- Datum:
- 30.06.2022
Stern: Herr Heil, wann haben Sie zuletzt etwas nicht gekauft, weil es Ihnen zu teuer geworden ist?
Hubertus Heil: Ich kaufe regelmäßig für meine Familie ein und da ärgere ich mich dann schon, wenn die Butter mehr als drei Euro kostet. Aber was für mich ärgerlich ist, ist vor allem für Geringverdiener eine extreme Belastung. Da geht es gerade wirklich ans Eingemachte.
Stern: "Wir werden ärmer werden", sagt Vizekanzler Robert Habeck. "Der Ukrainekrieg macht uns alle ärmer", sagt Finanzminister Christian Lindner. Haben Ihre Kollegen recht?
Heil: Ich frage mich, wer dieses "wir" eigentlich sein soll, von dem da immer die Rede ist. Den Menschen, die wenig haben, zu sagen, dass wir alle ärmer werden, ist keine politische Antwort, mit der ich mich zufrieden gebe.
Stern: Es ist schlicht die wirtschaftliche Analyse: Krieg und Inflation verursachen Wohlstandsverluste. Wie lautet denn Ihre Antwort darauf?
Heil: Der Staat kann nicht alles für alle ausgleichen. Menschen mit sehr hohen Einkommen brauchen jetzt keine finanziellen Entlastungen. Wir müssen die begrenzten finanziellen Mittel dort einsetzen, wo sie am stärksten wirken. Deshalb achte ich als Sozialminister darauf, dass wir Menschen mit normalen und geringen Einkommen gezielt unterstützen. Wenn gefordert wird, dass alle den Gürtel enger schnallen müssen, dann kann ich das so nicht stehen lassen. Wir müssen die Folgen der Preisentwicklung gezielt für die Menschen abfedern, für die sie wirklich eine existenzielle Bedrohung ist.
Stern: Das klingt nicht so, als würden diese Menschen nicht dennoch ärmer werden.
Heil: Es geht jetzt darum, unser Land sozial zusammenzuhalten. Das ist ein Kraftakt, keine Frage. Es ist jetzt eine harte Zeit, durch die wir gut kommen müssen, indem wir für einen gezielten Ausgleich sorgen.
Stern: Sie glauben nicht, dass wir in eine langfristige Krise schliddern?
Heil: Es wird dauern, aber wir haben einen starken Sozialstaat, der unseren Arbeitsmarkt gut durch die Krise gebracht hat. Er steht auch jetzt den Menschen zur Seite. Ich hoffe, dass sich viele Preise im kommenden Jahr wieder normalisieren werden. Aber Energie wird für längere Zeit teuer bleiben. Deshalb müssen wir bestimmte Gruppen auch langfristig unterstützen. Das sind zum einen die Menschen, die Grundsicherung beziehen. Für die möchte ich mit der Bürgergeldreform die Sätze erhöhen. Und Menschen mit niedrigem Einkommen müssen besser bezahlt werden. Der Mindestlohn von zwölf Euro ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Wir brauchen aber auch mehr und bessere Tarifverträge.
Stern: Laut Umfragen halten drei Viertel der Deutschen die Entlastungen für nicht ausreichend. Ein Armutszeugnis für den Sozialminister, oder?
Heil: Die Entlastungspakete kommen ja erst jetzt in diesem Sommer bei den Menschen an, und sie werden für viele mit normalen und geringen Einkommen in diesem Jahr spürbar die Folgen der Inflation abfedern. Aber richtig bleibt, dass der Staat sich überheben würde, wollte er die Inflation für alle in voller Höhe ausgleichen. Wir haben in diesem Jahr schon ein 30 Milliarden Euro schweres Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Klar ist aber, dass wir neue Antworten finden müssen, wenn die Preise dauerhaft hoch bleiben.
Stern: Hartz-IV-Empfänger bekamen bei den Entlastungspaketen 200 Euro, einkommensteuerpflichtige Menschen mit Arbeit 300 Euro. Dabei sind die Preise für alle gleichermaßen gestiegen.
Heil: Es gibt Entlastungen, die insbesondere bedürftigen Menschen geholfen haben, wie der Kindersofortzuschlag und der Heizkostenzuschuss für Wohngeld-Empfänger. Dagegen nützt die Abschaffung der EEG-Umlage auf den Strompreis dauerhaft allen. Man kann nicht nur eine einzelne Maßnahme herausgreifen und die dann bewerten, es geht um das Gesamtpaket.
Stern: Ihre Kabinettskollegen würden das Paket jedenfalls gern noch mal aufschnüren: Der Landwirtschaftsminister fordert, die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse abzuschaffen. Der Finanzminister würde bei der Einkommenssteuer gern die "kalte Progression" ausgleichen. Was halten Sie davon?
Heil: Ich sehe ganz grundsätzlich keine Spielräume, Menschen zu entlasten, die ein sehr hohes Einkommen haben. Denn wir müssen auch die nötigen Investitionen in die Zukunft umsetzen. Mir geht es um gezielte Entlastungen für Normal- und Geringverdiener.
Stern: Eine Mehrwertsteuersenkung würde doch gerade ärmere Menschen entlasten, die den größten Teil ihres Einkommens für Konsum ausgeben müssen.
Heil: Ich bin offen, über unterschiedliche Maßnahmen zu diskutieren, die gezielt Menschen mit unteren und normalen Einkommen entlasten. Wichtig ist aber, dass die Hilfen wirklich dort ankommen und nicht bei Konzernen hängenbleiben.
Stern: Sie selbst fordern ein Klimageld für Menschen mit einem Einkommen unter 4000 Euro brutto. Wie viel darf‘s denn sein?
Heil: Das müssen wir diskutieren. Ein Klimageld haben wir uns als Koalition zu Beginn unserer Regierungszeit vorgenommen, um steigende CO2-Preise auszugleichen. Mein Vorschlag war, das jetzt vorzuziehen und es, weil die Geldmittel begrenzt sind, sozial gestaffelt auszuzahlen. Es gibt ja auch einige andere Vorschläge.
Stern: So wie den Tankrabatt?
Heil: Der war ja bekanntlich nicht meine Idee, aber am Ende Teil der Verabredung. Es ist richtig, dass der Bundeswirtschaftsminister alles tut, damit diese Entlastung auch in vollem Umfang wirkt. Dafür muss das Kartellamt härter eingreifen können, wenn Konzerne ihre Marktmacht missbrauchen.
Stern: In Zukunft, in der aktuellen Situation hilft das nicht. Braucht es also ein drittes Entlastungspaket?
Heil: Um über Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu sprechen, hat der Bundeskanzler Wirtschaft, Gewerkschaften und Staat zu einer Konzertierten Aktion geladen. Am 4. Juli findet das erste Treffen statt. Alle Partner eint der Wille, unser Land gut durch diese Krise zu bringen. Wir werden nicht zulassen, dass Putin unsere Gesellschaft spaltet.
Stern: Bei der Konzertierten Aktion geht es darum, eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern, weil zu hohe Lohnabschlüsse sonst zu weiteren Preisanstiegen führen können. Der Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil würde den Gewerkschaften also abraten, zu hohe Forderungen zu stellen?
Heil: Moment! Die Inflation in Deutschland ist gerade nicht durch zu hohe Lohnforderungen der Gewerkschaften ausgelöst worden. Im letzten Jahr stiegen die Löhne um 1,7 Prozent, und das bei einer Preissteigerung von 3,1 Prozent. Die aktuelle Situation ist durch gestörte Lieferketten und hohe Energiepreise entstanden, die wiederum an der Abhängigkeit von russischen Energieimporten liegen, die wir überwinden müssen. Deshalb ist es vollkommen in Ordnung, dass die Gewerkschaften angemessene Lohnerhöhungen fordern. Weder ich noch der Kanzler werden bei unserem Treffen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern Lohnverhandlungen führen.
Stern: Der Bundeskanzler hat immerhin zu verstehen gegeben, dass er es besser fände, wenn ein einmaliger Inflationsausgleich gezahlt wird, statt die Löhne langfristig zu erhöhen. Stimmen Sie ihm zu?
Heil: Das habe ich so nicht gehört. Die Bundesregierung weiß, dass nicht nur der Staat, sondern auch die Tarifpolitik ihren Beitrag gegen den enormen Preisdruck leisten muss.
Stern: Er hat es im Bundestag gesagt!
Heil: Er hat in seiner Rede auf kluge Tarifabschlüsse hingewiesen. Aber wir werden als Bundesregierung keine Vorschriften machen. Es geht bei der Aktion darum, dass wir in der angespannten Lage gemeinsam Verantwortung übernehmen. Wir werden außen- und sicherheitspolitisch nur stark sein können, wenn wir in solchen Krisen- und Kriegszeiten zusammenhalten. Dazu muss es in der Konzertierten Aktion konkrete Verabredungen geben, was die jeweiligen Partner beitragen können.
Stern: In früheren Krisenzeiten war eine große Sorge die Arbeitslosigkeit – macht Ihnen das noch Angst?
Heil: Die Arbeitslosenquote liegt bei 4,9 Prozent, also auf Vor-Corona-Niveau. Wir haben den Arbeitsmarkt mit dem Instrument der Kurzarbeit gut durch die Coronakrise bekommen und müssen das auch jetzt schaffen. Gleichzeitig müssen wir unseren Arbeitsmarkt gut für die digitale und ökologische Transformation aufstellen. Qualifizierung und Weiterbildung sind hier die Antworten. Ich will keinen gespaltenen Arbeitsmarkt, bei dem manche Beschäftigte im Wandel der Arbeitswelt nicht mehr mitkommen und gleichzeitig Arbeitgeber keine Fachkräfte finden, die für die neuen Aufgaben qualifiziert sind. Der Fachkräftemangel darf keine Wachstumsbremse werden.
Stern: Wie wollen Sie das verhindern?
Heil: Um beides zu verhindern muss Deutschland zu einer Weiterbildungsrepublik werden. So sorgen wir dafür, dass die Beschäftigten von heute auch die Arbeit von morgen machen können. Corona hat uns gezeigt, dass man mit aktiver Arbeitsmarktpolitik viel erreichen kann. Mit der Kurzarbeit haben wir Millionen Arbeitsplätze durch die Krise gerettet und Unternehmen geholfen, ihre Fachkräfte an Bord zu halten, mit denen sie jetzt wieder durchstarten können. Und Kurzarbeit hat die Nachfrage stabilisiert, also allen genützt.
Stern: Wie lange wird es dieses Instrument noch brauchen?
Heil: Die Kurzarbeit ist schon stark zurückgegangen. Auf dem Hoch der Coronakrise, im April 2020, waren sechs Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit, heute sind wir trotz Ukrainekrise bei etwa 550000. Aber Aber die Unternehmen brauchen angesichts neuer Risiken sichere Perspektiven. Deshalb will ich den vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld verlängern.
Stern: Viele junge Menschen, die gerade in den Job starten, schauen besorgt auf ihr bevorstehendes Leben. Wären Sie gern an ihrer Stelle?
Heil: Ich habe selbst Kinder und sehe sehr genau auf die Krisen, denen wir gegenüberstehen. Aber Angst ist kein Ratgeber. Und Angststarre und Weltuntergangsfantasien sind es schon gar nicht. Dieser Krieg hat unsere Gesellschaft zutiefst verunsichert. Aber eins werden wir uns erhalten: die realistische Zuversicht, dass wir Probleme gemeinschaftlich lösen können.