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"Das Land gemeinsam durch schwierige Zeiten bringen"

Interview von Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND)

Datum:
15.07.2022

RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): Herr Heil, was bedeutet es für die deutsche Wirtschaft, falls Putin bald dauerhaft den Gashahn zudrehen sollte?

Hubertus Heil: Eine solche Entwicklung würde uns zweifellos vor große Herausforderungen stellen. Aber als Bundesregierung haben wir seit dem Amtsantritt von Olaf Scholz hart daran gearbeitet, um uns auf eine solche Situation vorzubereiten.

RND: Welche Auswirkungen auf Arbeitsplätze wären zu befürchten?

Heil: Wir haben den Arbeitsmarkt gut durch die Corona-Krise und die bisherigen wirtschaftlichen Folgen des Krieges gebracht. Ein unmittelbares und dauerhaftes Ende der Gaslieferungen von Seiten Russlands würde jedoch sehr große Gefahren für bestimmte Industriebranchen bedeuten – etwa für die Stahlindustrie, in der Chemie oder in der Glasindustrie.

Die daraus folgenden Lieferkettenprobleme würden zusätzlich wirtschaftliche Folgen haben. Wir tun deshalb alles, damit die Gasspeicher so voll wie möglich sind. Und ich würde als Arbeitsminister auch keine Sekunde zögern und zusätzliche notwendige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergreifen.

RND: Haben bei Gasknappheit auf jeden Fall Privathaushalte Priorität – oder muss man, mit Blick auf die Folgen für die Industrie, darüber noch mal reden?

Heil: Es gibt klare Regeln, dass Privathaushalte und kritische Infrastrukturen zuerst versorgt werden. Das ist richtig so. Rentnerinnen und Rentner, Familien mit kleinen Kindern und andere Menschen sollen keine Angst haben müssen, dass sie im Winter in ihren Wohnungen frieren müssen. Wir lassen aber auch Wirtschaft und Beschäftigte nicht im Stich, sondern tun alles, um so viel Energie wie möglich für den Winter zu organisieren.

RND: Mit der Konzertierten Aktion will die Bundesregierung die Inflation bekämpfen. Arbeitgeber und Gewerkschaften wollen sich aber in Lohnverhandlungen nicht reinreden lassen. Was genau kann die Konzertierte Aktion da überhaupt bewirken?

Heil: Es ist wichtig, dass wir mit der Konzertierten Aktion alle an einen Tisch holen, die Verantwortung tragen und einen Beitrag dazu leisten können, um angesichts des hohen Preisdrucks das Land gemeinsam durch schwierige Zeiten bringen zu können. Wir führen im Kanzleramt aber keine Lohnverhandlungen. Das ist die Aufgabe von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Wenn die Sozialpartner untereinander Lösungen finden, werden wir aber darüber reden, wie wir sie als Staat unterstützen.

RND: Zum Beispiel, indem sie Einmalzahlungen steuerfrei stellen?

Heil: Wir können durch steuerliche Maßnahmen helfen, dass gerade bei den unteren Einkommen das Geld aus einer Lohnerhöhung auch wirklich bei den Menschen ankommt. Wir machen aber als Politik keine Vorgabe, worauf die Sozialpartner sich verständigen. Wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber einen Konsens haben, können wir darauf eine politische Lösung aufsetzen.

RND: Werden Sie bei Rentnerinnen und Rentnern noch in diesem Jahr nachsteuern – oder sagen Sie: "Die Rentenerhöhung muss reichen"?

Heil: Die Bundesregierung hat bereits ein umfangreiches Entlastungspaket auf den Weg gebracht, von dem auch Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr profitieren.  Mit Blick auf das kommende Jahr werden wir im Rahmen der konzertierten Aktion auch über zusätzliche Entlastungen für die Rentnerinnen und Rentner sprechen.

RND: Schon bei Corona ging die Bundesregierung finanziell in die Vollen. Ist das noch zu leisten, dass der Staat möglichst jeden Nachteil ersetzt?

Heil: Weil die staatlichen Möglichkeiten nicht unendlich sind, geht es um gezielte Entlastungen. Ich sehe keinen Spielraum, Menschen mit hohen Einkommen zu entlasten. Für sie sind höhere Preise zwar ärgerlich, aber kein existenzielles Problem. In dieser schweren Krise müssen wir gezielt die Hilfen auf Menschen mit unteren und mittleren Einkommen konzentrieren. Nur so halten wir unsere Gesellschaft in schwierigen Zeiten zusammen. Zudem muss der Staat weiter in Infrastruktur, Bildung und Forschung investieren können.

RND: 2023 soll Hartz IV zum Bürgergeld werden. Werden dann auch die Regelsätze kräftig steigen – oder geht Ihnen da finanziell die Puste aus?

Heil: Mit dem Bürgergeld werden wir das System entbürokratisieren und dafür sorgen, dass Menschen in der Not verlässlich abgesichert sind. Ich werde den Gesetzentwurf in diesem Sommer vorlegen und es wird zu Beginn des nächsten Jahres eine deutliche Erhöhung der Regelsätze geben. Unser Sozialstaat muss dafür sorgen, dass Menschen, die keine finanziellen Rücklagen haben, auch über die Runden kommen können. Ich bin fest entschlossen, die Art, wie wir den Regelsatz berechnen, zu verändern. Der bisherige Mechanismus hinkt der Preisentwicklung zu sehr hinterher.

RND: Bleibt es bei Einsparungen im sozialen Arbeitsmarkt – oder soll Finanzminister Lindner hier noch mal was drauflegen?

Heil: Der soziale Arbeitsmarkt ist ein erfolgreiches Instrument, mit dem wir bis jetzt 50.000 Menschen in sozialversicherungspflichte Arbeit gebracht haben, die sonst keine Chance auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätten. Wir werden den sozialen Arbeitsmarkt mit dem Bürgergeld entfristen und mir ist wichtig, dass er finanziell ausreichend ausgestattet ist. In den Haushaltsverhandlungen im Bundestag wird es darum gehen, wie die Eingliederungsmittel für Arbeitslose Menschen ausgestattet werden. Ich habe die Hoffnung, dass sich hier etwas bewegen kann. Am Ende entscheidet über den Haushalt das Parlament.

RND: Der Krieg in der Ukraine stellt den deutschen Arbeitsmarkt vor die Herausforderung, Geflüchtete zu integrieren. Funktioniert dies besser als 2015/2016?

Heil: Die Versorgung und Integration der Geflüchteten funktioniert auf jeden Fall besser als in den Jahren 2015/2016. Wir haben dafür gesorgt, dass es rechtlich sofort möglich ist, dass Geflüchtete arbeiten. Dadurch, dass wir beschlossen haben, die Geflüchteten in die Grundsicherung aufzunehmen, können wir sie nun aus einer Hand in den Jobcentern betreuen. Auch das wird die Integration beschleunigen. Wir sehen auch bereits, dass wir einen Run auf die Deutschsprachkurse haben. Klar ist aber auch, dass die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten ein Langstreckenlauf ist und kein Sprint.

RND: Seit dem 1. Juni haben die Geflüchteten aus der Ukraine Anspruch auf Grundsicherung vom Jobcenter. Wie viele werden bereits über das Jobcenter versorgt?

Heil: Die Geflüchteten melden sich zunehmend bei den Jobcentern, so dass diese übernehmen können. Der aktuelle Stand ist, dass wir 260.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte aus der Ukraine über die Jobcenter versorgen und betreuen. Es gilt jetzt diese in Arbeit zu vermitteln. Dazu kommen mindestens 100.000 nicht-erwerbsfähige Menschen aus der Ukraine, die dort bereits gemeldet sind, etwa Kinder und ältere hilfsbedürftige Menschen. Wir wissen, dass von den rund 800.000 Geflüchteten, die zu uns gekommen sind, 30 Prozent Kinder unter 14 Jahren sind.

RND: Jenseits von Flucht und Krieg ist Deutschland auf zusätzliche Fachkräfteeinwanderung angewiesen. Sie wollen eine weitere Reform des Einwanderungsrechts auf den Weg bringen. Was ist der wichtigste Punkt dabei?

Heil: Wir müssen schneller und besser darin werden, ausländische Fachkräfte zu gewinnen. Sonst wird der Fachkräftemangel in Deutschland zur ständigen Wachstumsbremse. Dabei dürfen wir nicht nur auf formelle Abschlüsse schauen, sondern müssen generell – wie jetzt bereits bei IT-Fachkräften – auch berufspraktische Erfahrungen stärker berücksichtigen. Wer einen Arbeitsvertrag hat, soll kommen können.