- Datum:
- 26.08.2019
RND: Herr Heil, die Grundrente ist wieder einmal vertagt worden. Steht das Ganze jetzt vor dem Scheitern?
Hubertus Heil: Nein, im Gegenteil. Wir sind beim letzten Koalitionsausschuss sogar einen Schritt weiter gekommen. Aber natürlich hätte ich mir eine schnellere Lösung gewünscht.
RND: Der Druck der Wahlkämpfer von CDU und SPD in Ostdeutschland scheint nicht gewirkt zu haben...
Heil: Es geht dabei nicht um Landtagswahlen, sondern um die Menschen, die eine Grundrente brauchen. Und da gibt es derzeit noch große Unterschiede zwischen dem, was sich manche in der Union vorstellen, und meinem Konzept.
RND: Konkret bitte?
Heil: Von meinem Vorschlag würden bundesweit 2,9 Millionen Menschen profitieren. In Ostdeutschland wären es 750.000. Würden wir dem folgen, was ich aus der Union höre, würden gerade einmal 17.000 Menschen in Ostdeutschland die Grundrente erhalten. Dabei hat die Grundrente im Osten eine besonders hohe Relevanz. Dort hat es sehr viel mehr Frauenerwerbstätigkeit gegeben – bei gleichzeitig sehr viel niedrigeren Löhnen. Hinzu kommt: Im Osten sind die Menschen sehr viel stärker auf die gesetzliche Rente angewiesen. Viele verfügen dort nicht über eine zusätzliche Altersversorgung.
RND: Welche Kompromisse sind Sie bereit einzugehen?
Heil: Ich bin lösungsorientiert. Deshalb bin ich auch gerne bereit, über die Zielgenauigkeit meines Vorschlags zu reden. Aber ich mache keine faulen Kompromisse. Und klar ist auch: Damit die Grundrente tatsächlich zum 1. Januar 2021 in Kraft treten kann, müssen wir spätestens im Herbst mit der Gesetzgebung beginnen. Ich bleibe zuversichtlich, dass das gelingt.
RND: Bei der Witwenrente gibt es ja längst eine Einkommensprüfung. Was spricht gegen ein solches Verfahren bei der Grundrente?
Heil: Ich spekuliere nicht öffentlich über Lösungswege. Ich habe aber eine sehr genaue Vorstellung, was ich will und was nicht. Wir brauchen eine Lösung, die dem Rentensystem entspricht. Da geht es um Würdigung von Lebensleistung.
RND: Millionen Menschen verdienen so wenig, dass ihre Rentenansprüche im Alter nicht für ein Leben ohne staatliche Unterstützung reichen werden. Warum wird nicht stärker über Zusatzvorsorge nachgedacht?
Heil: Die beste Vorsorge sind höhere Löhne und mehr Tarifbindung. Denn die Löhne sind die Grundlage, nach der die Rente berechnet wird. Das Kernversprechen des Sozialstaats ist eine auskömmliche Rente nach einem Leben voller Arbeit. Wenn jemand zusätzlich betrieblich oder privat vorgesorgt hat, bleibt das trotzdem richtig.
RND: Was ist eigentlich aus den Überlegungen der GroKo für eine Betriebsrentner-Entlastung geworden?
Heil: Ich will den Effekt der Doppelverbeitragung dämpfen. Denn doppelte Beiträge bei der Betriebsrente halten viele davon ab, zusätzlich vorzusorgen. Darüber werden wir im September in der Koalition sprechen. Die SPD will hier bereits seit längerem für Entlastung sorgen. In der CDU gibt es dazu inzwischen auch Beschlüsse. Mit gutem Willen sollten wir das also hinkriegen.
RND: Woher wollen Sie das Geld für die Entlastung von Betriebsrentnern nehmen?
Heil: Eine Option wären Mittel aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Dort gibt es zusätzliche Einnahmen als Folge der Ausweitung der Mütterrente. Denn auf höhere Renten werden höhere Krankversicherungsbeiträge gezahlt. Deshalb wird auch die Einführung der Grundrente zu Mehreinnahmen in der Krankenversicherung führen. Mit diesen Mehreinnahmen könnten wir Betriebsrentner entlasten.
RND: Weniger Aufträge, sinkende Produktion, Rezession in der Metall- und Elektroindustrie - steuert Deutschland gerade auf eine größere Wirtschaftskrise zu?
Heil: Im Moment erleben wir eine deutliche Abkühlung der Konjunktur. Von einer Rezession kann noch keine Rede sein. Wir müssen aber aufpassen, dass wir uns nicht in eine Krise hereinreden. Es gibt jedoch weltwirtschaftliche Risiken, die nicht kalkulierbar sind. Wir wissen zum Beispiel nicht, welche Auswirkungen ein harter Brexit auf uns und auf die Weltwirtschaft haben könnte.
RND: Müssen wir uns künftig wieder auf schlechte Nachrichten vom Arbeitsmarkt einstellen?
Heil: Die Bilanz ist weiterhin gut. Im Juli hatten wir 34.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als vor einem Jahr. Allerdings schwächt sich die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt etwas ab. Wir sehen auch einen leichten Anstieg bei der Kurzarbeit. Ende Mai hatten wir rund 41.000 Beschäftigte in Kurzarbeit, ein Jahr zuvor waren es noch rund 12.000.
RND: Auf welche Szenarien wäre der deutsche Arbeitsmarkt vorbereitet?
Heil: Die gute Nachricht ist, dass wir für deutlich schlechtere Zeiten hervorragend gerüstet sind. Bei der Bundesagentur für Arbeit haben wir Krisenrücklagen, die uns im Fall der Fälle helfen, Brücken am Arbeitsmarkt zu bauen – auch durch Kurzarbeit. Wo möglich, sollte das künftig jedoch mit Weiterbildung verbunden werden. Das wäre volkswirtschaftlich sinnvoll.
RND: Sie haben kürzlich einen Gesetzentwurf präsentiert, der dafür sorgen soll, dass die Beschäftigten von heute auch die Arbeit von morgen machen können. Schöne Worte, hehre Ziele - aber nicht mehr?
Heil: Nein, das Ganze ist sehr konkret. Mit dem Qualifizierungschancengesetz, das zu Jahresbeginn in Kraft getreten ist, setzen wir bereits Anreize für mehr Weiterbildung in Unternehmen, die mit Strukturwandel oder Fachkräftemangel zu kämpfen haben. Daran knüpfe ich jetzt mit meinem Vorschlag für ein „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ an. Nehmen Sie die Automobilindustrie: Der Umstieg in den Antriebstechnologien wird in Zukunft andere Qualifikationen von den Beschäftigten erfordern. Weiterbildung ist deshalb das A und O. Wir müssen die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer erhalten.
RND: Ist Qualifizierung in Zeiten von Fachkräftemangel nicht allein Sache der Arbeitgeber?
Heil: Natürlich ist es in erster Linie Aufgabe der Unternehmen, sich um die Weiterbildung ihrer Beschäftigten zu kümmern. Das bleibt auch künftig so. Es geht auch nicht darum, diese Investitionen zu ersetzen. Wir wollen Anreize schaffen – gerade für kleine und mittlere Unternehmen. Wer in Weiterbildung investiert, den können wir unterstützen. Aber ohne eigene Investitionen gibt es auch künftig keine Unterstützung.
RND: Die IG Metall warnt vor industriellen Wüsten, die entstehen könnten, sollten in der Autoindustrie massiv Arbeitsplätze abgebaut werden müssen. Schwarzmalerei oder realistisches Szenario?
Heil: Es ist die gemeinsame Aufgabe von Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften, die Transformation unserer Wirtschaft aktiv zu gestalten. Und zwar ohne Strukturbrüche. Wir haben die Chance, das hinzubekommen. In der Automobilindustrie etwa geht es nicht nur um neue Antriebe, sondern auch um die Digitalisierung der Produktion. Das betrifft nicht nur große Unternehmen wie BMW, Daimler und VW, sondern die gesamte Zuliefererindustrie bis hin zu kleinsten Unternehmen. Und es hängen viele Regionen an dieser Flaggschiff-Industrie.
RND: Bisher hat die GroKo in der Sozialpolitik vor allem eines gemacht: Neue Leistungen eingeführt und bestehende ausgeweitet. Wäre es angesichts schwächelnder Konjunktur nicht sinnvoll, die Lohnnebenkosten zu senken?
Heil: Natürlich muss die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig bleiben. Deshalb haben wir die Beitragslast genau im Blick. Ich habe den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt, weil es möglich war. Gleichzeitig musste mein Kollege Jens Spahn aus dem Gesundheitsministerium den Beitrag zur Pflegeversicherung erhöhen. Mit neoliberalen Rezepten sollte man vorsichtig sein. Deutschland wird den globalen Wettbewerb nicht über niedrige Lohnkosten gewinnen. Wir müssen die besten Produkte, Verfahren und Dienstleistungen exportieren können.
RND: Themenwechsel. Die SPD sucht gerade eine neue Führung. Sind Sie eigentlich froh, nicht kandidieren zu müssen?
Heil: Ich freue mich, dass wir starke Kandidatinnen und Kandidaten haben. Jetzt haben die Mitglieder das Wort. Dieses Land braucht eine starke SPD. Und die SPD braucht eine starke Führung mit Erfahrung und Durchsetzungskraft. Die Sozialdemokratie hat die Aufgabe, diese Gesellschaft zusammenzuhalten.
RND: Wen unterstützen Sie?
Heil: Ich halte mich zurück mit Empfehlungen. Denn ich weiß: Die Mitglieder der SPD wollen sich ein eigenes Bild von den Bewerberteams machen und werden dies auch tun. Dazu haben wir ein gutes Verfahren vereinbartEs geht jetzt um einen Wettstreit um die besten Ideen und die beste Aufstellung für die Zukunft unseres Landes.
RND: Raus aus der GroKo oder drin bleiben – bei der Vorsitzenden-Kür ist das eine der entscheidenden Fragen. Stehen die SPD-Bundesminister ohne Wenn und Aber für eine Fortsetzung der Koalition?
Heil: Es gibt in den nächsten Wochen und Monaten viel zu entscheiden. Wir müssen mehr investieren: in Schulen, Straßen, in unser digitales Netz. Und wir brauchen Lösungen beim Klimaschutz und bei Fragen des sozialen Ausgleichs, vor allem bei der Grundrente. Wenn wir in der Lage sind, noch etwas zu bewegen, sollten wir weiterregieren. Wir dürfen nicht auf Scheitern setzen.