- Datum:
- 19.03.2020
Wirtschaftswoche: Herr Heil, das Coronavirus infiziert unsere Gesellschaft und Wirtschaft in ungekanntem Ausmaß. Wann war Ihnen klar, dass das Land auf eine außergewöhnliche, tiefe Krise zusteuert?
Heil: Das Bewusstsein kam nicht auf einen Schlag, es wuchs in Etappen. Als die Lufthansa mehr und mehr Flüge strich zum Beispiel, als eine Messe nach der nächsten abgesagt wurde. Das ist für uns alle ein absoluter Ausnahmezustand: politisch, ökonomisch, gesellschaftlich.
Wirtschaftswoche: Können Sie den Deutschen hier und heute versprechen, dass Ihre Jobs sicher sind?
Heil: Unser Land hat große finanzielle Möglichkeiten und konkrete Instrumente, um Arbeitnehmer zu schützen und schnelle Hilfen anzubieten. Es wird wirtschaftliche Einbrüche geben, deren Ausmaß niemand absehen kann. Aber ja: Meine Priorität ist es jetzt, den Beschäftigten deutlich zu sagen: wir helfen euch durch gezielte, finanzstarke Maßnahmen, eure Jobs zu sichern.
Wirtschaftswoche: Was macht Sie da so sicher?
Heil: Wir errichten einen Schutzschirm für Wirtschaft und Arbeit und spannen soziale Sicherungssysteme. Wir haben das doch auch schon einmal geschafft: während der Finanzkrise 2009. Und diesmal sind wir sogar besser vorbereitet. Die massiv ausgeweitete Kurzarbeit ist bereits in Kraft, es stehen 26 Milliarden Euro aus den Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit (BA) genau dafür bereit. Deshalb mein Appell an alle Arbeitgeber: Kontaktieren Sie Ihre örtliche Arbeitsagentur, bevor Sie über Entlassungen auch nur nachdenken. Dort wird Ihnen und Ihren Mitarbeitern schnell und unkompliziert geholfen. Die Regelungen treten bereits rückwirkend zum 1. März in Kraft.
Wirtschaftswoche: In den Jahren der Finanzkrise waren in der Spitze bis zu anderthalb Millionen Deutsche in Kurzarbeit, die Rettung kostete rund 8,5 Milliarden Euro. Wie lange reicht die Reserve diesmal?
Heil: In ruhigeren Zeiten haben wir einmal von den Experten des IAB, dem Thinktank der Bundesagentur für Arbeit, berechnen lassen, wie üppig der Puffer sein muss, um eine schwere Krise durchzustehen. Das Ergebnis lautete: 0,65 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung - in Geld übersetzt: rund 20 Milliarden Euro. Wir können die Kurzarbeit also massiv und über einen sehr langen Zeitraum ausrollen, wenn uns das Virus dazu zwingen sollte.
Wirtschaftswoche: Auch sehr lange Zeiträume gehen zu Ende.
Heil: Selbst wenn – wenn! – die Rücklage der BA aufgebraucht sein sollte, werden wir jederzeit in der Lage sein, Geld aus dem Bundeshaushalt zu mobilisieren. Alle Unternehmen und alle Beschäftigten, die Kurzarbeitergeld benötigen, werden es auch bekommen.
Wirtschaftswoche: Klingt wie die Hubertus-Heil-Variation von Mario Draghis berühmten Satz "Whatever it takes".
Heil: Das ist jetzt ihr Vergleich.
Wirtschaftswoche: Genau genommen retten sich Betriebe und Belegschaften nicht zuletzt selbst. Es sind ihre angesparten Beiträge, die nun eingesetzt werden.
Heil: Woran man einmal mehr erkennt, wie klug unser Modell ist. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich die soziale Marktwirtschaft und unser Sozialstaat während dieses außergewöhnlichen Belastungstests einmal mehr als leistungsfähige und krisenresistente Errungenschaften erweisen werden. Dieses Land war viele Jahre sehr erfolgreich. Die öffentlichen Finanzen und Sozialversicherungen sind kerngesund, nicht zuletzt dank exzellenter Unternehmen und ihrer fleißigen Mitarbeiter. Nun werden wir dieses Kapital einsetzen, um das zu schützen, was wir alle aufgebaut haben. Man muss es laut sagen in diesen Tagen: Die Bundesrepublik stellt sich dieser Krise in bestmöglicher Verfassung.
Wirtschaftswoche: Viele Arbeitnehmer machen sich dennoch große Sorgen. Einige müssen wegen ihrer Kinder jetzt zu Hause bleiben, sie haben keinen Anspruch auf Notbetreuung und fallen folglich am Arbeitsplatz aus. Die fragen sich, ob sie ihre Gehälter weiterhin bezahlt bekommen. Denn die Lohnfortzahlung gilt hier ja nur für ein paar Tage.
Heil: Wir arbeiten wir an einer tragfähigen und finanzierbaren Lösung. Dies ist nicht die Zeit für Einzelinteressen, das Gemeinwohl geht vor. Niemand soll Angst vor unzumutbaren Lohneinbußen haben.
Wirtschaftswoche: Und wer hilft den Solo-Selbstständigen?
Heil: Die Bundesregierung arbeitet unter Hochdruck an zielgenauen Maßnahmen, um gerade auch Solo-Selbständige und Selbständige mit wenigen Beschäftigten dabei zu unterstützen, die Krise zu bewältigen. Für Soloselbstständige wird es einen Notfallfonds geben. Wir arbeiten aktuell an dessen Ausgestaltung. Schnell helfen Steuervorauszahlungen oder ‑stundungen sowie massive Kredite, die Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier angekündigt haben. Das ist ein weiteres wichtiges, kraftvolles Signal.
Wirtschaftswoche: Einige Freelancer glauben trotzdem nicht daran, dass Ihnen die KfW-Bank zur Seite stehen wird.
Heil: Das wird sie. Und die Bundesregierung arbeitet auch noch an weiteren Hilfen. Denn für diese Gruppe brauchen wir in der Tat mehr finanzielle Unterstützung, damit sie ihre Existenz sichern können. Eine Bedrohung der Lebenssituation darf und wird es nicht geben.
Wirtschaftswoche: Millionen Deutschen geht es gerade wie uns beiden: Sie arbeiten im Home Office. Viele spontan, ohne Planung und ohne Regeln. Die SPD fordert schon lange ein Recht auf Heimarbeit. Wird es nun bald kommen?
Heil: Das Thema ist und bleibt mir wichtig, aber es ist nun wirklich keines für die akute Krisenbewältigung. Die Flexibilität, die gerade allerorten praktiziert wird, ist großartig. Mittelfristig benötigen wir jedoch klare, rechtssichere Regeln für mobiles Arbeiten.
Wirtschaftswoche: Wird es nun das Belastungsmoratorium geben, dass die deutsche Wirtschaft seit Amtsantritt von Ihnen fordert?
Heil: Ich habe mich immer bemüht, verhältnismäßige Entscheidungen zu treffen. Was die einen als Arbeitnehmerrecht begrüßen, geißeln andere als Bürokratie für die Arbeitgeber. Doch jetzt ist nicht die Zeit für ideologische Auseinandersetzungen. Alle müssen pragmatisch sein und dürfen nicht alte Forderungen scharf stellen. Das hier ist nicht business as usual, weder für Politiker noch für Lobbyisten und schon gar nicht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land.
Wirtschaftswoche: Werden Sie also künftig befristete Arbeitsverhältnisse noch wie geplant per Gesetz einschränken?
Heil: Die Vorbereitungen für dieses Gesetz liefen schon vor der Coronakrise. Und sie laufen weiter. Aktuell haben wir aber andere Aufgaben, um die wir uns jetzt kümmern müssen.
Wirtschaftswoche: Und was wird aus dem ebenso umstrittenen Lieferkettengesetz, mit dem deutsche Unternehmen weltweit auf den Schutz der Menschenrechte verpflichtet werden sollen? Man hört, es sei endgültig vom Tisch.
Heil: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben Eckpunkte für ein solches Gesetz festgezurrt, es geht darin um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, auch im Interesse eines ebenso humanen wie fairen Wettbewerbs. Die Vorstellung ist aktuell verschoben, nicht aufgehoben. Das bleibt ein wesentliches Anliegen. Aber auch hier gilt: später.
Wirtschaftswoche: Arbeitgeber fürchten sich vor einer Haftung bis in letzte, kaum kontrollierbare Verästelungen ihrer Lieferketten.
Heil: Hier werden unsere Eckpunkte zur Versachlichung beitragen. Es geht um Firmen ab 500 Mitarbeitern. Kein Handwerker muss sich Sorgen um die Herkunft seiner Kupferkabel machen. Mir geht es sogar um einen Beitrag zur Rechtssicherheit deutscher Unternehmen: Wer seiner Sorgfaltspflicht nachkommt, kann sich damit auch enthaften und wer sich um Menschenrechte kümmert, darf keinen Wettbewerbsnachteil haben.
Wirtschaftswoche: Bleiben wir noch in der internationalen Politik. Die Coronakrise gefährdet auch das deutsch-amerikanische Verhältnis, weil die US-Regierung angeblich versucht haben soll, das Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac nach Amerika zu locken. Wie bewerten sie das als Arbeitsminister?
Heil: Jede Form von Egoismus und Nationalismus, erst recht in der Krise, lehne ich ab. Wir brauchen jetzt über die Grenzen hinweg Zusammenhalt, um die Folgen der Coronakrise einzudämmen und die Gesundheit der Menschen zu schützen. Über die Klarstellung der Eigentümer von Curevac, dass das nicht passieren wird, habe ich mich sehr gefreut. Es ist gut, dass dieser ungeheuerliche Abwerbeversuch keinen Erfolg hatte.
Wirtschaftswoche: Sie sind nicht nur Arbeitsminister, sondern auch für die Renten der Deutschen zuständig. Bleibt es bei der Vorstellung des Endberichts ihrer Rentenkommission Ende kommender Woche?
Heil: Die Kommission hat intensiv gearbeitet. Der Termin soll nach bisherigem Stand stattfinden. Wir können und werden unsere Arbeit nicht einstellen.
Nun ja, was Sie intensiv nennen, war handfester Streit. Ein Mitglied aus der Wissenschaft hat seinem Frust über Denkverbote öffentlich Luft gemacht.
Heil: Um mit einem Gerücht aufzuräumen: Weder das Ministerium noch ich selbst haben inhaltliche Vorgaben gemacht. Das sind Märchen. Ich habe eigene politische Auffassungen zur Rentenpolitik, die ich bei der Bewertung der Vorschläge dann auch äußern werde, aber ich erteile definitiv keine Denkverbote.
Wirtschaftswoche: Konkret geht es um die Frage, ob sich die Kommission mit der Frage beschäftigten soll, was nach der Rente mit 67 kommt – oder eben nicht.
Heil: Die Kommission soll Vorschläge unterbreiten, wie das Rentensystem über 2025 hinaus funktionieren kann. Da geht es um ein sicheres Rentenniveau, aber auch um die betriebliche und private Vorsorge. Um alle Stellschrauben, die dabei helfen, unsere Altersversorgung trotz einer alternden Gesellschaft tragfähig zu erhalten. Und gute, zielführende Ideen will ich noch vor der Bundestagswahl 2021 umsetzen. Denn die Babyboomer gehen schon bald in Rente.
Wirtschaftswoche: Es wäre also alles andere als unredlich, wenn die Kommission das Reizthema der längeren Lebensarbeitszeit ansprechen würde?
Heil: Netter Versuch. Ich werde der Kommission hier nicht vorgreifen, das gebietet der Respekt. Aber grundsätzlich: Nur ein leistungsfähiger Arbeitsmarkt kann eine produktive Wirtschaft, solide finanzierte Staatshaushalte und somit sichere Renten garantieren.
Wirtschaftswoche: Ein Politrentner, Altkanzler Gerhard Schröder, hat Sie jüngst zur Riege der potenziellen SPD-Kanzlerkandidaten gezählt. Wie haben Sie sich da gefühlt?
Heil: (lacht) Ganz ehrlich? Das ist mir derzeit egal.
Wirtschaftswoche: Zumindest haben wir dann in diesen ernsten Zeiten noch einmal gelacht.
Heil: So sehr ich meine SPD auch liebe: Es gibt gerade wahrlich wichtigeres als unsere zukünftigen Personalfragen.