- Datum:
- 19.08.2020
Solinger Tageblatt: Herr Heil, die Krise trifft zunehmend den Mittelstand – also auch den klassischen Maschinen- und Anlagenbau. Im Gespräch ist eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes. Wie lange können Sie helfen, und wie lange reicht das Geld?
Hubertus Heil: Kurzarbeit bleibt unsere stabilste Brücke über ein sehr tiefes wirtschaftliches Tal in dieser Pandemie. Wir hatten in Deutschland im Mai 6,7 Millionen Menschen in Kurzarbeit und das ist sehr teuer. Aber die Alternative dazu wäre Massenarbeitslosigkeit und die wäre um ein Vielfaches teurer. Deshalb werden wir wohl bereits nächste Woche im Koalitionsausschuss darüber beraten, wie es mit der Kurzarbeit weitergeht. Denn die Krise wird ja nicht am 1. Januar 2021 vorüber sein. Wir müssen also entscheiden, ob wir Kurzarbeit von 12 auf 24 Monate verlängern. Dafür werden wir auch Liquiditätshilfen aus dem Bundeshaushalt brauchen. Ich bin gerade mit Finanzminister Olaf Scholz darüber im Gespräch, wie wir die stabile Brücke Kurzarbeit auch 2021 sichern können. Mir geht es aber nicht nur darum, die Kurzarbeit zu verlängern, sondern ich will sie auch mit Qualifizierung verbinden. Denn was wir erleben ist, dass diese Pandemie die Wirtschaftsstruktur und die Qualifikationsanforderungen in vielen Branchen verändern wird.
Solinger Tageblatt: Wie können wir das schaffen? Wie kann man zum Beispiel die bergischen Automobilzulieferer oder die Klingen- und Werkzeugindustrie unterstützen?
Heil: Wir haben zu Beginn der Corona-Pandemie das "Arbeit-von-morgen-Gesetz" beschlossen, das uns eine ganze Fülle an Instrumenten an die Hand gibt. Instrumente, mit denen wir vor allem auch mittelständische Unternehmen im Strukturwandel unterstützen können. Wir werden Anreize für Investitionen in Weiterbildung setzen. Unser Ziel bleibt es, die Menschen in Beschäftigung zu halten, aber wir wollen auch die Beschäftigten von heute mit Instrumenten unterstützen, dass sie die Arbeit von morgen machen können. So haben die Unternehmen auch die Fachkräfte, die sie für die Zukunft brauchen.
Solinger Tageblatt: Eine These der Bergischen Struktur- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft ist, dass wir 2035 in Teilen des Bergischen Landes autonom fahren. Fahren wir dann auch schon mit Wasserstoff?
Heil: Wer behauptet, das jetzt schon im Detail zu wissen, der hat eine Glaskugel. Aber richtig ist, dass die Voraussetzungen für eine moderne Mobilität jetzt geschaffen werden müssen. Wasserstoff ist zweifellos eine zukunftsweisende Möglichkeit, Fahrzeuge anzutreiben. Jetzt geht es darum, Forschung und Entwicklung zu unterstützen. Dafür nehmen wir als Bundesregierung 9 Milliarden Euro in die Hand. Aber mir ist wichtig, dass wir aus technischem Fortschritt auch sozialen Fortschritt machen. Ich will, dass von diesem Fortschritt möglichst viele Menschen profitieren. Das zu organisieren, ist auch eine staatliche Aufgabe.
Solinger Tageblatt: Unterstützung - vor allem bei den Sozialkosten – brauchen auch Städte wie Solingen und Remscheid. Wann können die mit einer spürbaren Entlastung rechnen?
Heil: Wir versuchen bereits heute, Kommunen in die Lage zu versetzen, wieder selbst vor Ort zu gestalten. Zum Beispiel greifen wir ihnen bei den Sozialleistungskosten unter die Arme. Dennoch dürfen wir uns damit nicht zufriedengeben. Wir setzen uns weiter für einen Altschuldentilgungsfonds ein. Den bekommen wir aber nur hin, wenn die Länder mitmachen.
Solinger Tageblatt: Die Enttäuschung war hier groß, dass "nur" Altenpfleger einen Lohnzuschlag erhalten, aber nicht die Krankenpfleger. Was wollen sie tun, um dort dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
Heil: Bei den Altenpflegern hat der Bund bei Bonuszahlungen eine Möglichkeit der Refinanzierung, bei den Krankenpflegern nicht. Ich kann den Unmut trotzdem verstehen. Es geht darum, mehr zu tun, als nur Applaus zu spenden und Boni zu zahlen. Wir müssen die Voraussetzungen für eine bessere Lohn- und Gehaltsentwicklung schaffen. Bei der Grundrente haben wir ja etwas für genau diese Gruppe getan. Dabei kann es aber nicht bleiben. Zwei Stellschrauben sind hier wichtig: Die Weiterentwicklung des Mindestlohns – der wird jetzt auf 10,45 Euro steigen. Ich werde im Herbst darüber hinaus aber einen Vorschlag machen, wie wir schneller zur Zielmarke von 12 Euro kommen. Außerdem müssen wir Anreize für mehr Tarifbindung setzen. Ich sehe mit Sorge, dass nur 47 Prozent der Beschäftigten unter einen Tarifvertrag fallen. Das trifft vor allen Dingen die Pflegebereiche, aber auch den Einzelhandel. Ein Beispiel: Viele Bundesländer vergeben Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen. Der Bund kennt ein solches Gesetz bisher nicht. Ich finde nicht, dass wir mit Steuergeld noch Tarifflucht unterstützen sollten.
Solinger Tageblatt: Das Solinger Modeunternehmen Walbusch hat gefordert, den Datenschutz im Homeoffice zu regeln. Was sind hier die Kernthemen?
Heil: Datenschutz im Homeoffice ist wichtig, aber es geht natürlich noch um viel mehr. Viele Menschen haben in den vergangenen Monaten erfahren, dass Homeoffice nichts Romantisches ist, wenn es beispielsweise mit dem Homeschooling der eigenen Kinder zusammenfällt. Andere hingegen fassen es als Möglichkeit eines selbstbestimmteren Arbeitens auf. Mobiles Arbeiten braucht, wo es grundsätzlich möglich ist, klare Regeln für alle und dazu werde ich auch im Herbst Vorschläge machen. Homeoffice darf nicht zur Entgrenzung von Arbeit führen, also nicht zum Arbeiten rund um die Uhr. Arbeitnehmer- und Arbeitsschutzrechte gelten auch im Homeoffice. Dafür brauchen wir Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Gewerkschaften sowie einen moderneren Gesetzgebungsrahmen. Es gibt Flexibilitätswünsche von Unternehmen, aber auch die der Beschäftigten. Mir geht es um einen fairen Interessenausgleich in Zeiten der Digitalisierung.
Solinger Tageblatt: Die Remscheider Werkzeugindustrie ist von der Krise hart getroffen. Wie schätzen Sie die Zukunft dieser Branche ein?
Heil: Es hängt davon ab, ob es uns als Ausrüster und Exportnation gelingt, auch den europäischen Wirtschaftsmotor wieder anzukurbeln. Darum ist es in unserem Interesse, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa mit staatlichen Programmen auf stärkere Kaufkraft und Investitionen setzen. Ich bin froh, dass der deutsch-französische Plan in der Europäischen Union aufgegangen ist. Aber: Er muss jetzt auch umgesetzt werden.