- Datum:
- 04.12.2019
Focus: Waren Sie vom Votum der Basis für Saskia Eskens und Norbert Walter Borjahns überrascht?
Hubertus Heil: Es ist kein Geheimnis, dass ich auf ein anderes Team gesetzt habe, aber es ist eine demokratische Entscheidung und die respektiere ich.
Focus: Wie lange hält die GroKo noch?
Hubertus Heil: Die SPD wird auf ihrem Parteitag die Arbeit der Großen Koalition bewerten und ich denke, dass wir in den vergangenen 21 Monaten viel geschafft haben. Aber wir müssen auch nach vorne schauen und klären, was wir noch alles vorhaben und umsetzen können. Für mich ist klar: Die SPD darf die Verantwortung nicht scheuen.
Focus: Aber sind Eskens und Walter-Borjahns nicht mit dem Versprechen angetreten, aus der GroKo auszusteigen? Wenn sie jetzt weitermachen, gerät die neue SPD-Spitze doch gleich in eine Zwickmühle?
Hubertus Heil: Ich hielte es nicht für richtig, wenn die SPD ohne inhaltlichen Grund die Regierung verlässt. Wir haben einen Koalitionsvertrag verabredet, von dem wir schon viel umgesetzt haben, aber wir haben auch noch viel vor.
Focus: In der SPD sprechen sehr viele über den Ausstieg und vorgezogene Neuwahlen? Mit welcher Strategie wollen Sie denn dann vor den Wähler treten?
Hubertus Heil: Darüber mache ich mir jetzt keine Gedanken. Die SPD steht in der Regierungsverantwortung und sie sollte alles tun, um bei der nächsten Bundestagswahl 2021 stärker zu sein als jetzt.
Focus: Aber selbst wenn es bis 2021 weiterginge – was wäre die Machtoption? Eine neuen Groko scheidet ja wohl aus.
Hubertus Heil: Die SPD muss erst einmal stärker werden, damit es überhaupt eine Machtoption gibt. Unser Ziel muss es sein, so erfolgreich zu sein, dass nach der Zeit von Angela Merkel auch die SPD wieder einmal den Kanzler oder die Kanzlerin stellen kann.
Focus: Dafür braucht es aber auch einen Kanzlerkandidaten...
Hubertus Heil: Ja, das ist für mich ganz klar. Die SPD kann nicht den politischen Führungsanspruch aufgeben und sich einfach an den Rand der Gesellschaft verkriechen. Als Mitte-Links-Volkspartei müssen wir das Land wirtschaftlich, sozial und ökologisch gestalten wollen.
Focus: Können Sie den Ausstieg aus der GroKo durch eine Nachverhandlung des Koalitionsvertrages abwenden? Die neue SPD-Spitze fordert Neuverhandlungen.
Hubertus Heil: Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Situation, die von Zuspitzungen geprägt ist und in der sich viele Menschen Sorgen machen. Und in dieser Situation dürfen die Koalitionsparteien nicht den Eindruck erwecken, um sich selbst zu kreisen anstatt das zu tun, was für das Land und die Menschen richtig ist. Es gibt noch viel zu tun.
Focus: Was meinen Sie damit genau?
Hubertus Heil: Wir haben eine wirtschaftliche und soziale Lage, die durch die Digitalisierung der Arbeitswelt massiv verändert wird. Und als SPD muss es unsere Aufgabe sein, dass die Beschäftigten von heute auch die Arbeit von morgen machen. Das geht aber nur, wenn wir sehr viele Menschen weiterbilden und qualifizieren können, denn nur so werden sie ihren Platz in der digitalen Welt behaupten können. Den ersten Schritt haben wir bereits mit dem Qualifizierungschancengesetz getan aber das ist erst der Anfang.
Focus: Im Moment haben wir Rekordbeschäftigung und niedrige Arbeitslosigkeit...
Hubertus Heil: ... ja aber Sie können die Umschichtungen bereits sehen, zum Beispiel im produzierenden Gewerbe, in der Automobilindustrie und ihren Zulieferern. Audi, Continental und andere bauen viele Stellen ab.
Focus: Das können Sie kaum verhindern...
Hubertus Heil: ... nein, aber wir müssen den da stattfindenden Strukturwandel und die Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Umwälzungen in unserer Industrie sozial gestalten.
Focus: Welche Dimension hat die Digitalisierung für unseren Arbeitsmarkt?
Hubertus Heil: Die gute Nachricht ist, dass uns die Arbeit in Deutschland nicht ausgehen wird. Die anstrengende Nachricht ist, es wird in kürzerer Zeit andere Arbeit sein. Im Bereich Handel, Banken und Versicherungen gibt es Entwicklungen, wo menschliche Arbeit schon recht bald durch digitale Lösungen ersetzt werden kann.
Focus: Es gibt Studien, die vorhersagen, dass die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze durch technischen Fortschritt gefährdet ist oder wegfällt.
Hubertus Heil: Da muss man vorsichtig sein, es kommt dann auch auf den Zeitraum an. In der Industrie werden Jobs wegfallen, aber viele neue entstehen, allerdings mit ganz neuen Anforderungen und Qualifizierungen. Und bei den sozialen Berufen wird viel mehr menschliche Arbeit gebraucht werden, nehmen Sie die Bereiche Gesundheit, Bildung, Kindererziehung.
Focus: Was bedeutet das in Zahlen für den gesamten Arbeitsmarkt?
Hubertus Heil: Es gibt keine Gewissheit, aber unterschiedliche Einschätzungen. Wir rechnen damit, dass bis 2025 rund 1,3 Millionen Arbeitsplätze verschwinden können, aber gleichzeitig entstehen 2,1 Millionen neue Jobs. Das ist ein rasanter Wandel und in diesem Prozess hat die SPD als Partei der Arbeitnehmer eine gewaltige Verantwortung, vor der wir nicht davonlaufen sollten.
Focus: Kandidieren Sie deshalb als stellvertretender Parteivorsitzender?
Hubertus Heil: Ich möchte meinen Beitrag zur Stärkung und zum Zusammenhalt der SPD leisten, indem ich so wichtige Themen wie Arbeit und Soziales auch in der Partei erkennbar mache. Ich stehe für eine SPD, die Verantwortung nicht scheut.