- Datum:
- 12.04.2019
Neue Osnabrücker Zeitung: Herr Heil, mit Ihrem Vorstoß für eine Grundrente, Sie sagen "Respekt-Rente", haben Sie viele gegen sich aufgebracht. Wer ist Ihr Hauptgegner?
Hubertus Heil: Die Altersarmut! Mit der Grundrente müssen wir zwei Dinge erreichen: Die Leistung der Menschen wertschätzen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und aufgrund niedriger Löhne trotzdem nicht mehr haben als Grundsicherung. Und wir müssen Altersarmut entgegenwirken. Aus der Bevölkerung erfahre ich dafür viel Unterstützung. Und deshalb will ich die Grundrente durchsetzen.
NOZ: Sie wollen dabei auf eine Bedürftigkeitsprüfung verzichten – was Ihr Koalitionspartner Union bisher strikt ablehnt…
Heil: Mir geht es auch darum, Verlässlichkeit zu schaffen. Friseurinnen, Altenpflegerinnen oder Lagerarbeitern, die lebenslang gearbeitet haben, soll ein würdiges Alter möglich sein. Etwa drei Millionen Menschen werden davon profitieren. Die Grundrente gibt es nicht einfach so. Sie ist an Voraussetzungen geknüpft. So müssen Bezieherinnen oder Bezieher 35 Jahre gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Diese Menschen haben sich die Grundrente verdient.
NOZ: Sie würden - ohne Bedürftigkeitsprüfung - auch die Ehefrau des Millionärs unterstützen?
Heil: Das ist eine Ablenkungsdebatte. Keiner muss die Sorge haben, dass die Falschen profitieren. Es wird ja durch die Steuer eine Art "Reichtumskappung" geben. Wenn Partner von Gutverdienern oder Immobilienbesitzern mit Einkommen aus Mieten oder Pachten die Grundrente beziehen, muss dieses Paar auch mehr Steuern zahlen. Es gibt also eine Einkommensprüfung durch das Finanzamt.
NOZ: Ihnen wird vorgeworfen, das Rentensystem zu einer Fürsorgeeinrichtung umzubauen…
Heil: Der Vorwurf ist falsch. Ich will, dass das Leistungsprinzip in der Rente gilt und so das Grundvertrauen der Menschen in den Sozialstaat stärken. Soll heißen: wer mehr in die Rentenkasse eingezahlt hat, wird immer mehr Rente bekommen als der, der weniger eingezahlt hat. Es wird also keine Einheitsrente geben. Ja, die Grundrente ist ein finanzieller Kraftakt. Aber die Lebensleistung von Menschen sollte uns das wert sein.
NOZ: Anderes Thema: Alexander Jorde, Pflege-Azubi, hat vor Millionen TV-Zuschauern die Kanzlerin attackiert. "Tagtäglich wird in Deutschland tausendfach die Würde von Alten und Kranken verletzt", sagte er. Haben Sie das auch so erlebt?
Heil: Ich habe bei einem "Pflege-Praktikum" vor Kurzem erlebt, wie Altenpflegerinnen ihr Bestes geben, um kranke und alte Menschen gut zu versorgen. Auch sie haben mehr Respekt verdient. Das muss sich auch auf dem Gehaltszettel ausdrücken.
NOZ: Das heißt genau?
Heil: Die Bezahlung muss deutlich besser werden in der Pflege. Nur dann werden sich junge Menschen finden, die sich hier einbringen und in einem Pflegeberuf Verantwortung übernehmen.
NOZ: Sie, Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) haben doch schon eine Pflege-Ausbildungsoffensive für die kommenden vier Jahre bis 2023 vorgestellt. Ihre Bilanz?
Heil: Wir bündeln die Kräfte und führen alle zusammen, die hier Verantwortung tragen. Die Arbeitgeber, die Sozialverbände, die Gewerkschaften, Bund und Länder. Wir haben über 100 Einzelmaßnahmen vereinbart, um junge Menschen für die Pflege zu gewinnen. Bis 2023 soll die Zahl der Auszubildenden so um zehn Prozent gesteigert werden.
NOZ: Sie haben sich auch dafür ausgesprochen, in der Altenpflege die Tariflandschaft neu zu ordnen ...
Heil: Ja, da muss etwas passieren. Dass in der Altenpflege für viele Beschäftigte keine tarifvertraglichen Regelungen gelten, ist ein unhaltbarer Zustand. Wir brauchen in der Altenpflege dringend einen solchen Tarifvertrag. Dann sind die Arbeitsbedingungen besser und die Löhne auch. Wir sind hierbei auf einem guten Weg: Wichtige Verbände wie Arbeiterwohlfahrt, Diakonie, Caritas und der Paritätische Wohlfahrtsverband sind bereit, einen Arbeitgeberverband zu gründen. Ich habe die Hoffnung, dass weitere Organisationen dazukommen, zum Beispiel das "Deutsche Rote Kreuz" oder auch private Arbeitgeber. Wird ein solcher Arbeitgeberverband gegründet, kann es endlich zu einem flächendeckenden Tarifvertrag mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kommen, den ich dann für die gesamte Branche für allgemeinverbindlich erklären werde.
NOZ: Und außerdem?
Heil: Wir müssen auch den Pflege-Mindestlohn erhöhen, der derzeit bei 11,05 Euro (10,55 Euro im Osten) pro Stunde liegt. Der gilt aber nur für Altenpflege-Helfer. Über Mindestentgelte für Pflegehelfer und -fachkräfte hinaus brauchen wir – wie gesagt - ordentliche Tarifverträge. Es macht mir Sorge, dass ein erheblicher Teil der Beschäftigten in Deutschland nicht unter dem Dach eines Tarifvertrags tätig ist. Die Tarifbindung sinkt. Das muss sich ändern, wenn wir soziale Spannungen verhindern wollen. Als Arbeitsminister werde ich alles mir mögliche tun, um die nach dem Grundgesetz verantwortlichen Tarifvertragsparteien bei ihren Anstrengungen zur Erhöhung der Tarifbindung zu unterstützen.
NOZ: Zum Schluss: Wir sprachen schon über die Kooperation mit dem umtriebigen CDU-Minister Spahn. Funktioniert es?
Heil: Es ist kein Geheimnis, dass wir unterschiedliche Temperamente haben. Aber: Wir haben ein Ziel, nämlich, in der Altenpflege voran zu kommen.
NOZ: Die Umfragewerte für die SPD sehen nicht gut aus. Was ist der Kardinalfehler Ihrer Partei?
Heil: Ein Kardinalfehler wäre es, sich nur mit Umfragen zu beschäftigen, anstatt anzupacken.
NOZ: Wird die Große Koalition durchhalten bis 2021?
Heil: Ich will, dass diese Regierung erfolgreich für unser Land arbeitet. Und ich habe noch viel vor.