- Datum:
- 24.01.2022
Korrespondentenbüro Herholz: Haben sie über die Erhöhung des Mindestlohns hinaus noch weitere Pläne zur Verbesserung der Bedingungen für Niedrigverdiener?
Hubertus Heil: Wir brauchen mehr Leistungsgerechtigkeit und Respekt für diejenigen, die viel arbeiten, aber bisher zu wenig Lohn bekommen. Ein höherer Mindestlohn von 12 Euro ist ein wichtiger Schritt, um dieses Ziel zu erreichen. Aber wir müssen noch mehr tun. Wir brauchen vor allem mehr ordentliche Tarifverträge. Nur noch 48 Prozent der Beschäftigten arbeiten unter dem Dach eines Tarifvertrages, der in der Regel für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne sorgt. Deshalb werden wir auch dafür sorgen, dass zukünftig öffentliche Aufträge des Bundes nur noch an Unternehmen gehen, die nach Tarif bezahlen. Der Staat muss beim Thema Tariftreue mit gutem Beispiel vorangehen.
Korrespondentenbüro Herholz: Und was passiert in der Altenpflege?
Hubertus Heil: Ab Mitte des Jahres gilt, dass in der Altenpflege nur noch Einrichtungen mit der Pflegeversicherung abrechnen können, die ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen. Mir ist wichtig, dass wir in den kommenden vier Jahren einen neuen Anlauf unternehmen, um zu einem allgemein verbindlichen Tarifvertrag in der Altenpflege zu kommen.
Korrespondentenbüro Herholz: Was hat die Corona-Krise mit den Arbeitsbeziehungen und -bedingungen der Menschen angerichtet?
Hubertus Heil: Die Pandemie hat schonungslos deutlich gemacht, dass viele Menschen, die dieses Land am Laufen halten, keine einfachen Arbeitsbedingungen haben – zum Beispiel in der Pflege, Logistik oder an der Supermarktkasse. Dazu hat Corona Entwicklungen, die den Arbeitsmarkt grundlegend verändern, deutlich beschleunigt. Das erleben viele Beschäftigte hautnah mit viel mehr Home-Office als vor der Pandemie. Wir werden daher einen neuen Rechtsrahmen für diesen Bereich schaffen. Zudem müssen wir dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt weiter insgesamt stabil durch diese Krise kommt. Wir haben dort bislang kein Erdbeben erlebt, vor allem wegen des Instruments der Kurzarbeit. Und der Arbeitsschutz hat durch Corona eine ganze neue Bedeutung bekommen. Arbeit darf nicht krankmachen, weder körperlich noch seelisch.
Korrespondentenbüro Herholz: Corona hat digitalen Anbietern einen Schub gegeben. Wie bewerten Sie das?
Hubertus Heil: Corona hat die Digitalisierung der Arbeitswelt beschleunigt. Das ist zum einen eine Riesen-Chance und führt auch zu neuen Arbeitsplätzen in der Plattform-Ökonomie. Man darf Digitalisierung aber nicht mit Ausbeutung verwechseln. Wer das tut, wird in mir einen erbitterten Gegner haben. Bei diesen neuen Formen von Arbeit werden wir darauf achten müssen, dass die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht unter die Räder kommen. Konkret: Auch in der Plattform-Ökonomie haben Beschäftigte das Recht, Betriebsräte zu gründen. Wo das unterdrückt wird, werden wir härter dagegen vorgehen. Wer die Arbeit von Betriebsräten und deren Gründung behindert, wird es mit dem Staatsanwalt zu tun bekommen. Dazu werden wir das Strafrecht verschärfen.
Korrespondentenbüro Herholz: Wie passen der wachsende Mangel an Fachkräften und die sinkenden Arbeitslosenzahlen zusammen?
Hubertus Heil: Wir haben in der Krise einen Einbruch auf dem Arbeitsmarkt mit staatlichen Maßnahmen abgewendet. Mit dem Instrument der Kurzarbeit haben wir Brücken gebaut und konnten Millionen Arbeitsplätze sichern. Diese Brücken haben dazu beigetragen, dass die Unternehmen nach der Krise mit Fachkräften an Bord wieder durchstarten können. Wir erleben aber auch einen wachsenden Fachkräftemangel. Für die Fachkräfte-Sicherung braucht es ein Bündel an Maßnahmen: Wir müssen die Erwerbstätigkeit von Frauen massiv erhöhen. Deutschland muss eine Weiterbildungsrepublik werden. Deshalb werden wir für Beschäftigte Bildungszeiten ermöglichen und auch Kurzarbeit besser mit Weiterbildung verbinden. Darüber hinaus gibt es unter Langzeitarbeitslosen ein großes Potenzial, deshalb werden wir das Nachholen eines Berufsabschlusses fördern. Und schließlich brauchen wir ergänzend
Zuwanderung aus dem Ausland. Hierfür gibt es noch zu viele Restriktionen. Daher müssen wir jetzt das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz weiterentwickeln. Wir werden die gesamte Fachkräftestrategie der Bundesregierung gemeinsam mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Ländern grundlegend neu aufstellen – denn dieses Thema ist zentral für unsere Zukunft.
Korrespondentenbüro Herholz: Ein Thema, das ganz oben rangiert bei Vertretern aller Generationen ist das der gesetzlichen Rente. Wann wollen Sie mit Reformvorschlägen dazu kommen?
Hubertus Heil: Vorausschauende Rentenpolitik muss alle Generationen im Blick haben, die Alten wie die Jungen. Man darf die Generationen nicht gegeneinander ausspielen. Wir stehen vor erheblichen Herausforderungen, weil jetzt bald sehr geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Wenn wir die Stabilität des Alterssicherungssystems erhalten wollen, dann sind zwei Dinge wichtig. Zum einen sind Weichenstellungen in der Rentenpolitik nötig. Damit die gesetzliche Rente das stabile Fundament der Alterssicherung bleibt, werden wir das Rentenniveau dauerhaft stabil halten. Zum anderen muss am Arbeitsmarkt alles getan werden, um die gesetzliche Rente zu festigen. Je mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter die Chance auf Arbeit mit anständigen Löhnen haben, desto stabiler ist auch das Alterssicherungssystem. Für eine stabile Rente, auf die sich alle verlassen können, werden wir noch in diesem Jahr die Weichen neu stellen.