- Datum:
- 05.03.2019
Frankfurter Rundschau: Herr Heil, als Arbeitsminister wollen Sie sich eigentlich um die Zukunft der Arbeit kümmern. Weshalb hat Sie Ihre erste USA-Reise ausgerechnet in den Rostgürtel des Landes geführt?
Hubertus Heil: Ich wollte erfahren, wie der Strukturwandel hier abgelaufen ist, welche Brüche es gegeben hat und welche Fehler gemacht worden sind. Diese Region hat nach der Finanzkrise die höchste Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten erlebt. Sie scheint sich jetzt Stück für Stück zu berappeln. Das finde ich hochinteressant auch für uns.
Frankfurter Rundschau: Wo sehen Sie Parallelen?
Heil: Ich komme aus einer niedersächsischen Stadt mit 50.000 Einwohnern. In meiner Jugend waren da 10.000 Menschen im Stahlwerk beschäftigt. Inzwischen sind es 800. Wir haben schwierige Zeiten erlebt, am Ende aber einen erfolgreichen Strukturwandel hingekommen. Nun steht die Automobilindustrie vor einem erneuten rasanten Strukturwandel
durch die Digitalisierung und die Elektromobilität. Da ist es sehr hilfreich, sich in Regionen mit einem ähnlich starken produzierenden Gewerbe umzusehen und zu lernen, was man richtig oder falsch machen kann.
Frankfurter Rundschau: Gerade im Rostgürtel hat Donald Trump mit seinem nationalistisch eingefärbten Populismus von der Verunsicherung der Arbeiterschaft profitiert. Was haben die Demokraten falsch gemacht?
Heil: Die Demokraten haben nicht richtig mobilisiert. Viele Wähler sind zu Hause geblieben, weil die Partei mit Hillary Clinton als zu abgehoben wahrgenommen wurde. Viele Arbeiter haben sich zudem im Stich gelassen gefühlt - und haben aus Frust und Enttäuschung einen Präsidenten gewählt, der ihnen als erstes die Krankenversicherung wegnimmt.
Frankfurter Rundschau: Was können die Sozialdemokraten daraus lernen?
Heil: Wir müssen aufpassen, dass Ängste und Sorgen von Menschen nicht von Anderen politisch instrumentalisiert werden. Dazu brauchen wir eine aktive Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, um den Veränderungsprozess zu organisieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen, die sich anstrengen und hart arbeiten, am Ende des Tages nicht die Wertschätzung bekommen, die ihnen zusteht.
Frankfurter Rundschau: Sie reden von Ängsten und Sorgen. Die finden keinen Eingang in die nüchternen Zahlen der Fachpolitiker. Brauchen wir einen emotionalen linken Populismus, um das Abgleiten größerer Bevölkerungsschichten in antidemokratischen Frust und Fremdenfeindlichkeit zu verhindern?
Heil: Nein, Populismus lehne ich in jeder Spielart ab. Aber Politik muss Probleme lösen und darf gleichzeitig nicht aus den Augen verlieren, was die alltäglichen Sorgen der Menschen sind. Die dürfen sich nicht im Stich gelassen fühlen. Gute Politik muss beides sein: realistisch und mitfühlend.
Frankfurter Rundschau: Aktuell streitet die Koalition über die von Ihnen angekündigte Grundrente. Ist eine Leistung aus Steuermitteln ohne Bedürftigkeitsprüfung nicht doch ein Zugeständnis an einen gewissen Populismus?
Heil: Nein. Es ist ein Kernversprechen des Sozialstaats, dass man nach einem harten Arbeitsleben eine ordentliche Rente hat. Dieses Versprechen wird für viele Menschen derzeit nicht mehr eingelöst, die aufgrund ihrer niedrigen Löhne im Alter oft nicht mehr bekommen als die staatliche Grundsicherung. Mir geht es darum, das Vertrauen der Menschen in die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung wiederherzustellen.
Frankfurter Rundschau: Aber ohne Bedürftigkeitsprüfung wird es Mitnahmeeffekte geben.
Heil: Jetzt kommen Sie bloß nicht mit dem überstrapazierten Klischee der Zahnarztgattin! Das Beispiel ist konstruiert und übertrieben. Voraussetzung für die Grundrente ist, dass Menschen ihr Leben lang gearbeitet haben, wobei Kinder- und Erziehungszeiten mitgerechnet werden. Es geht um die Anerkennung von Lebensleistung, nicht um Bedürftigkeit. Mein Gesetzesentwurf wird zielgerichtet die Menschen erreichen, die es angeht: die Friseurin, den Lagerarbeiter oder die Altenpflegerin, die im Moment oft auf die Grundsicherung zurückgeworfen werden.
Frankfurter Rundschau: Die CDU hat sich aber festgelegt: Sie will einer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung nicht zustimmen. Wie gehen Sie mit diesem Veto um?
Heil: Ich werde als zuständiger Bundesminister im Mai einen Gesetzesentwurf vorlegen. Es wird ein Vorschlag sein, der das Problem löst. Im Koalitionsvertrag steht ausdrücklich, dass wir die Lebensleistung von Menschen respektieren und Altersarmut bekämpfen wollen. Genau das werde ich tun, ohne neue Hürden zu erreichten. Mein Gesetzentwurf wird keine Bedürftigkeitsprüfung vorsehen. Die halte ich weder für richtig noch für notwendig.
Frankfurter Rundschau: Also wird es sehr teuer?
Heil: Das ist ein erheblicher finanzieller Kraftakt und wird einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag im Jahr kosten - das sollte es unserer Gesellschaft aber auch wert sein.
Frankfurter Rundschau: Wo sehen Sie denn Raum für einen Kompromiss mit der Union?
Heil: Ich will eine Grundrente, die den Namen auch verdient. Mein Vorschlag zielt nicht auf einen kommenden Wahlkampf. Ich will ihn in dieser Regierung umsetzen.
Frankfurter Rundschau: Aber die Rente wäre auch ein schönes Wahlkampfthema für die SPD?
Heil: Für mich ist es eine Frage der Überzeugung, dass wir die Grundrente endlich umsetzen. Wir sollten das nicht auf den Sankt-Nimmerleinstag verschieben. Die Menschen, für die wir das machen, haben das verdient.
Frankfurter Rundschau: In Michigan haben Sie die neue demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer getroffen. Die hat die Wahl mit einem ausgesprochen pragmatischen Wahlkampf über Infrastruktur, Jobs und Bildung gewonnen. Die SPD rückt derweil nach links und will den Sozialstaat ausbauen. Allzu viel lernen wollen Sie von den amerikanischen Erfahrungen offenbar doch nicht.
Heil: Das sehe ich komplett anders. Die SPD führt nicht abstrakte ideologische Debatten, sondern will den Lebensalltag von Menschen konkret verbessern. Das zielt auf die Mitte der Gesellschaft und ist genau der Ansatz der Gouverneurin.