- Datum:
- 14.06.2019
RND: Herr Heil, die Pflege ist im demografischen Wandel eines der Megathemen unserer Zeit. Sie haben ein Praktikum im Pflegeheim gemacht. Werden die Menschen dort fair bezahlt?
Hubertus Heil: Altenpflege ist ein harter, fordernder Job. Wenn man sieht, dass der Pflegemindestlohn nur bei gut elf Euro liegt und nur 20 Prozent der Altenpflege-Beschäftigten unter dem Dach eines Tarifvertrags sind, weiß man: Hier wird zu schlecht bezahlt. Das werden wir ändern.
RND: Sie haben höhere Löhne in der Altenpflege spätestens 2021 angekündigt. Wie kann das gelingen?
Heil: Wir werden ein Gesetz für eine bessere Bezahlung in der Altenpflege noch im Juni ins Kabinett bringen. Damit eröffnen wir zwei Möglichkeiten, die in jedem Fall zu höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen in der Altenpflege führen werden. Die von mir bevorzugte Lösung ist, dass ein Tarifvertrag verhandelt wird, den ich dann für allgemeinverbindlich für die gesamte Branche erklären kann. Das stärkt übrigens auch die Tarifautonomie.
RND: Das wird kein Selbstläufer, oder?
Heil: Das hängt auch mit der Vielfalt der Arbeitgeber in der Altenpflege zusammen. Es gibt kirchliche, kommunale, gemeinnützige und private Träger. Jetzt ist ein neuer Arbeitgeberverband in Gründung. Die kirchlichen Träger wollen sich daran anlehnen. Es wäre vernünftig, wenn sich auch die privaten Anbieter daran beteiligen würden. Die Kirchen könnten im Verfahren ebenso einbezogen werden. Wir haben jedoch keine Garantie, dass am Ende ein Tarifvertrag zustande kommt. Ich erwarten, dass die Pfelgearbeitgeber und die Gewerkschaft jetzt verhandeln.
RND: Was ist Plan B?
Heil: Plan B ist, über höhere Lohnuntergrenzen die Bezahlung in der Altenpflege insgesamt anzuheben. Mein Gesetzentwurf sieht vor, dass ein Pflege-Mindestlohn mit mehreren Stufen verhandelt werden soll: zum Beispiel eine für Hilfskräfte und eine für ausgebildete Fachkräfte. Und: In Ost und West sollen Pfleger künftig denselben Lohn erhalten.
RND: Wie stark werden die Altenpflege-Löhne steigen?
Heil: Das zu verhandeln, ist jetzt Aufgabe von Arbeitgebern und Gewerkschaft. Dem will ich nicht vorgreifen. Völlig klar ist: Es wird kräftige Lohnerhöhungen geben müssen, damit die Altenpflege als Beruf attraktiver wird. Bis Frühjahr nächsten Jahres haben die Tarifpartner Zeit, einen Tarifvertrag auszuhandeln. Weil schon zu viel Zeit ins Land gegangen ist, setzen wir auf eine Doppelstrategie: Nach der Sommerpause setzen wir die neue Pflege-Mindestlohnkommission ein. Und zeitgleich machen sich Arbeitgeber und Gewerschaften daran, einen Tarifvertrag für die gesamte Branche auszuhandeln.
RND: Tariflöhne für die gesamte Branche – das könnte nach Berechnungen für die Bundesregierung zu jährlichen Mehrkosten von bis zu fünf Milliarden Euro führen. Wer soll das bezahlen?
Heil: Das sind Extremrechnungen, die ich mir nicht zu eigen mache. Trotzdem müssen wir uns ehrlich machen. Es werden zusätzliche Kosten entstehen. Pflege ist ein Thema, von dem wir alle auf die ein oder andere Art betroffen sind. Und darum gilt: Wenn wir alle eine bessere Bezahlung von Pflegekräften wollen, dann sollte uns das als Gesellschaft auch etwas wert sein.
RND: Nur wie?
Heil: Wir haben in der Koalition vereinbart, dass wir Pflegebedürftige und Angehörige nicht überfordern werden. Verdienen die Kinder weniger als 100.000 Euro im Jahr, werden sie bei der Hilfe zur Pflege nicht mehr finanziell herangezogen. Höhere Löhne insgesamt zu finanzieren, ist erst einmal Aufgabe der Pflegeversicherung.
RND: Und wenn dort das Geld nicht reicht: Sind Sie dann für einen Steuerzuschuss aus dem Bundeshaushalt?
Heil: Es braucht eine gemeinsame Kraftanstrengung, einen Finanzierungsmix. Wir sollten aber erst einmal abwarten, wie stark die Lohnerhöhungen in der Altenpflege zu Buche schlagen. Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung ist gerade erst erhöht worden. Wir wollen die Sozialversicherungsbeiträge in dieser Legislaturperiode bei 40 Prozent begrenzen. Und wir wollen Eigenbeiträge stabil halten. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten.
RND: In der Koalition knirscht es erheblich beim Thema Grundrente, eine Verständigung ist nicht in Sicht. Kommt die Grundrente: ja oder nein?
Heil: Ich bin zuversichtlich.
RND: Warum?
Heil: Eine überwältigende Mehrheit von 80 Prozent der Deutschen will die Grundrente. Dabei geht es darum, dass Menschen nach einem Leben harter Arbeit eine ordentliche Alterssicherung haben. Wir müssen Altersarmut entgegenwirken und dafür sorgen, dass Lebensleistung sich lohnt. Nach vielen Jahren der Diskussion ist es unsere Pflicht, dass diese Bundesregierung die Grundrente umsetzt.
RND: Dann beschließen Sie doch einfach eine Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung, so wie Sie es im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Heil: Ich will eine Grundrente, die den Namen auch verdient. Es geht um Menschen, die 35 Jahre gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, die aber wegen zu geringer Löhne keine vernünftige Alterssicherung haben. Die Grundrente ist also nicht bedingungslos. Mit meinem Gesetzentwurf werden wir drei Millionen Menschen erreichen, die sich eine Grundrente verdient haben – bei der CDU wären es nur rund 100.000.
RND: Was können Sie der Union anbieten?
Heil: Unser Gesetzentwurf liegt vor. Ich weiß, dass man in Verhandlungen immer auch kompromissbereit sein muss. Ich werde aber keinen faulen Kompromiss abschließen. Aus meiner Sicht gilt: Ab Montag können wir mit den Verhandlungen loslegen. In diesem Sommer sollten wir zu einer Lösung kommen.
RND: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hält Ihnen vor, Sie hielten bei der Grundrente wie ein Besserwisser an Ihrem Entwurf fest. Was entgegnen Sie ihm?
Heil: Mir geht es um die Menschen und die Sache. Ich will, dass die Menschen die Grundrente bekommen, die sich das verdient haben.
RND: Wozu brauchen Menschen, die einen gut verdienenden Partner haben, eine in Teilen steuerfinanzierte Grundrente?
Heil: Die Lebensrealität sieht doch in der Regel ganz anders aus. Wir reden zum Beispiel von Frisörinnen und Altenpflegerinnen, die meist keinen vermögenden Lebenspartner haben. Falls es doch mal so sein sollte, gilt: Es ist im 21. Jahrhundert falsch, die Alterssicherung von Frauen von der ihrer Lebenspartner abzuleiten. Zweitens muss sich keiner Sorgen machen, dass der Staat Geld verplempert: Durch das Steuersystem kommt es ja zu einer Reichtumskappung.
RND: Das müssen Sie genauer erläutern.
Heil: Nehmen wir das fiktive Beispiel eines Lagerarbeiters, der sein Leben lang wenig verdient hat und deshalb Grundrente bekommt. Wenn dieser Mann mit einer gut verdienenden Zahnärztin verheiratet ist, dann zahlen die beiden auf ihr gemeinsames Einkommen höhere Steuern.
RND: Allen Versuchen zum Trotz, die Stimmung – auch mit dem Thema Grundrente – zu den eigenen Gunsten zu drehen, ist die SPD in eine tiefgreifende Krise gestürzt. Was haben Sie in den vergangenen Wochen über Ihre Partei gelernt?
Heil: Wir müssen mutiger werden, auf die großen Fragen unserer Zeit konkrete Antworten liefern und dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass wir uns nur um uns selbst kümmern.
RND: Manch einer glaubt, die SPD brauche es nicht mehr unbedingt…
Heil: Die SPD ist die Kraft, die unserem Land realistische Zuversicht vermitteln muss und kann. Die Themen Arbeit und Umwelt kann nur die SPD ausgewogen unter einen Hut bringen. Unsere Aufgabe ist es auch, in der Digitalisierung aus technischem Fortschritt sozialen Fortschritt zu machen. Die Sozialdemokratie hat bei alldem einen viel breiteren Anspruch als andere Parteien, Teile der Gesellschaft zusammenzuführen, und das ist auch dringend nötig.
RND: Wäre die Partei mit einem Mann als Vorsitzenden weniger hart umgegangen als mit Andrea Nahles?
Heil: Das war - höflich gesprochen - kein Paradestück von gutem Umgang. In politischen Spitzenämtern geht es nie kuschelig zu. Aber ich würde mir wünschen, dass Frauen und Männer nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden.
RND: Welche Eigenschaften braucht die Person, die jetzt die SPD führen soll?
Heil: Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß. Bei der Wahl des Vorsitzenden lassen sich personelle und programmatische Fragen nicht trennen – das zu glauben, wäre naiv. Ich will eine Parteispitze, die die SPD nach vorn und nicht an den Rand führt.
RND: Denken Sie darüber nach, selbst für den Job des Parteivorsitzenden zu kandidieren?
Heil: Ich habe nicht vor, zu kandidieren - ich weiß aber, wen ich will.
RND: Braucht die SPD angesichts ihrer Umfragewerte einen Kanzlerkandidaten?
Heil: Die SPD ist, was ihre inhaltliche Substanz und ihre personelle Stärke betrifft, in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zuletzt durch eigene Schuld chronisch unterbewertet. Wir müssen jetzt erst mal Stabilität in die Partei bringen und in Regierungsverantwortung Probleme lösen. Das wird uns hoffentlich zeitnah gelingen. Wenn wir dann in den nächsten Wahlkampf gehen, werden wir natürlich den Anspruch haben, das Land an führender Stelle zu gestalten. Dazu werden wir auch eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten benennen.