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Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus - Symposium und Projektkonzeption

von Prof. Dr. Alexander Nützenadel

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat ein groß angelegtes Forschungsvorhaben initiiert, das zum Ziel hat, die Geschichte der Vorgängerinstitutionen des Ministeriums in der Zeit der NS-Diktatur wissenschaftlich aufzuarbeiten. Im Mittelpunkt stehen dabei Personal und Handlungsfelder des Reichsarbeitsministeriums im Kontext der nationalsozialistischen Arbeits- und Sozialpolitik.

Hierzu hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen am 10. April 2013 eine unabhängige Kommission berufen, der sechs renommierte internationale Historikerinnen und Historiker angehören: Prof. Dr. Alexander Nützenadel (HU Berlin, Sprecher), Prof. Dr. Rüdiger Hachtmann  (Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam), Prof. Dr. Elizabeth Harvey (University of Nottingham), Prof. Dr. Sandrine Kott (Université de Genève), Prof. Dr. Kiran Patel (Universiteit Maastricht) und Prof. Dr. Michael Wildt (HU Berlin). Sie leiten das Forschungsprojekt, das bis Ende 2016 abgeschlossen werden soll. Auch andere Bundesministerien wie das der Finanzen, der Wirtschaft und Technologie und der Justiz haben wissenschaftliche Historikerkommissionen eingesetzt. Das Auswärtige Amt hat bereits im Herbst 2010 einen abschließenden Bericht vorgelegt.

Erstes Element des Forschungsprojektes waren konzeptionelle Vorarbeiten, durch die in zahlreichen in- und ausländischen Archiven ein Überblick über relevante Aktenbestände geschaffen wurde. In Verbindung mit der Darstellung des aktuellen Forschungsstands ließen sich so wichtige Anregungen für das Hauptprojekt gewinnen.

Ein weiterer Meilenstein war die Durchführung eines Symposiums, das unter dem Titel "Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus" am 25. Juni 2013 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin stattfand. Absicht der Veranstaltung war eine geschichtswissenschaftliche Bestandsaufnahme der bisherigen Forschung wie auch die Vorstellung konzeptioneller Überlegungen zum geplanten Forschungsvorhaben. Die sechs Kommissionsmitglieder sowie Prof. Dr. Ulrich Herbert (Universität Freiburg) stellten in Vorträgen verschiedene Aspekte des Themas zahlreichen Fachleuten und interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern zur Diskussion. Die Moderation übernahm der frühere Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung Prof. Dr. Jürgen Kocka. Eine abschließende, von Prof. Dr. Ute Frevert (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin) moderierte Podiumsdiskussion rundete die Veranstaltung ab.

Im Rahmen der Vorarbeiten und als Ergebnis der Vorträge und Diskussionen des Symposiums ist zunächst die zentrale Rolle der Arbeits- und Sozialpolitik im NS-Staat deutlich geworden, wie ich sie in meinem einleitenden Vortrag noch einmal unterstrichen habe . Es handelte sich um ein Politikfeld, auf dem sich dem Regime vielfältige Möglichkeiten boten, um in seinem ideologischen Sinne erziehend, kontrollierend und disziplinierend in weite Bereiche der Gesellschaft einzugreifen. Die Bevölkerung im Deutschen Reich und später auch in den besetzten Gebieten Europas war massiv von den umfassenden staatlichen Interventionen und vom radikalen Umbau des deutschen Sozialstaates betroffen.

Sichtbar wurde der hohe Stellenwert der Arbeits- und Sozialpolitik nach außen durch die Ausweitung der Zuständigkeiten des Reichsarbeitsministeriums und der ihm unterstellten Behörden, die sich in den ersten Jahren nach 1933 vollzog. Diese erstreckten sich auf die Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik, auf den Arbeitsschutz und das Arbeitsrecht, die Sozialfürsorge und den gesamten Bereich der Sozialversicherungs- und Gesundheitspolitik. Hinzu kamen die Gewerbeaufsicht, die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit das Reichsversicherungsamt sowie das Genossenschaftswesen. Schließlich gehörten Wohnungs- und Städtebau und das Siedlungswesen zu den größten Abteilungen des Ministeriums, das 1939 über 16 Abteilungen verfügte.

Das Reichsarbeitsministerium mit seinem weitgespannten Einflussbereich, so haben nicht zuletzt die Ergebnisse des Symposiums bestätigt, darf indes nicht nur in Form einer Behördengeschichte im engeren Sinne untersucht werden. Vielmehr soll das Projektvorhaben als Chance genutzt werden, weitergehend die Rolle und Funktionsweise klassischer staatlicher Behörden und traditioneller Verwaltungen und Ministerialstrukturen im "Dritten Reich" zu analysieren. Damit kann ein thematisches Feld beleuchtet werden, dass in der Forschung vernachlässigt worden ist, da bisher vor allem die nationalsozialistischen Parteiorgane und Sonderinstanzen und ihr selbstzerstörerisches Gegeneinander im Vordergrund standen. Gerade im Bereich der Arbeitspolitik lässt sich hingegen überprüfen, inwieweit die Ministerialbürokratien effiziente Elemente innerhalb der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis darstellten und die Ausbildung einer "neuen Staatlichkeit" mit prägten.

Insgesamt wurde in Vorkonzeption und den Symposiumsvorträgen als Hauptziel des Forschungsprojekts deutlich, dass die Geschichte des Reichsarbeitsministeriums und der  nachgeordneten Behörden zwischen 1933 und 1945 als Ausgangspunkt zu verstehen ist, von dem aus das gesamte Feld der Sozial- und Arbeitspolitik im Nationalsozialismus in seinen verschiedenen Facetten zu erarbeiten ist. Dabei haben sich vier inhaltliche Schwerpunkte herauskristallisiert.

Erstens wird einer empirisch gesättigten Institutionengeschichte, die die inneren Strukturen des Reichsarbeitsministeriums rekonstruiert, eine zentrale Position im Projekt zukommen. Mit seiner Gründung 1919 gehörte die Behörde – anders als etwa das Auswärtiges Amt oder das Innenministerium – nicht zu den klassischen Ressorts. Es handelte sich vielmehr um ein relativ junges Fachministerium, dessen rasche Expansion in den 1920er Jahren Ausdruck der zunehmenden wohlfahrtsstaatlichen Tendenzen in der Weimarer Republik war. Im NS-Staat setzte sich dieser Bedeutungsgewinn mit der "Gleichschaltung" im Bereich der Sozialpolitik zumindest formal fort. Dazu trug auch die Verlagerung von Kompetenzen auf die Reichsebene ("Verreichlichung") bei, die 1939 mit der Integration der 1927 errichteten Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ihren Höhepunkt fand.

Ab 1939 jedoch musste das Reichsarbeitsministerium drastische Kompetenzverluste hinnehmen, die es bis Kriegsende 1945 nur noch zu einer Rumpfbehörde werden ließen. Im Hintergrund standen die Herausbildung neuer Machtzentren und die Konkurrenz durch verschiedene Partei- und Sonderbehörden und NS-Sozialpolitiker, derer sich der politisch und fachlich schwache Minister Franz Seldte nicht zu erwehren vermochte: der Reichsleiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Robert Ley; der von Konstantin Hierl geleitete Reichsarbeitsdienst; ab 1936 die Vierjahresplanbehörde unter der Leitung Hermann Görings; und ab 1942 der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel. Auf dem Symposium zeigte Prof. Hachtmann speziell die kontinuierlichen Konflikte zwischen Ministerium und DAF auf, während Prof. Patel näher auf die Entwicklung des Arbeitsdienstes einging.

Die Ziele des Projekts bestehen somit darin, einerseits eine auf die Innenperspektive gerichtete Behördengeschichte zu erarbeiten und eine kollektivbiographische Untersuchung des leitenden Personals vorzunehmen, die Politiker, Experten und Beamte im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik berücksichtigt. Andererseits sind auch die konkurrierenden Kräfte und sich überlagernden Kompetenzen in der Arbeits- und Sozialpolitik und deren komplexe Verflechtung mit einzubeziehen.

Zweitens wird die Frage nach den personellen, institutionellen und politischen Kontinuitäten über die Zäsurjahre 1933 und 1945/49 hinweg im Zentrum stehen. In verschiedenen Beiträgen innerhalb der Symposiumsdiskussion wurde die Relevanz dieses Themenkomplexes betont, während Prof. Kocka für eine besondere Betonung der Gleichzeitigkeit von Kontinuitäten und Diskontinuitäten und gerade hier für den Vergleich mit anderen Ministerien plädierte. Für den Beginn der nationalsozialistischen Diktatur ist nach Umfang und Rückwirkungen der politisch oder "rassisch" motivierten Entlassungen von Mitarbeitern im Ministerium und den Arbeits- und Sozialverwaltungen – insbesondere in den Arbeitsämtern – zu fragen. Auch im Vergleich mit anderen Ministerien ist zu überprüfen, ob tatsächlich von einem relativ hohen Grad an personeller Kontinuität und einer vergleichsweise niedrigen Eintrittsquote von NS-Parteiaktivisten ausgegangen werden kann. Dies zumal vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Führung des Reichsarbeitsministeriums in der Weimarer Republik ausschließlich in den Händen von Politikern der katholischen Zentrumspartei und der SPD lag. Falls diese Annahmen zutreffen, könnte dies auf das unverzichtbare Expertenwissen des ministeriellen Fachpersonals zurückzuführen sein. Zugleich bestanden innerhalb der Mitarbeiter aber möglicherweise auch Hoffnungen, dass die nationalsozialistische Sozialpolitik eine Ausweitung der Handlungsspielräume im Ministerium mit sich bringen würde.

Auch im Hinblick auf die Nachkriegszeit steht die Vermutung im Raum, dass sowohl für das 1949 geschaffene Bundesarbeitsministerium als auch für die 1952 errichtete Bundesanstalt für Arbeit von einer hohen personellen Kontinuitätsrate auszugehen ist. Allerdings wird es – auch hinsichtlich der entsprechenden Behörden in der frühen DDR, für deren Einbeziehung Prof. Kocka und andere Symposiumsteilnehmer eintraten – nicht ausreichen, lediglich den prozentualen Anteil ehemaliger NSDAP-Angehöriger zu ermitteln. Hinterfragt werden muss auch die Prägung von Mitarbeitern und Sozialexperten durch gemeinsame professionelle Sozialisationen und politische Erfahrungen. Gerade die langfristigere Beeinflussung durch sozialpolitische Leitbilder, die auch Impulse auf die soziale Marktwirtschaft der BRD auszuüben vermochten, stellen einen unverzichtbaren Untersuchungsgegenstand dar.

Drittens wird es darum gehen, die Forschungsarbeiten nicht allein auf eine reine  Behördengeschichte zu reduzieren, sondern immer auch die innere Logik des Verwaltungshandelns zu untersuchen. Fraglos kann sich dies nicht auf den Gesamtbereich der Arbeits- und Sozialpolitik im  Nationalsozialismus erstrecken. Vielmehr gilt es, auf ausgewählten spezifischen politischen Handlungsfeldern – denkbar wären das Arbeitsrecht, die Sozialversicherungen oder der soziale Wohnungsbau – historische "Tiefenbohrungen" vorzunehmen. Eine übergeordnete Leitfrage ist dabei, welche Bedeutung der NS-Sozialpolitik nicht nur bei der Ausgrenzung vieler Bürger, sondern auch im Prozess der Integration breiter Bevölkerungsschichten in die "Volksgemeinschaft" zuzumessen ist. Zumindest Teile der deutschen Bevölkerung profitierten von wohlfahrtsstaatlichen Effekten und sozialen Leistungen, und es bleibt näher zu untersuchen, wie weit hieraus Loyalität gegenüber dem Regime erwuchs und politische Maßnahmen, in die das Reichsarbeitsministerium wesentlich eingebunden war, innenpolitische Stabilisierungseffekte erzeugten. Dabei besaß, wie Prof. Wildt in seinem Symposiumsvortrag verdeutlichte, im "Dritten Reich" gerade der Begriff "Arbeit" eine außerordentlich große Bandbreite und umfasste den "Dienst an der Gemeinschaft" ebenso wie Erziehung, Strafe, Zwangsarbeit und Vernichtung.

Viertens stehen im Projekt immer auch die internationalen Dimensionen im Vordergrund. Dies bedeutet neben der selbstverständlichen Einbettung in die internationale Forschungsdiskussion, dass die Rolle des Reichsarbeitsministeriums und der NS-Arbeits- und Sozialpolitik vor allem im europäischen Kontext bewertet werden muss.

Zum einen ist hinsichtlich anderer autoritärer Bewegungen und Regime der Zwischenkriegszeit zu untersuchen, welche ideologisch-konzeptionellen Anleihen, Schnittmengen und Kooperationen identifiziert werden können. Ergänzt wird diese vergleichende Perspektive zum anderen durch den Blick auf den Transfer deutscher Modelle in der Arbeits- und Sozialpolitik. Mit welchem Erfolg wurden diese propagiert und in anderen europäischen und auch außereuropäischen Ländern aufgegriffen und umgesetzt? Ein fruchtbares Untersuchungsfeld stellen hier internationale Gremien dar, in denen diese sozial- und arbeitspolitischen Konzepte debattiert wurden. Herauszuheben ist hier insbesondere die International Labour Organisation (ILO), nach deren Bedeutung bei der Verbreitung des deutschen Sozialmodells Prof. Kott in ihrem Vortrag fragte.

Schließlich ist es unabdingbar, in diesem Zusammenhang auch die nach 1939 besetzten europäischen Gebiete und die millionenfache Rekrutierung von Zwangsarbeitern mit einzubeziehen, wie sie Prof. Herbert in seinem Überblick im Symposium thematisierte. Relevant sind dabei zunächst die Aktivitäten von Reichsarbeitsministerium und Arbeitsämtern bei der umfassenden Mobilisierung von Arbeitskräften für die Kriegswirtschaft. Weitergehend ist zu fragen, in welchem Maße abgeordnete Beamte für die zwangsweise Rekrutierung polnischer und jüdischer Zwangsarbeiter verantwortlich waren, sich an besatzungspolitischen Verbrechen mitschuldig machten und an der "Germanisierungspolitik" beteiligten, der sich Prof. Harvey in ihrem Symposiumsvortrag widmete. Besonderes Augenmerk muss hier dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA) gelten, einer neu geschaffenen Sonderbehörde, die dem Thüringer Gauleiter der NSDAP Fritz Sauckel unterstellt wurde, aber personell mit dem Reichsarbeitsministerium verbunden blieb und den Einsatz des riesigen Heers an ausländischen Zwangsarbeitern organisierte.

Der international ausgerichtete Projektansatz dient insbesondere dazu, Arbeitsverwaltung und Zwangsarbeit im besetzten Europa gerade in vergleichender Perspektive zu analysieren. Dabei sollen auch längerfristig wirksame Ausprägungen herausgearbeitet werden, die über den kriegsbedingten Arbeitseinsatz hinaus auch andere Aspekte der Sozial- und Arbeitsordnung wie das Tarifrecht oder das Gesundheitswesen betrafen.

Insgesamt hat insbesondere das gut besuchte und von regem öffentlichem Interesse begleitete Symposium die Dringlichkeit fundierter Forschungen zum Reichsarbeitsministerium bewiesen. Referate und Diskussionsbeiträge machten deutlich, dass gerade innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft die Geschichte des Ministeriums und der nationalsozialistischen Arbeits- und Sozialpolitik noch in weiten Teilen ein Desiderat darstellt. Gleichzeitig lieferte die Auftaktveranstaltung wertvolle Impulse für die weitere Konkretisierung der Projektkonzeption.

Das Forschungsteam wird seine Arbeit 2014 aufnehmen und über einen Zeitraum von drei Jahren die Geschichte des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus untersuchen. Durch Tagungen, Vorträge und sonstige Veranstaltungen sollen die Ergebnisse sowohl im wissenschaftlichen Rahmen diskutiert als auch einer breiteren Öffentlichkeit vermittelt werden. Die abschließende Veröffentlichung der Ergebnisse wird in Form einer wissenschaftlichen Schriftenreihe erfolgen, die von der Historikerkommission 2017 herausgegeben wird.

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