieser Gruppen – die Rentner – komplett aus der Verantwortung. Das trägt dazu bei, dass junge Menschen von der Politik enttäuscht sind. Man muss aufpassen, dass aus dem Demografieproblem unserer Gesellschaft nicht irgendwann ein Demokratieproblem für die junge Generation wird.
Heil: Zunächst müssen wir ja festhalten, dass sie nicht für die gesamte junge Generation sprechen. Sie sprechen für die Junge Union.
Winkel: Wir sind immerhin die größte politische Jugendorganisation in Deutschland, ich weiß aber aus vielen Gespräch, dass sich viele junge Menschen Sorgen machen.
Heil: Es ändert aber nichts daran, dass viele junge Menschen nicht Ihrer Meinung sind und es ohnehin falsch ist, Generationen gegeneinander auszuspielen. Wenn Sie etwa eine andere Lastenverteilung fordern, dann müssen Sie auch sagen, was das bedeutet: ein höheres gesetzliches Rentenalter für Menschen, die teilweise schon mit 15 Jahren anfangen zu arbeiten. Das ist nicht mein Weg. Für einen Rechtsanwalt oder eine Professorin ist das vielleicht kein Problem, in anderen Berufen aber schon. Ich habe vor kurzem in einem Kraftwerk in Eisenhüttenstadt mit einer Frau gesprochen, die seit 1983 Schichtarbeit macht. Und dann ist es schon verdammt hart, die 67 zu erreichen. "Ich schaffe das irgendwann nicht mehr", sagte sie mir. Es entspricht nicht meinem Verständnis von Gerechtigkeit, solchen Menschen zu sagen: Ihr müsst arbeiten bis ihr 69, 70 oder 71 seid, um ohne Abschläge Rente beziehen zu können.
Winkel: Das fordere ich auch nicht!
Heil: Aber Ihr Parteichef. Friedrich Merz hat gesagt, dass er das Rentenalter an die allgemeine Lebenserwartung koppeln will. Das würde für viele Menschen faktisch auf eine Rentenkürzung hinauslaufen, weil sie nicht so lange durchhalten.
ZEIT: Herr Winkel, müssen die Menschen länger arbeiten?
Winkel: Ich bin vor allem für Offenheit und Ehrlichkeit in der Debatte. Das bedeutet, dass man den Wählerinnen und Wählern sagt, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann – und man die heutigen Rentner ein klein wenig mehr in die Pflicht nimmt. Und natürlich müssen wir auch über eine moderate Erhöhung der Lebensarbeitszeit sprechen, wenn die Menschen länger leben, was ja glücklicherweise der Fall ist. Dass im hohen Alter körperlich sehr anstrengenden Jobs nicht mehr machbar sind, ist doch logisch. Da brauchen wir Ausnahmen, man kann diese Fälle auch über Fortbildungsmaßnahmen lösen. Damit Menschen, die schwer körperlich arbeiten und dazu irgendwann nicht mehr in der Lage sind, einer anderen Tätigkeit nachgehen können.
Heil: Ich bin sehr für eine höhere Erwerbsbeteiligung von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Und es arbeiten heute ja schon deutlich mehr Ältere als vor 20 Jahren. Das tatsächliche Renteneintrittsalter in Deutschland liegt im Schnitt bei 64,4 Jahren. Wenn es uns gelingt, durch geeignete Anreize dafür sorgen, dass Menschen freiwillig länger arbeiten, dann finde ich das sehr sinnvoll. Genau das werden wir tun. Dafür brauchen wir allerdings auch ausreichend Unternehmen, die ihre erfahrenen Mitarbeiter weiter beschäftigen. Es geht also um flexible Übergänge in den Ruhestand, aber nicht um eine weitere starre Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Denn das widerspricht der Lebenswirklichkeit.
Winkel: Sie müssen mir nichts über Lebenswirklichkeiten erzählen. Meine Mutter ist Krankenschwester, meine beiden Großväter waren zu Lebzeiten Eisenbahner.
Heil: Reden Sie mit Ihrer Mutter über das Thema?
Winkel: Natürlich.
Heil: Und was sagt sie zur Rente?
Winkel: Dass die Politik für alle Generationen Verantwortung tragen muss. Ich habe kürzlich Franz Müntefering in einer Talkshow gesehen. Er hat in der Rentenpolitik sehr harte Entscheidungen getroffen und war maßgeblich an der Einführung der Rente mit 67 beteiligt. Ich fürchte, der SPD ist der Mut verloren gegangen, den Menschen auch schwierige Entscheidungen im sozialen Bereich zuzumuten. Leider haben Sie die Agenda 2010 in den vergangenen Jahren komplett rückabgewickelt.
Heil: Was wird denn hier abgewickelt? Das gesetzliche Renteneintrittsalter steigt ja auf 67 Jahre. Daran ändert sich nichts. Wir erhöhen es nur nicht weiter, weil ich es nicht in Ordnung finde, Menschen, die hart gearbeitet haben, sonst faktisch die Rente zu kürzen. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden.
Winkel: Der Unterschied ist: Sie ignorieren die Realität, weil sie es sich aus wahltaktischen Gründen mit der wachsenden Gruppe der Rentner nicht verscherzen wollen.
Heil: Falsch! Ich mache es aus Überzeugung. Sicherheit im Alter ist ein Ausdruck von Leistungsgerechtigkeit und ein Beitrag zur gesellschaftlichen Stabilität.
ZEIT: Herr Heil, nach Aussagen der Rentenversicherung werden durch Ihr Rentenpaket nicht nur die Beiträge steigen, auch der Bundeszuschuss für die Rentenkasse wird wohl kräftig erhöht werden müssen. Dieses Geld fehlt im Staatshaushalt.
Heil: Der Bundeszuschuss steigt, um die Beitragszahler zu entlasten. Das ist sinnvoll. Die Frage ist doch: Können wir uns das volkswirtschaftlich leisten? Wenn ich mir anschaue, was wir im internationalen Vergleich für die Rente ausgeben, dann lautet meine Antwort: Ja.
Winkel: Das sehe ich anders. Der Bundeszuschuss steigt seit Jahren, beläuft sich 2024 auf rund 127 Milliarden Euro. Das bedeutet logischerweise: weniger Geld zum Beispiel für Investitionen in Bildung und Forschung.
Heil: Diese absolute Zahl müssen Sie aber sinnvollerweise ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt setzen, das ja auch wächst. Dann zeigt sich: Der Anteil des Bundeszuschusses an der Wirtschaftsleistung ist seit vielen Jahren stabil. Und das wird auch so bleiben, zumal wir mit dem ebenfalls beschlossenen Generationenkapital einen Kapitalstock aufbauen, dessen Erträge zur Finanzierung der Rente herangezogen werden. Damit dämpfen wir den Anstieg von Beiträgen.
Winkel: Sie können sich das jetzt natürlich schönrechnen, aber das ändert nichts daran, dass sie mit ihrer Rentenpolitik die Beitragszahler belasten. Das sogenannte Generationenkapital, das mit einer echten Aktienrente nichts zu tun hat, wird keinen relevanten Unterschied machen.
Heil: Ich rechne nichts schön, das sind die Fakten.
ZEIT: Herr Winkel, wann würden Sie gerne in Rente gehen?
Winkel: Es ist schwierig, dass vorherzusagen. Aber ich gehe davon aus, dass ich mindestens bis 70 arbeiten werde.
ZEIT: Und Sie, Herr Heil?
Heil: Ich kann mir das auch vorstellen. Aber das liegt daran, dass wir beide Berufe ausüben, die das erlauben. Ich möchte es nicht allen Menschen zumuten.