Zu den Regelungen über Assistenzhunde:
Der Deutsche Bundestag hat am 22. April 2021 mit dem Teilhabestärkungsgesetz auch gesetzliche Regelungen zu Assistenzhunden in Deutschland beschlossen. Der Bundesrat hat dem Gesetz am 28. Mai 2021 zugestimmt. Das Gesetz trat am 1. Juli 2021 in Kraft.
Die Regelung betreffen im Wesentlichen:
- den Zutritt für Menschen mit Behinderungen in Begleitung mit ihren Assistenzhunden zu typischerweise für die Allgemeinheit zugänglichen Anlagen und Einrichtungen,
- die Begrifflichkeit des Assistenzhundes,
- die Ausbildung von Assistenzhunden,
- die Prüfung von Assistenzhunden,
- die Zulassung einer Ausbildungsstätte für Assistenzhunde,
- die Akkreditierung als Prüfer oder Prüferin und
- die Durchführung einer Studie zur Untersuchung der Auswirkungen der neuen Regelungen
Fragen und Antworten
Wie sollen bestehende rechtliche Unsicherheiten beim Zutritt mit Assistenzhunden beseitigt werden?
Mit der neuen Regelung in §12e BGG darf Menschen mit Behinderungen der Zutritt zu für den allgemeinen Publikums- und Benutzungsverkehr zugänglichen Anlagen und Einrichtungen nicht wegen der Begleitung durch den Assistenzhund (zu dem auch Blindenführhunde zählen) verweigert werden. Träger öffentlicher Gewalt sowie Eigentümer, Besitzer und Betreiber von beweglichen oder unbeweglichen Anlagen und Einrichtungen (= Verpflichtete) trifft diesbezüglich eine Duldungspflicht. Der Geltungsbereich des BGG wird für diesen Regelungsbereich auf den privaten Bereich ausgeweitet. Anlagen oder Einrichtungen sind typischerweise dann für den allgemeinen Publikums- und Benutzungsverkehr zugänglich, wenn ihr Zutritt nach der Verkehrssitte regelmäßig ohne Ansehen der Person gewährt wird oder werden soll. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn es sich um Anlagen und Einrichtungen handelt, in denen sogenannte Massengeschäfte oder sog. massengeschäftsähnliche Rechtsgeschäfte getätigt werden. Solche Geschäfte finden regelmäßig statt im Einzelhandel, der Gastronomie, bei diversen Dienstleistungserbringern wie Friseuren, Freizeiteinrichtungen, Museen, Kinos usw. Arztpraxen und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens sind davon auch umfasst.
Wann kann eine unverhältnismäßige Belastung für Eigentümer und Besitzer vorliegen?
Begrenzt wird die o. g. Duldungspflicht dadurch, dass der Verpflichtete durch den Zutritt mit dem Assistenzhund oder Blindenführhund nicht unverhältnismäßig oder unbillig belastet werden darf. Die Beweislast hierfür liegt beim Verpflichteten.
Die Gesetzesbegründung führt dazu aus, dass zum Beispiel eine unverhältnismäßige Belastung von Betreibern medizinischer Einrichtungen vorliegen könnte, wenn beispielsweise hygienische Gründe die Begleitung durch Assistenzhunde oder Blindenführhunde ausschließen. Dies kann dann der Fall sein, wenn dadurch Infektions- und Gesundheitsgefahren für andere, teilweise gesundheitlich vorbelastete Menschen entstehen.
Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) hat in ihren Präzisierungen zur Krankenhaushygiene klargestellt, dass eine Übertragung von Krankheitserregern vom Hund auf den Menschen zwar theoretisch möglich, bei haushaltsüblicher Hygiene aber sehr unwahrscheinlich sei (Empfehlungen der KRINKO 2000, 2010). Auch die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene schließt die Mitnahme von Hunden in Krankenhäuser und vergleichbare Einrichtungen nicht prinzipiell aus. Bereiche, die Menschen in Straßenkleidung offenstehen, wie Arztpraxen, Therapieräume, offene Pflege- und Krankenstationen, Ambulanzen und Cafeteria, können daher auch Menschen mit Assistenzhunden grundsätzlich betreten. Ausgeschlossen davon sind offensichtlich ungepflegte oder ungesunde Assistenzhunde oder Blindenführhunde oder der Zutritt zu Risikobereichen wie Intensivstationen und Isolierstationen.
Gelten für Blindenführhunde besondere Regelungen?
Die in §12e Absatz 1 BGG(neu) geregelte Duldungspflicht beim Zutritt zu öffentlich zugänglichen Anlagen und Einrichtungen gilt für Menschen mit Behinderungen, die sich durch einen Assistenzhund begleiten lassen. Zu den Assistenzhunden im Sinne dieser Vorschrift gehören auch Blindenführhunde. Für diese gilt allerdings - wenn sie als Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V gewährt werden - bereits ein umfangreiches Prüf- und Anforderungsprogramm, einschließlich der Anwendung eines Präqualifizierungsverfahrens über die Zulassung der Hilfsmittelerbringer - hier z.B. die Blindenführhundeschulen für die Erbringung des Hilfsmittels „Blindenführhund“. Die Regelungen zur Ausbildung und Prüfung der §§ 12f ff BGG (neu) gelten für sie daher nicht.
Warum sprechen wir von "Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaft"?
Bei der Erstellung von Gesetzen und Verordnungen gilt, dass die Vorschriften den Grundsätzen der Rechtsförmlichkeit entsprechen müssen. Dazu gehört auch, dass die Regelungen grundsätzlich in deutscher Sprache auszuführen sind. Englische Begriffe wie "Team" können daher nicht zur Anwendung kommen. Ein alternativer Vorschlag wäre "Partnerschaft" gewesen; dieser Begriff ist allerdings im üblichen Sinne auf Lebenspartnerschaften zwischen Menschen bezogen.
Warum sprechen wir von Ausbildungsstätten für Assistenzhunde? Ist eine Selbstausbildung möglich?
Anders als bei Blindenführhunden gibt es für andere Assistenzhunde, die für Menschen mit Behinderungen im Alltag eine wichtige Hilfe zur Unterstützung und Mobilität leisten, bislang kein gesetzlich geregeltes Anforderungs- und Prüfungsprogramm, geschweige denn eine Zertifizierung, mit der eine gut ausgebildete Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaft, insbesondere für die Zutrittsverpflichteten, als Träger von Rechten erkannt werden kann. Deshalb, und um ein hohes Niveau der Assistenzhundeausbildung zu sichern sowie gleichzeitig Missbrauch vorzubeugen, sollen Assistenzhunde im Sinne des BGG als Teil einer Mensch-Tier-Gemeinschaft von einer zertifizierten Ausbildungsstätte ausgebildet und von einer/einem unabhängigen Prüfer*in geprüft werden. Dadurch können Qualitätsstandards in der Assistenzhundeausbildung gesetzt werden. Eine Selbst-/Eigenausbildung ist damit ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Diese Form der Ausbildung muss jedoch von einer anerkannten Ausbildungsstätte zumindest begleitet werden, so ist es in § 12f Satz1 BGG(neu) geregelt.
Warum müssen sich Ausbildungsstätten über eine fachliche Stelle zertifizieren lassen?
Bei der Ausarbeitung der Regelungen über die Zulassung von Ausbildungsstätten und Prüfern wurde ein offener, dezentraler Ansatz über eine Zertifizierung von Ausbildungsstätten durch fachliche Stellen sowie von Prüfern und Prüferinnen durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) gewählt. Die hoheitlich tätige DAkkS verfügt über die erforderliche Kompetenz, Akkreditierungen für Stellen und Personen vornehmen zu können. Ausbildungsstätten für Assistenzhunde kann die DAkkS jedoch nicht direkt zulassen. Dies geht nur über eine sogenannte Fachliche Stelle, die nach ISO/IEC 17065 mit der Dienstleistung der Zertifizierung von Ausbildungsstätten für Assistenzhunde beauftragt wird. Für die Zertifizierung wird eine Gebühr erhoben. Ziel ist es, ähnlich den Präqualifizierungsstellen für Blindenführhunde, auch zu gut ausgebildeten Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaften in Deutschland zu kommen.
Künftig müssen also Hundeschulen, die Assistenzhunde im Sinne des § 12e Absatz 3 Nr. 1 BGG(neu) ausbilden wollen, von einer fachlichen Stelle zugelassen werden. Das bedeutet, dass sie im Rahmen eines externen Zulassungsverfahrens ihre fachliche Eignung nachweisen müssen. Die Gesetzesbegründung führt dazu weiter aus, dass eine Ausbildungsstätte für Assistenzhunde zuzulassen ist, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Es handelt sich um einen gebundenen Anspruch gegenüber der fachlichen Stelle, der jährlich überprüft wird. Wichtig ist auch zu wissen: Als Ausbildungsstätte kommt jede gewerbsmäßig oder nicht gewerbsmäßig handelnde natürliche oder juristische Person oder Personenvereinigung in Betracht; eine bestimmte Größe oder Anzahl von Ausbildern oder Trainern wird nicht verlangt. Auch einzelne Hundetrainer können Ausbildungsstätte im Sinne der Vorschrift sein.
Wie sollen die Prüfungen erfolgen und wie wird das Zertifikat ausgestellt?
§ 12g BGG(neu) regelt den Abschluss der Ausbildung durch Prüfung des Hundes und der Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaft. Die Prüfung dient dem Nachweis, dass die Ausbildung von Mensch und Hund erfolgreich war. Geprüft werden soll einerseits die sichere Beherrschung des Grundgehorsams und das zuverlässige und sichere Sozialverhalten des Hundes sowie andererseits die speziellen Unterstützungsleistungen, die der Hund für den Menschen mit Behinderungen erbringt. Hierbei dient die Prüfung insbesondere der Kontrolle, ob sich die Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaft sicher in der Öffentlichkeit bewegt, in alltäglichen Situationen einwandfrei und sicher zusammenarbeitet und der Hund seine erlernten Fähigkeiten unter Alltagsbedingungen auch außerhalb des häuslichen Umfelds zeigt. Die Prüfung hat sich dabei immer am jeweiligen Einzelfall zu orientieren. Entscheidend muss sein, welche individuellen Unterstützungsleistungen der Hund für seinen Menschen zu erbringen hat und welche speziellen Herausforderungen im Alltag zu bewältigen sind. Die Mensch-Assistenzhund-Prüfung ist dabei grundsätzlich realitätsnah und den alltäglichen Situationen, in denen der Assistenzhund benötigt wird, entsprechend durchzuführen. Außerdem wird die erforderliche Sachkunde der Halterin und des Halters geprüft. Über die bestandene Prüfung ist vom Prüfer ein Zertifikat zu erteilen.
Warum gibt es Übergangsvorschriften für bereits in Deutschland oder im Ausland ausgebildete oder anerkannte Assistenzhunde?
Bei bereits nach anderen sozialrechtlichen Grundsätzen bewilligten und anerkannten Assistenzhunden, muss bei den Neuregelungen im BGG auf den Gleichheitsgrundsatz und bei ausländischen Dienstleistungserbringern auch auf die Nichtdiskriminierung im Sinne des EU Wettbewerbsrechts geachtet werden.
Anerkennung im Sinne des § 12e Absatz 1 BGG(neu) finden somit grundsätzlich auch Assistenzhunde, die von einem Träger der Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsträger) nach § 6 SGB IX sowie von einem Träger nach beamtenrechtlichen Vorschriften im Rahmen der Beihilfe oder von der privaten Versicherung im Rahmen ihrer Leistungserbringung für Menschen mit Behinderungen gewährt wurden.
Auch im Ausland qualifiziert ausgebildete Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaften sollen in den Anwendungsbereich des § 12e Absatz 1 BGG(neu) fallen (Zutrittsrechte). Diese Regelung stellt zum einen sicher, dass Ausländer bei einem Besuch in Deutschland (Touristen oder Arbeitnehmer) mit ihren Assistenzhunden gleichermaßen von den Zutrittsrechten profitieren können. Aber auch im Ausland ausgebildete Assistenzhunde sollen in Deutschland anerkannt werden. Für im Ausland ausgebildete Assistenzhunde muss die Ausbildung zumindest nach den Anforderungen des § 12f BGG(neu) gleichwertig sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Ausbildung keinen wesentlichen Unterschied zu einer Ausbildung nach § 12f BGG(neu) aufweist. Einzelheiten hierzu werden in der Rechtsverordnung geregelt. Für bereits bei Ausbildungsstätten für Assistenzhunde in Ausbildung befindlichen Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaften zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bedarf es einer Übergangsregelung.
Wie kann ich mich für eine Teilnahme an der Studie bewerben und darüber eine Finanzierung für meinen Assistenzhund erhalten?
Mit einer in Auftrag zu gebenden wissenschaftlichen Studie sollen die neu geschaffenen gesetzlichen Regelungen zu Assistenzhunden begleitend untersucht werden. Im Rahmen der Studie können auch die Kosten zur Anschaffung, Ausbildung und Haltung von bis zu 100 Assistenzhunden finanziert werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann (und wird) Dritte mit der Untersuchung und Durchführung beauftragen; dies wird in einem Ausschreibungsverfahren geregelt. Die Studie kann frühestens nach Inkrafttreten der Rechtsverordnung, also im Lauf des Jahres 2022 beginnen. Über das Antragsverfahren der an der Studie teilnehmenden Assistenzhunde wird das BMAS rechtzeitig informieren.