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"Wir finanzieren keine Töpferkurse"

Interview von Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, und Frau Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, mit dem Handelsblatt

Datum:
09.11.2018

Handelsblatt: Die Arbeitgeber investieren jedes Jahr mehr als 33 Milliarden Euro in Weiterbildung? Warum brauchen wir dann noch eine Nationale Strategie?

Heil: Weil sich der Arbeitsmarkt im technologischen Wandel rasant verändert. Nach unserem neuen Fachkräftemonitor werden bis 2025 durch die Digitalisierung 1,3 Millionen Jobs verloren gehen, aber gleichzeitig 2,1 Millionen neue entstehen. Natürlich ist es in erster Linie Aufgabe der Unternehmen, ihre Mitarbeiter weiterzubilden. Aber angesichts der Größe der Herausforderung – manche Menschen werden ganz umschulen müssen – brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung. Ich will, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute auch die Arbeit von morgen machen können.

Handelsblatt: Noch vor dem Auftakttreffen zur Nationalen Weiterbildungsstrategie sind Sie mit Ihrem Qualifizierungschancengesetz vorgeprescht, Herr Heil. Und die CDU hat gerade ihre Pläne für "Milla" vorgestellt, eine digitale Weiterbildungsplattform. Klingt nicht nach einer konsistenten Strategie.

Karliczek: "Milla" ist ein Instrument, um Unternehmen, interessierte Beschäftigte und Weiterbildungsanbieter zusammenzubringen und zu fördern. Insofern ist die Plattform ein Modul der Gesamtstrategie, die wir gemeinsam und mit der Wirtschaft entwickeln.

Heil: Es ähnelt dem Chancenkonto der SPD stark …

Handelsblatt: … das jedem Bürger ein steuerfinanziertes Startguthaben für Weiterbildung im Laufe des Erwerbslebens verspricht. Kommt das denn?

Heil: Wir gehen jetzt in einen Wettbewerb der guten Ideen und werden zügig eine gemeinsame Strategie entwickeln und umsetzen.

Handelsblatt: Montag ist Auftaktgipfel für die Weiterbildungsstrategie. Gibt es schon konkrete Pläne?

Karliczek: Wir organisieren einen Innovationswettbewerb für exzellente berufliche Aus- und Weiterbildung, an dem Kammern und Hochschulen teilnehmen können. Die Betriebe loben die solide Grundausbildung der Auszubildenden, doch um die so ausgebildeten Fachkräfte langfristig beruflich fit zu halten, brauchen wir eine starke Weiterbildungskultur und - struktur. Hier setzen wir an. Und wir wollen Innovationen des Berufsbildungssystems mit einem bundesweiten Wettbewerb zu Innovationsclustern voranbringen. Es gibt viele interessante Projekte, wie zum Beispiel diesen Wettbewerb, die wir in die Nationale Weiterbildungsstrategie einbauen möchten.

Heil: Unser erster Schritt ist die Öffnung der Bundesagentur für Arbeit, die Weiterbildung für alle unterstützt und finanziert. Und wir prüfen, ob wir dafür einen Rechtsanspruch einführen.

Handelsblatt: Die Wirtschaft fordert, für die Weiterbildung auch die Kapazitäten der Hochschulen und Berufsschulen zu nutzen, die aber heute schon völlig überlastet sind. Welche Anreize wollen Sie denen bieten?

Karliczek: Mein Ressort hat hierfür bereits vieles auf den Weg gebracht. Die Stichworte reichen vom Wettbewerb Offene Hochschulen bis zur in Kürze startenden Förderung von Innovationsclustern zur Stärkung der Berufsbildung. Das Ziel ist die Schaffung und Umsetzung innovativer und hochattraktiver beruflicher Aus- und Weiterbildungsangebote unter anderem in Berufsschulen, Hochschulen und der Forschung.

Heil: Zuständig für Berufs- und Hochschulen sind in erster Linie die Länder. Deshalb werden wir mit Kultus- und Wissenschaftsministern reden, wie wir Berufsschulen zu regionalen Kompetenzzentren ausbauen können und die Hochschulen stärker für Weiterbildung öffnen. Der Bund kann dies finanziell unterstützen.

Handelsblatt: Machen Sie sich jetzt nicht einen schlanken Fuß? Sie wollen, dass die Hochschulen mehr Weiterbildung machen, lassen aber die Länder zahlen. Und für die Förderung aus dem Qualifizierungschancengesetz zahlen die Beitragszahler.

Heil: In erster Linie müssen Unternehmen selbst stärker in Weiterbildung investieren. Gefragt sind deshalb die Wirtschaft und die Tarifpartner, innovative Modelle zu entwickeln. Bei der Bahn gibt es bereits einen Qualifizierungsfonds, in Baden-Württemberg hat die Metallbranche eine "Agentur Q" gegründet. Es gibt viele positive Beispiele, und von denen werden wir für die Strategie lernen und sie dann auch finanziell unterstützen.

Karliczek: Wir als Bund stellen allein in dieser Legislaturperiode 350 Millionen Euro zusätzlich für das Aufstiegs-Bafög zur Verfügung. Wir engagieren uns mit dem Digitalpakt, der hoffentlich bald startet. Mit den dafür vorgesehenen fünf Milliarden Euro stärken wir ja auch die Infrastruktur für Berufsschulen. Und wir verstetigen den Hochschulpakt, was den Universitäten und Fachhochschulen knapp zwei Milliarden Euro bringt.

Handelsblatt: Aber die Mittel reichen doch heute schon kaum, um den Ansturm der Studierenden bewältigen zu können.

Karliczek: Wir brauchen zunächst eine Strategie, um dann entscheiden zu können, welche zusätzlichen Finanzmittel wir benötigen. Das wird dann eine Kofinanzierung sein, die auf mehreren Säulen ruht.

Heil: Der Staat, also Bund und Länder, müssen gemeinsam stärker in Berufsschulen und Hochschulen investieren, um sie für Weiterbildung zu öffnen. Und die Wirtschaft, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, werden wir bei ihren Anstrengungen für Qualifizierung unterstützen.

Handelsblatt: Continental-Arbeitsdirektorin Ariane Reinhart, die beim letzten Sozialpartnerdialog der Bundesregierung in Meseberg zu Gast war, sagt, dass selbst ein Konzern wie Conti den Anpassungsbedarf an die Digitalisierung finanziell nicht alleine stemmen kann.

Heil: Mein Deal für Frau Reinhart ist klar, und das habe ich ihr auch gesagt: Wenn sie ihr Unternehmen überzeugt, massiv mehr in Weiterbildung zu investieren, bin ich auch bereit, sie im Strukturwandel finanziell massiv zu unterstützen. Aber bitte in dieser Reihenfolge. Ich möchte die Unternehmen in der Frage der Weiterbildung nicht aus der Pflicht entlassen. Mit dem Qualifizierungschancengesetz unterstützen wir ab dem 1. Januar Beschäftigte und Unternehmen im Strukturwandel. So verhindern wir Arbeitslosigkeit bevor sie entsteht und leisten einen Beitrag zur Fachkräftesicherung.

Handelsblatt: Es gibt Kritik, dass mit dem Gesetz nur Weiterbildung außerhalb des Betriebs gefördert wird.

Heil: Ich bin da offen, dass wir das ändern. Das wird das parlamentarische Verfahren zeigen.

Handelsblatt: Ein Problem bleibt aber, dass Weiterbildung bei den Beschäftigten – vorsichtig formuliert – nicht gerade populär ist. Wie wollen Sie das ändern?

Karliczek: Wenn Sie heute einem älteren Facharbeiter anbieten, er soll ein halbes Jahr raus aus dem Job und lernen, dann wird das häufig nicht auf große Euphorie stoßen. Deshalb geht es nicht nur um Programme und Maßnahmen auf der Angebotsseite, sondern besonders auch um die Schaffung einer neuen Weiterbildungskultur. Wir brauchen die Motivation, sich zu verändern, damit wir so stark bleiben, wie wir sind. Wir müssen die ganze Gesellschaft zur Weiterbildung motivieren, und das geht nur in kleinen Schritten.

Handelsblatt: Was meinen Sie?

Karliczek: Dem einen fehlen vielleicht nur Sprachkenntnisse, dem anderen Programmiersprachen - das ist etwas, was man sich berufsbegleitend aneignen kann. Aber wir brauchen dann auch entsprechende individuelle Lerneinheiten von Bildungsanbietern, Hochschulen, Kammern oder Berufsschulen.

Handelsblatt: Was aber ist mit dem Versicherungssachbearbeiter, der sich komplett neu orientieren muss, weil ein Algorithmus einfache Verträge bearbeitet?

Karliczek: Auch dieser Arbeitsplatz fällt ja nicht von heute auf morgen weg. Ich kann immer nur dazu raten, dass Unternehmen vor allem im Mittelstand sich klar Gedanken darüber machen und auch offen kommunizieren, wie die Digitalisierung ihr Geschäftsmodell verändert. Wir wollen bei der technologischen Transformation nicht wie früher erleben, dass wir erst in eine Krise mit vielen Verlierern hineinsteuern und dann mühsam Wiederaufbauarbeit leisten müssen.

Handelsblatt: Eine tragende Rolle in der Weiterbildungsberatung soll die Bundesagentur für Arbeit spielen. Kann man gestandene Ingenieure, die noch im Job stehen, zu einer Institution schicken, die den Ruf hat, für die Verlierer da zu sein?

Heil: Das ist doch ein Klischee. Die Ingenieure, von denen wir reden, die zahlen doch alle in die Arbeitslosenversicherung ein, ihre Arbeitgeber übrigens auch. Warum sollten sie dann nicht auch von einer vorsorgenden Arbeitsmarktpolitik profitieren? Sorgen, wir wollten aus der BA eine Mammutbehörde machen und Töpferkurse auf Mallorca finanzieren, sind unbegründet.

Handelsblatt: Trotzdem klingt es wie ein Beschäftigungsprogramm für die BA, die trotz rosiger Arbeitsmarktlage immer noch knapp 100.000 Mitarbeiter hat.

Heil: Es geht mir nicht um die Beschäftigung von Mitarbeitern der BA, sondern den Beratungs- und Weiterbildungsbedarf, den wir am Arbeitsmarkt haben. Und da halte ich es für eine clevere Idee, die BA langfristig zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung weiterzuentwickeln.