- Datum:
- 13.05.2023
Rheinische Post: Herr Heil, Ende Juni läuft der vereinfachte Zugang für Betriebe zum Kurzarbeitergeld aus. Verlängern Sie die Frist noch einmal – so wie Sie es in den vergangenen drei Jahren immer wieder getan haben?
Hubertus Heil: Das Kurzarbeitergeld war in den letzten drei Jahren eine große Erfolgsgeschichte und die Basis für unseren starken Arbeitsmarkt. Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise im Frühjahr 2020 hatten wir sechs Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit. Die wirtschaftliche Entwicklung und auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt sind aktuell besser, als wir das im Herbst erwarten konnten. Wir haben heute zum Beispiel den höchsten Beschäftigungsstand, den die Bundesrepublik jemals hatte – trotz der Corona-Krise und des Kriegs in der Ukraine. Deshalb werden wir den vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld nach Ende Juni nicht weiter verlängern. Jetzt ist Fachkräftesicherung unser Thema. Wir werden mehr Geld in Qualifizierung und Weiterbildung der Beschäftigten investieren. Gleichzeitig muss die Bundesagentur für Arbeit wieder Rücklagen für zukünftige Krisen bilden können.
RP: Was bedeutet das für die Betriebe und die Beschäftigten?
Heil: Im Februar hatten wir nach den letztverfügbaren Daten noch 162.000 Beschäftigte in Kurzarbeit. Das ist verglichen mit dem Spitzenwert von sechs Millionen wenig. Deshalb beenden wir jetzt die Krisenregelungen. Kurzarbeitergeld kann dennoch weiterhin nach den regulären gesetzlichen Bestimmungen genutzt werden, um Arbeitsausfälle zu überbrücken. Beschäftigte müssen wieder, wie vor der Krise, negative Arbeitszeitsalden aufbauen, bevor Kurzarbeit greift – wenn diese Art der Arbeitszeitflexibilisierung in ihrem Betrieb üblich ist. Außerdem muss künftig wieder mindestens ein Drittel der Beschäftigten in einem Betrieb von Kurzarbeit betroffen sein, bisher waren es zehn Prozent. Was mich als Arbeitsminister freut: Der Arbeitsmarkt ist in so gutem Zustand, dass wir jetzt wieder in den Normalmodus zurückgehen können.
RP: Wie viel hat die Phase des vereinfachten Zugangs zum Kurzarbeitergeld insgesamt gekostet?
Heil: In den Jahren 2020 bis 2022 haben wir insgesamt 45,5 Milliarden Euro für Kurzarbeitergeld ausgegeben. Das ist eine enorme Summe. Es hat sich aber ausgezahlt. Der Internationale Währungsfonds hat in einer Studie festgestellt, dass ohne die Sonderregelungen die Arbeitslosigkeit zur Hochzeit der Krise im 2. Quartal 2020 um drei Prozentpunkte gestiegen wäre. Das entspricht rund 1,3 Millionen Menschen, die wir mit Kurzarbeit vor Arbeitslosigkeit bewahrt haben. Darauf können wir stolz sein. Die Unternehmen konnten ihre Fachkräfte halten und es hat die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stabilisiert.
RP: Ist die Rückkehr zum normalen Kurzarbeitergeld Ihr Beitrag zur Haushaltskonsolidierung?
Heil: Nein, das Geld dafür kommt ja aus der Kasse der Bundesagentur für Arbeit, nicht aus dem Bundeshaushalt …
RP: … aber es hat einen hohen Zuschussbedarf aus dem Haushalt für die Kurzarbeit gegeben. Wie bewerten Sie, dass der Finanzminister die Vorlage des Haushalts wegen der Uneinigkeit in der Koalition erneut verschieben musste?
Heil: Klar ist, dass die Spielräume enger geworden sind. Wir haben in den letzten Jahren viel in die Zukunft unseres Landes investiert, unter anderem durch Entlastungspakete, die Erhöhung des Kindergeldes, eine Wohngeldreform und das Bürgergeld. Dabei ist es nur natürlich, dass jede Ministerin, jeder Minister besonders für seine eigenen Themen eintritt, aber wir verstehen uns als Team und werden uns gemeinsam auf die nun prioritären Ziele verständigen. Ich gehe davon aus, dass wir in intensiven Gesprächen mit dem Finanzminister in nächster Zeit den Haushalt einvernehmlich aufstellen. Wenn diese Gespräche eine Woche länger dauern, ist das kein Beinbruch.
RP: Wie wollen Sie angesichts der Haushaltslage das Rentenpaket durchbringen, das auch für künftige Rentnergenerationen ab 2026 ein Rentenniveau von 48 Prozent vorsieht? Auch das wird teuer werden.
Heil: Ich will, dass sich alle Generationen auf ein stabiles Rentensystem verlassen können. Wir sind in sehr konstruktiven Gesprächen mit dem Finanzminister. Ich bin zuversichtlich, dass wir bald einen gemeinsamen Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung geben können, und dann bringen wir das zweite Rentenpaket dieses Jahr noch auf den Weg. Bei der Finanzierung des Rentenniveaus hilft uns der stabile Arbeitsmarkt. Wir haben heute über fünf Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als vor zehn Jahren prognostiziert.
RP: Wird es eine Haushaltsklausur des Kabinetts geben?
Heil: Der Finanzminister hat angekündigt, dass er mehr Zeit braucht. Das ist aufgrund der aktuellen Gespräche nachvollziehbar. Es geht natürlich darum, Prioritäten zu setzen. Konsens in der Koalition ist, dass die Bundeswehr besser ausgestattet wird. Wir wollen auch die Kindergrundsicherung einführen. Das ist herausfordernd, aber wir werden das gemeinsam hinkriegen.
RP: Ist der Streit um die teure Kindergrundsicherung bei den Haushaltsgesprächen der "Elefant im Raum", auch wenn sie erst für 2025 haushaltsrelevant ist?
Heil: Nein, bei der Kindergrundsicherung geht es ja nicht nur um die Frage des Geldes. Es geht auch darum, bestehende Leistungen wie zum Beispiel den Kinderzuschlag so zu gestalten, dass er dort ankommt, wo er gebraucht wird. Ich will Kinder besser fördern und dafür sorgen, dass sie nicht behandelt werden wie kleine Langzeitarbeitslose. Bundesfamilienministerin Lisa Paus ist die federführende Kollegin, mein Ministerium unterstützt sie nach Kräften. Sicher wird in der Koalition um einzelne Fragen gerungen, aber am Ende werden wir eine gute Lösung finden. Die Kindergrundsicherung wird kommen.
RP: Schließen Sie sich Familienministerin Lisa Paus an, die zwölf Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr für die Kindergrundsicherung fordert?
Heil: Ich mache mir zum jetzigen Zeitpunkt keine Zahlen zu eigen. Aber Lisa Paus hat mich an ihrer Seite, wenn es darum geht, das Leben von armutsgefährdeten Kindern tatsächlich deutlich zu verbessern.
RP: Sie haben unlängst eine Schlagzeile gemacht, als sie sagten, dass Sie 2024 eine "deutliche Erhöhung" des Mindestlohns erwarten. Was wollten Sie damit erreichen?
Heil: Ich habe dargestellt, was die Rechtslage ist. Im Oktober haben wir den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöht, damit er armutsfest ist. Und im Gesetz steht auch, dass der Mindestlohn sich weiterentwickelt. Das ist nun Aufgabe der unabhängigen Mindestlohnkommission, die mir im Sommer Vorschläge machen wird. Ich habe darauf hingewiesen, dass ich aufgrund der ordentlichen Tarifabschlüsse mit einer deutlichen Erhöhung rechne.
RP: Sie formulieren also eine politische Erwartung gegenüber der unabhängigen Mindestlohnkommission und geben ihr damit die Richtung vor?
Heil: Nein, das ist keine politische Erwartung an die Mindestlohnkommission, sondern Ausdruck der vergangenen Tarifabschlüsse. Die waren sehr ordentlich. Die Mindestlohnkommission ist unabhängig, aber sie orientiert sich eben an den Tariflöhnen. Wenn diese deutlich steigen, steigt der Mindestlohn. Das hilft, damit Menschen, die den Mindestlohn bekommen, nicht von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt werden.
RP: Wie bewerten Sie, dass die Eisenbahner von Sonntagabend bis Dienstagnacht nun zum dritten Mal mit einem Warnstreik das Land lahmlegen wollen?
Heil: Die Tarifautonomie ist im Grundgesetz garantiert und schützt die Tarifparteien vor staatlicher Einmischung. Deswegen kommentiere ich Tarifverhandlungen grundsätzlich nicht. Auch das Streikrecht ist von der Verfassung geschützt. Und natürlich hoffen wir alle auf eine baldige Einigung und möglichst wenig Streiks. Es gilt aber auch, was Helmut Schmidt mal gesagt hat. "Ein Land, in dem nicht hin und wieder mal gestreikt wird, ist auch keine Demokratie."
RP: Was halten Sie von der Gewerkschaftsforderung nach der Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich? Kann das zukunftsweisend sein angesichts des Fachkräftemangels?
Heil: Als Arbeitsminister weiß und sehe ich, dass das Arbeitsleben heute schon bunt ist. Es gibt Firmen, die in einer Krise die Vier-Tage-Woche eingeführt haben, um Arbeitsplätze zu sichern. Manche führen die Vier-Tage-Woche ein, um Auszubildende oder Fachkräfte an sich zu binden. Aber es ist keine Schablone für alle Betriebe, für alle Beschäftigten oder alle Branchen.
RP: Passt die Vier-Tage-Woche in Zeiten des Fachkräftemangels?
Heil: Das entscheiden die Tarifparteien. Es wird einzelne Branchen geben, in denen sie ein Weg ist, aber sicher nicht für die gesamte Wirtschaft. Mir ist die Debatte über die Gestaltung des Arbeitszeitvolumens während des Verlaufs des Erwerbslebens viel wichtiger. Wie kann Arbeit besser zum Leben passen, etwa, wenn Kinder kommen? Oder wenn man im Gegenteil nicht sofort von Vollzeit in Rente gehen will? Ein Instrument, um das zu gestalten, ist die bezahlte Bildungszeit. Wir werden die Bildungszeit, die im Koalitionsvertrag vereinbart ist, auch angehen: Arbeitnehmer sollen sich künftig im Erwerbsleben längere Auszeiten von bis zu einem Jahr nehmen können, um sich beruflich weiterzubilden.