- Datum:
- 30.04.2020
RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): Herr Heil, wird der 1. Mai, der Tag der Arbeit, in diesem Jahr ein seltsamer Tag für den Arbeitsminister?
Hubertus Heil: Der Tag der Arbeit wird in diesem Jahr in jedem Fall ungewohnt werden so ganz ohne Großkundgebungen. Aber der DGB hat eine Veranstaltung im Internet organisiert und daran werde ich mich mit einem Beitrag beteiligen. Gerade am 1. Mai soll deutlich werden, dass wir in der Corona-Krise um jeden Arbeitsplatz kämpfen. Wir können uns an diesem Tag nicht nah sein, aber wir stehen zusammen.
RND: Die Corona-Krise schüttelt unsere Volkswirtschaft kräftig durch. Wie tief und wie lang andauernd wird die Krise?
Hubertus Heil: Das kann niemand mit Sicherheit sagen. Sicher ist jedoch, dass wir uns mitten in der größten wirtschaftlichen Herausforderung unserer Generation befinden. Wir haben Angebots- und Nachfrageprobleme zugleich. Lieferketten funktionieren nicht mehr. Gleichzeitig bricht der Absatz weg, weil Menschen Lohneinbußen haben. Das stellt uns vor schwierige Aufgaben. Aber wir sind nicht zuletzt dank des Instruments der Kurzarbeit besser als andere Länder dafür aufgestellt, die Probleme zu bewältigen.
RND: Auf welche Zahl von Kurzarbeitern müssen wir uns schlimmstenfalls einstellen?
Hubertus Heil: Es geht um die richtige Perspektive: Wir werden es bei der Kurzarbeit mit Millionen-Zahlen zu tun haben, die auf viele erschreckend wirken. Aber Kurzarbeit sichert ja gerade Millionen von Arbeitsplätzen uns sorgt dafür, dass die Wirtschaft wieder schnell hochgefahren werden kann, wen die Zeit gekommen ist. In den USA dagegen sind in den vergangenen Wochen 26 Millionen Arbeitsplätze verschwunden. Wir in Deutschland bauen mit der Kurzarbeit Brücken, die Menschen im Arbeitsmarkt halten. Falls es besonders lange Brücken werden müssen, wird uns das Baumaterial nicht ausgehen.
RND: Das Kurzarbeitergeld wird für die Dauer der Corona-Krise für einen Teil der Arbeitnehmer aufgestockt. Was fehlt jetzt noch, um Arbeitnehmer möglichst gut zu schützen?
Hubertus Heil: Das Kabinett hat die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes beschlossen. Damit können wir jetzt Lohneinbußen für alle, die besonders lange in Kurzarbeit sind, besser abfedern. Das ist auch wirtschaftlich vernünftig, weil es die Nachfrage stärkt. Auch das Arbeitslosengeld verlängern wir in der Krise. Das sind zentrale Elemente. Aber es gibt tatsächlich immer neue Fragen für die wir Lösungen finden müssen. Wir müssen auch denjenigen absichern, der nicht krank ist, aber in häusliche Quarantäne muss - weil ihm beispielsweise die Corona-App, die es hoffentlich bald gibt, das anzeigt.
RND: Wie soll die Absicherung in solchen Fällen aussehen?
Hubertus Heil: Niemand sollte Lohneinbußen haben, nur, weil er in Quarantäne muss, aber nicht im Homeoffice arbeiten kann. An einer solchen Lösung arbeiten wir in der Bundesregierung mit Hochdruck.
RND: Die Bundesagentur für Arbeit hat zu Beginn der Krise Rücklagen von 26 Milliarden Euro gehabt. Wie lange reichen die?
Hubertus Heil: Niemand kann die Dauer der Krise vorhersagen. Bisher sind wir gut gerüstet. Im Notfall wird es Liquiditätshilfen des Bundes geben. Das heißt: Der Bund springt dann ein. Jeder, dem Kurzarbeitergeld zusteht, wird es auch bekommen.
RND: Das Land befindet sich in Corona-Zeiten im Homeoffice. Sie haben gerade angekündigt, Sie wollten bis Herbst einen Gesetzentwurf für das Recht auf Homeoffice vorlegen. Den hatten Sie eigentlich schon für vergangenes Jahr angekündigt. Sind Sie in der Frage ein Ankündigungsminister?
Hubertus Heil: Ein Ministerium kann nie alle Gesetze gleichzeitig auf den Weg bringen. Jetzt packen wir das Recht auf Homeoffice an und können dabei aus den vielfältigen Erfahrungen in der Corona-Krise lernen. Es ist sinnvoll, den Gesetzentwurf im Herbst vorzulegen.
RND: Welche Lehren aus der Krise sollen in das Gesetz eingehen? Viele, die jetzt unerwartet im Homeoffice gelandet sind, sehnen sich doch in Wirklichkeit wieder nach ihrem Arbeitsplatz.
Hubertus Heil: Die Corona-Krise macht eines deutlich: Arbeit im Homeoffice funktioniert – in einem viel höheren Maß, als viele Arbeitgeber dachten. Natürlich gilt auch künftig: Der Bäcker kann kein Recht auf Homeoffice bekommen, weil er die Brötchen nicht zu Hause backen kann. Aber für die, die zu Hause arbeiten können und wollen, wird es einen Rechtsanspruch geben. Zugleich gilt: Die derzeitige Situation führt uns deutlich vor Augen, dass Arbeitnehmer im Homeoffice genauso geschützt werden müssen wie im Betrieb. Es darf und wird keinen Zwang zum Homeoffice geben. Auch zu Hause muss gelten: Niemand muss rund um die Uhr erreichbar sein.
RND: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände lehnt das geplante Gesetz ab.
Hubertus Heil: Ich kenne viele Unternehmer, die wissen, dass das Angebot von Homeoffice Teil einer modernen Arbeitswelt ist. Diese fortschrittlichen Kräfte werden den Arbeitgeberverbändern sicher erklären, dass man von Arbeitnehmern nicht immer nur Flexibilität abfordern kann, sondern sie ihnen auch ermöglichen muss.
RND: Die Grundrente ist noch immer nicht im Parlament. Was tun Sie, wenn die Union das im Kabinett bereits beschlossene Projekt in der nächsten Sitzungswoche noch immer blockiert?
Hubertus Heil: Ich will, dass die Grundrente am 1. Januar 2021 in Kraft tritt. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern die Beschlusslage der gesamten Bundesregierung. Deshalb erwarte ich, dass die Grundrente in der nächsten Sitzungswoche auf die Tagesordnung des Parlamentes kommt.
RND: In der Union gibt es immer noch Fragen, ob das Gesetz so wirklich praktikabel und umsetzbar ist.
Hubertus Heil: Das Gesetz entspricht der gemeinsamen Lösung von SPD, CDU und CSU. Technische Fragen sind klärbar. Es geht aber um eine politische Frage: Wir erleben, dass der Bundestag aufsteht und für die Menschen klatscht, die als Supermarktkassiererinnen oder Pflegehelfer für wenig Geld in systemrelevanten Berufen arbeiten. Wenn dann eine Debatte gegen die Grundrente angezettelt wird, die gerade diesen Menschen hilft, finde ich das zynisch.
RND: Gibt es Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, auf die Sie angesichts der tiefen wirtschaftlichen Krise verzichten müssen: das Gesetz zur Bekämpfung der sachgrundlosen Befristung zum Beispiel?
Hubertus Heil: Manches müssen wir später beraten, weil die Parlamentarier und die Regierung jetzt bei Fragen der unmittelbaren Krisenbewältigung gefordert sind. Das heißt aber nicht, dass der Koalitionsvertrag obsolet wird. Die Eindämmung der sachgrundlosen Befristung bleibt wichtig und ich will das in dieser Legislaturperiode noch regeln.
RND: Eine letzte Frage an den Fußballfan Hubertus Heil: Sie prüfen gerade, ob die Bundesliga unter dem Gesichtspunkt der Arbeitssicherheit für die Spieler wieder ihren Betrieb aufnehmen kann. Können die Fußballvereine nicht warten – so wie es andere Betriebe, denen es wirtschaftlich schlechter geht, auch tun?
Hubertus Heil: Die Gesamtentscheidung, ob und wann die Bundesliga wieder spielt, liegt in erster Linie bei den zuständigen Sportministern in Bund und Ländern und nicht bei mir. Da professionelle Fußballspieler und Vereinsmitarbeiter auch Arbeitnehmer sind, ist das Arbeitsministerium für ihren gesundheitlichen Arbeitsschutz zuständig. Die DFL hat in intensiven Gesprächen mit uns ihr Konzept im Interesse des Arbeitsschutzes weiterentwickelt. Von diesem Standpunkt aus, ist es tragfähig. Aber die politischen Entscheider werden mit Sicherheit auch andere Belange bei ihrer Entscheidung abzuwägen haben.