Aus- und Weiterbildung

"Wir müssen dafür sorgen, dass Deutschland den Weg in die Weiterbildungsrepublik geht"

Interview mit Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, in der Rheinischen Post

Datum:
23.07.2021

Rheinische Post: Herr Heil, die Corona-Krise hat die Einnahmen der Rentenversicherung verringert, und die demografische Entwicklung bedroht das Fundament der Rentenkasse. Was wollen Sie in Zukunft tun, um die Renten zu stabilisieren?

Hubertus Heil: Die Prognosen vor 15 Jahren waren viel schlechter als die Wirklichkeit. Das macht mir Mut. Wir haben die Renten auf hohem Niveau gesichert, weil wir einen so robusten Arbeitsmarkt hatten. Wenn es uns gelingt, in Zukunft so viele Menschen wie möglich zu höheren Löhnen zu beschäftigen, dann sorgen wir auch in Zukunft für eine sichere und auskömmliche Rente. Wir haben dafür gesorgt, dass das Rentenniveau erstmal bis 2025 stabil bleibt. Ich will, dass wir diese Haltelinie bis 2040 verlängern. Die Rente darf nicht von der Lohnentwicklung abgekoppelt werden.

RP: Dafür müssten Sie wohl Wunder vollbringen: Die Beschäftigtenzahl wird demografiebedingt sinken, die Zahl der Rentner stark steigen…

Heil: Wenn die Babyboomer aus dem Erwerbsleben ausscheiden, müssen wir künftig umso mehr Menschen aktivieren, die erwerbsfähig sind und künftig mehr zur Rentenfinanzierung beitragen könnten. Wir haben jährlich über 50.000 Schulabbrecher, über eine Million Langzeitarbeitslose, von denen viele keine Berufsausbildung haben, und zu viele Frauen in Teilzeit. Wenn wir die alle aktivieren, haben wir auch die Ressourcen, damit die gesetzliche Rente stabil bleibt.

RP:Zur Ehrlichkeit gehört angesichts der Demografie doch, dass das Rentenalter nach 2030 über 67 Jahre hinaus weiter steigen muss…

Heil: Das erzählen sich einige, aber die haben keinen Blick auf die Lebensrealität vieler Menschen. Einer Krankenschwester, einem Stahlarbeiter oder einem Lageristen zu sagen, du arbeitest jetzt bis 70, das ist zynisch. Wir haben in Europa schon jetzt eines der höchsten Rentenalter. Es bleibt weiterhin richtig, dass man nach 45 Versicherungsjahren Schluss machen kann. Wer länger arbeiten möchte, für den gibt es die Flexi-Rente…

RP: … die aber nach wie vor kaum einer nutzt!

Heil: Wir haben die Flexi-Rente schon verbessert. Ich setze im Arbeitsleben an, damit wir für die Herausforderungen der Digitalisierung besser gewappnet sind. Ich bin für einen Rechtsanspruch jedes Arbeitnehmers auf eine regelmäßige Weiterbildungszeit während seines Erwerbslebens. Die muss genauso selbstverständlich werden wie die Elternzeit. Die Bundesagentur für Arbeit werden wir weiter entwickeln zu einer echten Arbeitsagentur, zur zentralen Plattform für Qualifizierung. Das hilft dann auch der gesetzlichen Rente.

RP: Bei der Elternzeit ist ja das Elterngeld attraktiv. Wird es also ein Weiterbildungsgeld des Staates geben?

Heil: Ja, wir wollen uns als Staat an der Qualifizierung und Weiterbildung künftig stärker beteiligen. Unternehmen, die Mitarbeiter fortbilden, können heute schon von der Bundesagentur Unterstützung erhalten. Das ist aber im Moment noch eine Ermessensleistung der Bundesagentur. Ich möchte, dass die Beschäftigten einen eindeutigen Rechtsanspruch auf staatliche Unterstützung in der Weiterbildungszeit erhalten.  Wir müssen dafür sorgen, dass Deutschland den Weg in die Weiterbildungsrepublik geht. Wenn wir es nicht tun, werden wir einen tief gespaltenen Arbeitsmarkt haben: auf der einen Seite die Verlierer, die in der digitalisierten Welt keinen Job finden, auf der anderen Seite die Unternehmen, die händeringend Fachkräfte suchen. Das macht volkswirtschaftlich keinen Sinn und das kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten. 

RP: Massenarbeitslosigkeit haben Sie in der Corona-Krise vor allem durch das Kurzarbeitergeld verhindert. Wie teuer wird es?

Heil: Wir hatten allein 26 Milliarden Euro an Rücklagen aus den guten Arbeitsmarktzeiten. Die haben wir im Kampf um Arbeitsplätze voll eingesetzt. Ich rechne damit, dass wir seit Beginn der Pandemie 38 Milliarden Euro für Kurzarbeit ausgegeben haben. Das ist verdammt viel Geld. Die Alternative Massenarbeitslosigkeit wäre aber für unser Land sehr viel teurer.

RP: Haben Sie Hinweise auf Missbrauch oder fehlerhafte Abrechnungen?

Heil: In der Not haben wir schnell und unbürokratisch geholfen. Ich will nicht ausschließen, dass es in Einzelfällen Fehler gegeben hat. Das wird zu gegebener Zeit nach Recht und Gesetz kontrolliert werden. Aber die Bundesagentur für Arbeit hat großartiges geleistet und Millionen Arbeitsplätze gesichert.  Ein starker Sozialstaat muss nicht nur Menschen schützen, sondern auch Arbeitsplätze und die Wirtschaft retten.

RP: Beim geplanten Rechtsanspruch auf Home-Office haben Sie sich bei der Union eine blutige Nase geholt. Wird es nach der Pandemie wieder schwieriger, flexibler zu arbeiten?

Heil: Wir brauchen nach der Pandemie auf Dauer einen modernen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten. Wir haben schon Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten gestärkt, Lücken im Unfallversicherungsschutz geschlossen und die steuerliche Absetzbarkeit erhöht. Das reicht mir noch nicht. Ich möchte es so ähnlich wie in den Niederlanden machen. Da haben Beschäftigte seit 2015 den Anspruch, mit dem Chef über ihre Home Office-Wünsche zu sprechen. Der Chef kann das nur ablehnen, wenn es plausible betriebliche Gründe gib. Mein Gesetzentwurf zum Home-Office liegt fertig in der Schublade. Den können wir nach der Wahl mit anderen Mehrheiten dann umsetzen. Es ist traurig, dass die CDU auch am Arbeitsmarkt noch nicht so modern ist wie die SPD.

RP: Die Ära Merkel geht zu Ende. Werden Sie da wehmütig?

Heil: Wehmütig nicht. Aber das ist schon eine Zäsur. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik waren Frau Merkel und ich oft nicht einer Meinung. Persönlich habe ich hohen Respekt vor dem, was sie geleistet hat. Ihren Humor und ihre Schlagfertigkeit werde ich vermissen.