- Datum:
- 05.08.2019
Neue Osnabrücker Zeitung: Herr Heil, seit Monaten streitet die Große Koalition über die Grundrente. Droht das Prestigeprojekt der SPD am Widerstand der Union zu scheitern?
Hubertus Heil: Wir werden eine Grundrente einführen, die ihren Namen auch verdient. Davon werden etwa drei Millionen Menschen profitieren. Sie haben heute fleißig gearbeitet und dennoch aufgrund viel zu niedriger Löhne am Ende eine zu geringe Rente. Aber Arbeit muss einen Unterschied machen. Daher sollen diejenigen, die gearbeitet haben, mehr bekommen als diejenigen, die es nicht getan haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Herbst eine Einigung in der Großen Koalition hinbekommen.
NOZ: Viele Menschen haben ganz bewusst weniger gearbeitet und verdient – etwa, weil der Ehepartner deutlich höhere Einkünfte hat oder Mieteinkünfte bestehen und beide im Alter vor Armut geschützt sind. Wäre es sozial gerecht und verfassungskonform, dies außer Acht zu lassen?
Heil: Wir verfolgen mit der Grundrente zwei Ziele: Sie soll einen echten Beitrag gegen Altersarmut leisten. Aber sie soll auch den Respekt vor Lebensleistung ausdrücken. Es geht nicht um Almosen. Insbesondere viele Frauen haben in Teilzeit gearbeitet, weil sie keine andere Möglichkeit hatten. Die Gegner der Grundrente, darunter nicht wenige finanzstarke Verbandslobbyisten, verbreiten die Mär, die SPD wolle eine bedingungslose Grundrente einführen und Geld mit der Gießkanne ausgeben. Das ist natürlich Unsinn. Die Menschen, die von der Grundrente profitieren sollen, haben sich die Leistung erworben. Ich bin bereit, mit der Union an einzelnen Stellschrauben zu drehen, und ich bin für gute Vorschläge offen. Aber ich mache keinen faulen Kompromiss!
NOZ: Nochmal nachgefragt: Die Grundrente wird nach Ihren Berechnungen bis 2025 21,5 Milliarden Euro kosten. Die Rentenkasse und die Steuerzahler müssen das bezahlen. Wäre es nicht fair auch gegenüber künftigen Generationen, durch eine Begrenzung auf die Bedürftigen die Kosten einzudämmen?
Heil: Für Bedürftige gibt es die Grundsicherung. Für Menschen, die etwa aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit auf staatliche Hilfen angewiesen sind, muss die Bedürftigkeit natürlich weiterhin geprüft werden.
Bei der Grundrente geht es aber um Menschen, die gearbeitet und sich Ansprüche erworben haben. Konkret sind das zum Beispiel Altenpflegehelferinnen, Friseurinnen, Lagerarbeiter, Reinigungskräfte: Wir wollen dafür sorgen, dass sie am Ende deutlich mehr im Portemonnaie haben. Es geht um ein Kernversprechen des Sozialstaats: Wer ein Leben lang gearbeitet hat, muss im Alter ordentlich abgesichert sein. Die Rentenversicherung kennt im Übrigen keine Bedürftigkeitsprüfung, sondern klärt Ansprüche. Ich will keine zusätzliche Bürokratie aufbauen, die Menschen traktiert. Die Grundrente kostet im ersten Jahr 3,8 Milliarden Euro. Das ist keine Kleinigkeit, aber es ist finanzierbar. Und unserer Gesellschaft sollte die Anerkennung von Lebensleistung das wert sein. Zusammen mit dem Finanzminister habe ich ein solides Finanzierungskonzept vorgelegt.
NOZ: Sachsens SPD-Chef Martin Dulig fordert ein Einlenken der Union vor dem 1. September, sonst müsse die SPD die Regierung aufkündigen. Sprengt die Grundrente die Große Koalition?
Heil: Ich will, dass wir in dieser Bundesregierung, die Grundrente auf den Weg bringen, damit sie zum 1. Januar 2021 in Kraft tritt. Um das zu erreichen, ist die politische Entscheidung in diesem Herbst notwendig, weil es für die technische Umsetzung eben auch einen gewissen Vorlauf braucht. Ich glaube, dass das bei gutem Willen aller zu schaffen ist.
NOZ: Von der Rente zum Arbeitsmarkt. Die Wirtschaft schwächelt, in der Industrie drohen Entlassungen. War es das mit der Rekordbeschäftigung?
Heil: Der Arbeitsmarkt steht gut da, aber die Konjunktur kühlt sich ab. Die Ursachen liegen im Wesentlichen in der Weltwirtschaft. Die Nachfrage nach unseren Produkten in China gehen zurück, Trumps Handelspolitik und der Brexit schaffen zusätzliche Unsicherheiten. Es gibt auch eine deutsche Ursache, warum die Wirtschaft nicht stärker wächst: In einzelnen Branchen und Regionen ist der Fachkräftemangel bereits eine Wachstumsbremse. Wer gerade versucht einen Handwerker zu bekommen, weiß, wovon ich rede. Hier setzen wir an: bei Aus- und Weiterbildung und der ergänzenden qualifizierten Fachkräfteeinwanderung.
Aber insgesamt ist der Arbeitsmarkt robust und falls die Konjunktur tatsächlich einbrechen sollte, sind wir in Deutschland gut gerüstet, um einen solchen Einbruch arbeitsmarktpolitisch zu überstehen.
So haben wir Rückenlagen bei der Bundesagentur für Arbeit von mehr als 20 Milliarden Euro, um im Krisenfall Jobs beispielsweise durch Kurzarbeit zu sichern. Zudem haben wir mit dem Qualifizierungschancengesetz neue Möglichkeiten, um Unternehmen und Beschäftigte mit Weiterbildung im Strukturwandel zu unterstützen.
NOZ: Nicht nur Wirtschaftslobbyisten klagen, dass die Regierung schon lange keine Wachstumspolitik mehr betreibe ...
Heil: Diese Bundesregierung investiert mehr denn je in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Deutschland ist nicht nur wettbewerbsfähig, sondern es gibt gleichzeitig eine starke Binnennachfrage – dank guter Lohnabschlüsse und hoher Beschäftigung.
Unsere Wirtschafts- und Arbeitswelt wird sich in den nächsten Jahren durch die Digitalisierung massiv verändern. Hier müssen Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung gemeinsam größere Schritte gehen, um den Wohlstand in unserem Land dauerhaft zu sichern.
NOZ: Auch in der SPD sind vielen die Investitionen zu gering, und Unternehmen stöhnen über eine im OECD-Vergleich sehr hohe Steuerbelastung ...
Heil: Wir investieren viel und müssen zukünftig noch mehr investieren. Und wir senken Steuern, der Soli wird für 90 Prozent der Steuerzahler abgeschafft. Davon profitieren auch zahllose Personengesellschaften. Einen irrsinnigen Steuerwettbewerb, bei dem Konzerne Staate gegeneinander ausspielen, ist aber der falsche Weg. Notwendig sind gemeinsame Bemessungsgrundlagen für die Unternehmensbesteuerung in Europa und eine Mindestbesteuerung der digitalen Unternehmen im globalen Rahmen, dabei geht es voran. Ein Wettbewerb um die niedrigsten Unternehmenssteuern geht am Ende immer zu Lasten der Arbeitnehmer und Steuerzahler. Steuersenkungen für Spitzenverdiener und große Konzerne stehen nicht auf der Agenda dieser Regierung.
NOZ: Zu Ihren Projekten gehört es, Paketzusteller und Postboten vor Ausbeutung zu schützen. Was planen Sie konkret?
Heil: Wir werden auf dem gewaltigen und weiter wachsenden Markt Ordnung schaffen. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland nach Branchenangaben rund 3,5 Milliarden Pakete ausgeliefert, weil immer mehr Menschen im Internet einkaufen. Viel zu oft arbeiten Paketlieferer mit Sub-Sub-Sub-Unternehmern. Oft werden Löhne gedrückt und Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen. Das akzeptieren wir nicht. So kann man mit Menschen nicht umgehen. Die Generalunternehmer werden im Zweifelsfall für ihre Subunternehmer haften müssen und sich nicht länger davor drücken können, dass Sozialversicherungsbeiträge korrekt entrichtet werden. Das hat in der Baubranche geholfen und schafft fairen Wettbewerb.
NOZ: Wann werden Sie handeln?
Heil: Im Herbst wird die Regierung die Nachunternehmerhaftung auf den Weg bringen, damit sie hoffentlich schon zum Weihnachtsgeschäft in Kraft treten kann. Zugleich werden die Kontrollen des Zolls ausgeweitet, damit wir die Einhaltung der Regeln noch besser kontrollieren. Das sind wir den rund 240.000 Beschäftigten in der Paketbranche schuldig.