- Datum:
- 13.05.2022
Rheinische Post: Herr Heil, die hohe Inflation macht den Bürgern zu schaffen. Was tut die Regierung, um ihnen die Inflationsangst zu nehmen?
Hubertus Heil: Mir ist sehr bewusst, dass die steigenden Preise besonders Menschen mit unteren und mittleren Einkommen und die, die auf soziale Leistungen angewiesen sind, derzeit stark belasten. Deshalb haben wir schnell ein Entlastungspaket im Umfang von insgesamt 30 Milliarden Euro beschlossen, das mit gezielten Maßnahmen diesen Bürgerinnen und Bürgern konkret hilft und soziale Härten abfedert.
RP: Muss es weitere Entlastungen etwa für Rentner geben?
Heil: Zum 1. Juli werden die Renten stark um über fünf Prozent im Westen und über sechs Prozent im Osten erhöht. Im Entlastungspaket ist viel drin von dem auch Ältere profitieren, zum Beispiel vom 200-Euro-Zuschuss auch für Menschen in der Grundsicherung im Alter. Außerdem sind knapp 50 Prozent der Wohngeldempfänger Rentner, die erhalten den Heizkostenzuschuss. Und von der Abschaffung der EEG-Umlage, dem 9-Euro-Ticket im Öffentlichen Personenverkehr und den Maßnahmen zur Senkung von Benzinkosten profitieren Rentnerinnen und Rentner genauso wie alle anderen. Das machen wir jetzt kurzfristig und ich werde mich, wo immer das nötig und möglich ist, für weitere Entlastungen einsetzen. Wenn etwa die Preissteigerungen langfristig andauern, müssen wir dauerhafte Entlastungen organisieren.
RP: Sind die Renten dauerhaft sicher, auch dann, wenn sich die weltpolitische Lage weiter zuspitzt?
Heil: Wir haben ein stabiles Rentensystem, weil der Arbeitsmarkt so stabil ist und die Löhne angemessen steigen. Wir müssen aber noch Einiges tun, um das Rentensystem dauerhaft stabil zu halten – etwa, indem wir das Rentenniveau auch über 2025 hinaus langfristig bei 48 Prozent sichern.
RP: Ist die Regierung ehrlich genug? Müssen Sie den Menschen nicht sagen, dass bald auch drei Euro für einen Liter Benzin möglich sind?
Heil: Die Bundesregierung ist ehrlich: Wir sagen den Bürgerinnen und Bürgern, dass wir als Staat zwar jetzt besondere Härten abfedern können, dass der Staat aber nicht für alle die Preissteigerungen durch Subventionen vollständig ausgleichen kann. Es geht darum gezielt die Menschen mit normalen und geringen Einkommen zu unterstützen. Spitzenverdiener werden keine staatliche Unterstützung bekommen.
RP: Können Sie sich Gelbwesten-Proteste und Aufruhr wie in Frankreich vorstellen, wenn die Inflation nicht nachlässt?
Heil: Unser Sozialstaat ist unser größtes Pfund in diesen Zeiten, um einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Wir sind in außergewöhnlichen Zeiten durch den Ukraine-Krieg. Wir müssen deshalb mehr tun für äußere Sicherheit und die Bundeswehr besser ausrüsten. Wir werden aber nicht äußere Sicherheit gegen sozialen Frieden im Inland ausspielen, denn wir brauchen Beides. Es geht um die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaft nach innen und nach außen. Wichtig ist zudem, dass zum 1. Oktober der Mindestlohn auf 12 Euro steigt, das ist ein Plus von bis zu 22 Prozent für über sechs Millionen hart arbeitende Menschen.
RP: Das heizt die Inflation weiter an!
Heil: Andersrum wird ein Schuh draus: Die Erhöhung des Mindestlohns sorgt dafür, dass Menschen, die hart arbeiten aber wenig verdienen, deutlich mehr im Portemonnaie haben, und mindert für diese Menschen den Inflationsdruck. Bis zu 22 Prozent mehr Lohn helfen bei steigenden Preisen ganz konkret. Und die Inflation ist ja nicht durch Löhne getrieben, sondern vor allem durch Energiekosten.
RP: Gleichzeitig fordern Gewerkschaften wie beim Stahl Lohnerhöhungen um acht Prozent. Wie wollen Sie die Lohn-Preis-Spirale anhalten?
Heil: Wir müssen eine Balance finden zwischen angemessenen Lohnerhöhungen und staatlichen Entlastungen, um mit der erhöhten Inflation klar zu kommen. Ich bin mir sicher, dass wir etwa wegen der langfristig steigenden CO2-Preise ein sozial gestaffeltes Klimageld brauchen werden. Das ist im Koalitionsvertrag ja auch schon angelegt.
RP: Warum senken Sie nicht die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel?
Heil: Bei allem, was wir tun, müssen wir auch dafür sorgen, dass Entlastungen auch tatsächlich ankommen, und zwar bei denen, die sie brauchen. Klar ist: Wenn wir langfristig ein sehr hohes Preisniveau behalten, werden wir neue Antworten finden. Und wir dürfen von uns aus nichts tun, was die Situation verschlimmern könnte. Ein einseitiges Gasembargo Deutschlands gegenüber Russland etwa würde uns in eine Doppel-Krise stürzen, dann wären wir in einer Stagflation, also in einer Wirtschaftskrise und noch stärker steigenden Preisen …
RP: … aber nun dreht ja die Ukraine Europa den Gashahn zu.
Heil: Das stimmt so nicht, und derzeit ist die Gasversorgung gesichert. Tatsache bleibt: Wir müssen unabhängiger werden von Rohstoffimporten und uns auch auf Notfälle vorbereiten. Deshalb ist der Bundeswirtschaftsminister ja unermüdlich in der Welt unterwegs, deshalb werden LNG-Terminals in rasender Geschwindigkeit gebaut. Deshalb gibt es Notfallpläne, und deshalb sorgen wir für mehr Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien.
RP: Wie müsste die Bundesregierung eine Stagflationskrise bekämpfen?
Heil: Stagflation ist der Horror aller Ökonomen und Politiker, weil sie eine Mischung aus sehr hohen Preisen ist und die Wirtschaft zusammenbricht. Das gilt es zu verhindern. Und Gott sei Dank wächst unsere Wirtschaft ja immer noch.
RP: Wie bereiten Sie sich vor?
Heil: Im Moment gehen wir nicht davon aus, dass uns in diesem Jahr der Himmel auf den Kopf fällt. Wir haben Wirtschaftswachstum und einen außerordentlich stabilen Arbeitsmarkt. Falls die Lage wirtschaftlich eskaliert, werden wir keine Sekunde zögern und entschlossen handeln, indem wir etwa die Kurzarbeit weiter verlängern.
RP: Wie wollen Sie ukrainische Flüchtlinge am Arbeitsmarkt integrieren?
Heil: Gut ist, dass alle EU-Staaten an einem Strang ziehen und den Flüchtlingen aus der Ukraine sofort Schutz gewähren, ohne dass sie einen Asylantrag stellen müssen. Wir haben den Geflüchteten direkt den Zugang zum Arbeitsmarkt geöffnet und räumen weitere Hürden beiseite.
RP: Braucht es langfristige Integration in Jobs? Viele Ukrainerinnen und Ukrainer wollen ja möglichst bald in ihre Heimat zurück.
Heil: Die Menschen sind vor Krieg geflohen. Daher wünschen sich die meisten eine schnelle Rückkehr. Aber die Zerstörung in vielen ukrainischen Städten ist enorm. Und niemand weiß, wie lange der brutale Angriff Russlands noch anhalten wird. Wir müssen uns auf lange Bleibe-Zeiträume über mehrere Jahre einstellen. Und viele Menschen aus der Ukraine wollen dauerhaft bei uns bleiben. Daher braucht es auch eine echte Integration und keine Zwischenlösungen, bei denen die Menschen nur als Hilfskräfte ausgebeutet werden.
RP: Befürchten Sie, dass die derzeitige Hilfsbereitschaft in der deutschen Gesellschaft kippen könnte und Neiddebatten kommen?
Heil: So etwas zeichnet sich nach meinem Eindruck nicht ab. Man darf bedürftige Einheimische nicht gegen Geflüchtete ausspielen. Mit der Betreuung durch die Jobcenter aus einer Hand packen wir das an. Das ist eine große Herausforderung, aber unser Sozialstaat wird das wuppen.